Molldietetunnel: Stadt rechnet mit Klagen
Vor 30 Jahren gab es schon einmal eine Bürgerinitiative gegen das Bauwerk in Ravensburg
RAVENSBURG - Die meisten Ravensburger sehnen den Molldietetunnel herbei, denn er wird die Stadt weitgehend vom lästigen Ost-WestDurchgangsverkehr befreien. Es gibt aber auch Menschen, für die das Bauwerk zum Alptraum werden könnte: die Bewohner der Südstadt und Weißenaus, die in unmittelbarer Nähe der Ausfahrt leben beziehungsweise auf der Molldiete selbst. Die Stadtverwaltung rechnet mit Klagen gegen die Planung, gab Baubürgermeister Dirk Bastin im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“zu.
Geschichte wiederholt sich manchmal. Vor über 30 Jahren, als der Molldietetunnel schon einmal geplant wurde, regte sich in der Südstadt heftiger Widerstand gegen die damaligen Pläne. Eine Bürgerinitiative mit 150 Sympathisanten äußerte am 20. Januar 1986 in der „Schwäbischen Zeitung“ihre Furcht vor Lärm und Abgasen, die „unerträgliche Ausmaße annehmen und die Lebens- und Wohnqualität ganz erheblich beeinträchtigen“könnten. Eine Sprecherin der Bürgerinitiative betonte damals, „kein Mittel unversucht zu lassen, um das Vorhaben zu verhindern“.
„Die Vorstellung, den gesamten Fern- und Nahverkehr aus den Richtungen Friedrichshafen, Meersburg und Ulm – durch einen Tunnel gebündelt – in ihr ruhiges Wohngebiet eingeschleust zu bekommen, erfüllt die Anwohner mit Schrecken“, heißt es in dem Artikel. Angst hatten die Südstadtbewohner dabei nicht so sehr vor dem Verkehrslärm, weil dieser sich durch Schallschutzmaßnahmen vielleicht noch in den Griff bekommen lassen würde, sondern vor einer „enormen Luftverschmutzung durch Abgase, Bremsbelag und Reifenabrieb“. Selbst die Bewohner weiter oben am Hang liegender Häuser würden von den aus den Tunnel-Entlüftungsschächten strömenden Abgasen belästigt, beschrieb der Autor die Zukunftsängste der Bürger.
Als am schwersten betroffen wurden die Anlieger der Springerstraße, des Schnitzerweges, des Gäldrichweges, des Neideggweges, des Schinderliweges, des Johann-MorellWeges, des Kelterweges, der Weißenauer und der Tettnanger Straße genannt. Sie müssten künftig den „Abgas-Segen“einatmen – verbunden mit einem Wertverlust ihrer Häuser durch die „drastische Verschlechterung der Wohnqualität“. Alles in allem, so glaubte die Sprecherin der Bürgerinitiative, würden im Wohngebiet zwischen Hindenburg- und Springerstraße mindestens 500 Menschen die Leidtragenden des Tunnels sein.
Die Proteste und Einsprüche der Anwohner haben den Tunnelbau seinerzeit nicht verhindert. Die Planung am Bauwerk wurde 2004 zwar eingestellt, jedoch aus anderen Gründen: Nach den schweren Unfällen mit vielen Toten im Montblancund Gotthardtunnel (1998 und 2001) wurden einröhrige Tunnel verboten, und das Projekt sackte im Bundesverkehrswegeplan gleichzeitig von der höchsten Kategorie des vordringlichen Bedarfs in den weiteren Bedarf ab. Projekte aus dieser Schublade hatten nie die Chance, verwirklicht zu werden.
Erst im aktuellen Bundesverkehrswegeplan gewann der Tunnel wieder an Bedeutung, neuer Planungsbeginn soll schon 2019 sein. In der Zwischenzeit sind die Menschen (Stichwort Wutbürger) aber nicht zahmer geworden, Proteste und Klagen gegen die neue Tunnelplanung sind sehr wahrscheinlich. „Es wäre gegen jegliche Erfahrungen, wenn es nicht zu einer rechtlichen Überprüfung der Planfeststellung kommt“, räumt auch der Ravensburger Baubürgermeister Dirk Bastin auf Nachfrage ein.
Wenn im kommenden Jahr wie angekündigt mit der Planung begonnen wird – momentan ist der Molldietetunnel nicht mehr als eine gestrichelte Linie auf der Landkarte, die bei Knollengraben in den Berg führt und am Gartencenter Wiggenhauser in Weißenau wieder herauskommt – wird es bis zum Planfeststellungsbeschluss einige Jahre dauern. „In dieser Zeit wollen wir die Bürger schon mitnehmen und von der Sinnhaftigkeit des Tunnels überzeugen“, so Bastin.
Denn einige Bedenken aus den 1980ern, als die Bürgerinitiative auf die Barrikaden ging, gelten für die Zukunft nicht mehr, zählt Bastin auf: Ein Großteil des Nord-Süd-Verkehrs fließt ab Ende 2019 in gebührendem Abstand über die B 30 Süd an Weißenau vorbei – es wird im Ravensburger Süden also deutlich ruhiger als jetzt. Zudem werden bei der Eröffnung des Molldietetunnels in 12 bis 20 Jahren schon zahlreiche Elektroautos auf den Straßen unterwegs sein: Die sind leiser und stoßen keine Abgase aus. Selbst wenn es noch viele Fahrzeuge mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren geben sollte (Lkw zum Beispiel), herrscht im Schussental oft gar kein Südwestwind, sondern der „Schussentäler“, ein Nord-Süd-Wind, der nachts die Luft reinigt und Abgase aus dem Tal herausbläst.
Bastin, der selbst in der Nähe des künftigen Tunnelausgangs wohnt, glaubt eher, dass es für die Bewohner der Molldiete selbst zu Problemen kommen könnte. „An der Rebsteige und der Banneggstraße gibt es einige Häuser mit Geothermie. Die Bewohner machen sich natürlich Sorgen, was mit ihren hundert Meter tiefen Bohrschächten passiert, wenn der Tunnel gebaut wird.“Zudem haben die Südstädtler schlechte Erfahrungen bei der Erweiterung des Möbelhauses Rundel gemacht. Seinerzeit rutschte der Hang, der von einem kiesigen Untergrund geprägt ist. Es kam zu Schäden an den Wohnhäusern der Nachbarn.
Der Tunnel wird voraussichtlich teils in offener Bauweise, teils mit einer riesigen Tunnelbohrmaschine in den Berg getrieben. Sollte es dabei zu Senkungen kommen, hätte das schädliche Auswirkungen auf die Häuser darüber. Auch die Beund Entlüftung von „schlechter Luft in konzentrierter Form“dürfte die Anwohner nicht erfreuen, gibt Bastin zu. Letztendlich sei das aber eine Abwägungssache: Auf der einen Seite stünden die berechtigten Interessen und Sorgen von „vielleicht 50 Anwohnern, auf der anderen Seite die Entlastung von 3000 Menschen, die unter dem heutigen Verkehr leiden“.