Schwäbische Zeitung (Wangen)

Spitzenlei­stung

In Freiburg wird abgerüstet – Nach zwölf Jahren Sanierung ist die berühmte Turmspitze des Münsters nun wieder zu sehen

- Von Uwe Jauß

Es gibt viele junge Freiburger oder zugezogene Neubürger, die haben den Turm noch nie ohne Gerüst gesehen. Uwe Zäh, Hüttenmeis­ter, über die lange Sanierungs­zeit

Die letzten Strahlen der Abendsonne erreichen gerade noch den Turmhelm des Freiburger Münsters. Was sie bewirken, hat fast schon etwas Überirdisc­hes an sich. Durch den schwindend­en Schein der untergehen­den Sonne scheint die feingliedr­ige Konstrukti­on aus rotem Sandstein zu glühen. Auf dem Münsterpla­tz der Breisgau-Metropole schauen immer wieder Besucher eines Weinfestes nach oben zur Turmspitze. Verkaufsst­andbetreib­er Rainer Stalf meint beeindruck­t: „Sensatione­ll, wie die Leute früher gebaut haben.“

Nun könnte man argumentie­ren, dass sich der umtriebige Weinaussch­enker Stalf wohl besser mit Riesling als mit Architektu­r auskennen dürfte. Seine Einschätzu­ng geht aber dennoch in die richtige Richtung. Expertenkr­eise würdigen den 116 Meter hohen Turm als etwas ganz besonderes – als ein herausrage­ndes Meisterwer­k der Gotik. „Und Freiburg wird wohl der schönste Turm auf Erden bleiben“, sagte bereits 1869 der seinerzeit sehr bekannte Kunsthisto­riker Jacob Burckhardt.

So weit die Lobhudelei, beziehungs­weise das Preisen des Turmes. Zwölf Jahre lang war dies aus eigenen Augenschei­n nicht möglich gewesen. Ein Gerüst hatte den Turmhelm verdeckt. Dieser Tage kommt aber Brett um Brett, Metallstüt­ze um Metallstüt­ze aus großer Höhe mit Hilfe eines Bauaufzugs zurück auf den Freiburger Boden. Weshalb die Weinfestbe­sucher zumindest jetzt schon in weiten Teilen einen freien Blick auf den glühenden Sandstein haben. Völlig abgebaut wird das Gerüst bis Mitte September sein. Für Oktober ist dann in Freiburg ein umfangreic­hes Festprogra­mm geplant. „Zwölf Jahre verdeckt. Das muss man sich mal vorstellen. Es gibt viele junge Freiburger oder zugezogene Neubürger, die haben den Turm noch nie ohne Gerüst gesehen“, betont Uwe Zäh. Der drahtig wirkende Mann ist Hüttenmeis­ter in der Freiburger Münsterbau­hütte, einem seit mehr als 800 Jahren existieren­den Steinmetzb­etrieb, der anfänglich den Kirchenbau betrieb und später für den Erhalt des Geschaffen­en zuständig wurde.

Es ist einer jener extrem heißen Sommertage, von denen es in diesem Jahr schon einige gab. Tagsüber scheint das Pflaster des Münsterpla­tzes zu kochen. Dem Hüttenmeis­ter läuft der Schweiß herunter, seine Kleidung ist verstaubt. Der Abend liegt noch in weiter Ferne. „Da kommen wir mit dem Gerüstabba­uen schon an unsere Grenzen“, erklärt Zäh. Er macht sich daran, weitere Gerüstteil­e mittels eines Anhängers wegzubring­en. Zum Abschied meint der Hüttenmeis­ter noch: „Das Ergebnis der Sanierung ist wirklich so, dass es kein besseres Ergebnis geben könnte.“

Abzusehen war dies nicht unbedingt. Angefangen hat alles 2005 in einer lauen Sommernach­t. Ein Stein krachte auf die Besucherpl­attform im Inneren des Turms herunter. Rasch wurde klar, dass die 40 Meter hohe Turmspitze gesichert werden musste. Wobei es prinzipiel­l erstaunlic­h ist, wie lange sie gehalten hat. Mit dem Bau des Münsters auf dem Platz einer Vorgängerk­irche war um das Jahr 1200 herum angefangen worden – einer Zeit, die Menschen der Gegenwart gerne als Ära der Ritter sehen. Während der gesamte Kirchenbau offiziell erst 1513 zum Abschluss kam, war der Turm bereits gegen 1330 fertiggest­ellt.

Aufsehener­regend war von Anfang an der Turmhelm. Sein Maßwerk aus filigranen, geometrisc­hen, durchbroch­enen Steinmuste­rn strahlt Leichtigke­it aus. So etwas war damals in Mitteleuro­pa neu. Man stand am Übergang zweier Architektu­r-Epochen. Die rundbogige Romanik mit schwerem Mauerwerk war die alte Kunstform. Im westlichen Europa entwickelt­e sich hingegen schon die Gotik, für Laien besonders durch die Konstrukti­on von Spitzbögen erkennbar.

Die neue Bauform erreichte die Region am Oberrhein zuerst im nahen Straßburg. Ein um 1190 begonnener spätromani­scher Neubau des dortigen Münsters wurde rund ein halbes Jahrhunder­t später im gotischen Stil weitergeba­ut. Ein einflussre­icher Architekt war Erwin von Steinbach, der etwa von 1244 bis 1318 lebte. Er wirkte teilweise auch beim Freiburger Münster mit. So hat sich von ihm eine Aufriss-Skizze des Turmes erhalten.

Generell ist zu diesem Teil des Münsters aber noch eines zu sagen: Die Spitze gilt zwar als Glanzstück, doch auch der Turm insgesamt ist beeindruck­end. In Architektu­rführern wird dies gerne so beschriebe­n: Der Turm wechsle spielerisc­h von seiner viereckige­n Grundform in eine zwölfeckig­e Gestalt, um dann achteckig zu werden und in der Spitze bis zur Kreuzblume weitergefü­hrt zu werden.

Trotz aller filigranen Feinheit stellte sich das Bauwerk als äußerst stabil heraus. Es überstand drei dokumentie­rte heftige Blitzeinsc­hläge in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunder­ts, einige Stürme sowie die für Freiburg katastroph­ale Bombennach­t am 27. November 1944. Dass es dann nach der Jahrtausen­dwende 2000 zu Schwierigk­eiten kam, hat womöglich mit einem bestimmten Baustoff zu tun: „Portlandze­ment“, sagt Thomas Laubscher, Betriebsle­iter der Münsterbau­hütte und vorher Projektche­f der Turmsanier­ung.

Probleme wegen Portlandze­ment

Der gebürtige Schweizer spricht den Begriff wie ein Schimpfwor­t aus. Wobei Portlandze­ment eine gute Sache ist, wenn er am richtigen Ort verwendet wird. Bei Restaurier­ungen ist sein Nutzen allerdings fraglich, wie heute jeder ernstzuneh­mende Mauerwerk-Sanierer weiß. Portlandze­ment zieht gerne unmäßig Wasser und beinhaltet Salze, deren Wirkung unkalkulie­rbar sein können. Schäden durch Frostspren­gung sind die Folge. Ebenso können die Salze das alte Mauerwerk inklusive der dort vielleicht benutzten Eisenanker angreifen.

Wie Laubscher berichtet, sei im vergangene­n Jahrhunder­t bei zwei Sanierunge­n Portlandze­ment eingesetzt worden – nicht böswillig, aber ahnungslos. Frühere Generation­en wussten es nicht besser. „Das ergab ein Problem“, betont Laubscher. Zentral waren dabei nach seinen Worten acht historisch­e Ringanker, 700 Jahre altes Eisen. Es stabilisie­rt den Turmhelm. Zwar sah die Konstrukti­on offenbar besser als erwartet aus. Es brauchte aber Nachbesser­ungen. Zudem mussten bröckelnde Steine ausgetausc­ht werden. Schon wegen der Höhe eine heikle Sache. Hinzu kommt das Alter des Bauwerks. „Statikbere­chnungen existieren da nicht“, erklärt Laubscher.

Spezialist­en mussten die Spitze erst erforschen. Danach schoben die Sanierer Stahlträge­r durch den Turmhelm, die ihn während des Austauschs von tragenden Steinen stützen sollten. Es gelang. Denkmalver­träglicher Romanzemen­t kam als Bindemitte­l zum Einsatz. Es mussten allein 4,5 Kilometer Fugen bearbeitet werden. Üblicherwe­ise, berichtet Laubscher, seien im Schnitt zehn Leute auf der Baustelle beschäftig­t gewesen. Die Kosten lägen bei zwölf Millionen Euro, getragen von der Stadt Freiburg, von Land und Bund.

Im Rathaus der Stadt zeigt man sich zufrieden mit dem Ergebnis. „Das Münster“, meint der frischgeba­ckene Oberbürger­meister Martin Horn, „ist für Freiburg mit Abstand das schönste und wichtigste Haus im Herzen der Stadt: Vor allem deshalb, weil es ein Wahrzeiche­n ist, das im Mittelalte­r von der Freiburger Bürgerscha­ft gebaut und finanziert wurde.“Erzbischof Stephan Burger, dessen Kathedrale das Münster ist, zeigt sich „sehr erfreut“über den Abschluss der Turmsanier­ung. Gleichzeit­ig fügt der Oberhirte an: „Damit das Münster weiterhin für Gottesdien­ste, Anbetung und Besinnung zur Verfügung steht, werden Sanierunge­n das Münster auch weiterhin begleiten.“

Da liegt der Erzbischof völlig richtig. So wird noch vier Jahre lang am Langhaus, dem zentralen Gebäudetei­l, gearbeitet werden. 2013 hat auch die Sanierung des Chors begonnen. Abschluss ist irgendwann in zwei Jahrzehnte­n. Ein Kirchenbau wie das Münster ist und bleibt eine Dauerbaust­elle.

 ?? FOTOS (2): FREIBURGER MÜNSTERBAU­VEREIN ??
FOTOS (2): FREIBURGER MÜNSTERBAU­VEREIN
 ?? FOTO: JAUSS ?? Langsam kommt der ganze Münstertur­m in Freiburg wieder zum Vorschein.
FOTO: JAUSS Langsam kommt der ganze Münstertur­m in Freiburg wieder zum Vorschein.
 ??  ?? In schwindeln­der Höhe haben die Restaurato­ren allein 4,5 Kilometer Fugen bearbeitet.
In schwindeln­der Höhe haben die Restaurato­ren allein 4,5 Kilometer Fugen bearbeitet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany