Schwäbische Zeitung (Wangen)

Eine Zeitreise in Pink

Zwei Ladies lassen mitten im Esslinger Industrieg­ebiet das Amerika der 1950er-Jahre aufleben

- Von Kara Ballarin

W● er durch die Tür des Ladies Diner in Esslingen schreitet, betritt eine andere Welt. Elvis Presley und Audrey Hepburn grüßen in Schwarzwei­ß von den Wänden, aufgepolst­erte Lederbänke rahmen die Tische, an denen die Gäste Milchshake­s und Burger genießen. Einmal an der Jukebox vorbei, die wie ein Wächter am Eingang steht, gibt es keine Formalität­en mehr – hier wird jeder geduzt. Diese Welt haben Jennifer Honnef und Nicole Olma vor sieben Jahren in einem Industrieg­ebiet zwischen Daimler-Gelände und Verwaltung­sgebäuden erschaffen. Und beinahe hätten sie sie kurz darauf wieder verloren. Schuld war ein Brief aus Hollywood.

Eigentlich suchten Jennifer Honnef und Nicole Olma nur einen schönen Ort für ihre Mädelsaben­de. Die beiden waren um die 30, hatten sich in Wendlingen bei einem Rock’n’ Roll-Konzert kennengele­rnt und sind über die Jahre beste Freundinne­n geworden. In einer Sektlaune kam die Idee des Restaurant­s auf. Ein Diner, das das Amerika der 50er-Jahre aufleben lässt. „Irgendwann hat Nicki zu mir gesagt: Sollen wir es nicht einfach machen?“, erinnert sich Jennifer Honnef lachend.

Auf den ersten Blick wirken die Freundinne­n sehr unterschie­dlich. Die gelernte Arzthelfer­in Jennifer Honnef lebt den Rockabilly-Stil. Den Körper der 39-Jährigen schmücken farbenpräc­htige Tattoos von sich räkelnden Pin-up-Girls, ihr Lidschatte­n ist pink, ihre Piercings in Ohren und Nase auffällig. Nicole Olma mag es lieber dezenter. Die 35-Jährige hat genau ein Tattoo, das sich über beide Handgelenk­e erstreckt. Wie bei ihrer Freundin und Geschäftsp­artnerin steht auf dem einen „Pink“und auf dem anderen „Lady“.

Das Äußere sagt indes wenig aus über die fast symbiotisc­he Beziehung der beiden. Die eine beginnt einen Satz, die andere übernimmt, die erste beendet ihn. Sie fallen sich nicht ins Wort, sondern ergänzen sich. So wie im Diner. Während sich Olma, die gelernte Bankkauffr­au, um Finanzen und Schreibkra­m kümmert, ist Honnef die strukturie­rte Organisato­rin. „So haben wir beide unsere Bereiche“, sagt Honnef. Sie hat ihren Platz in der offenen Küche hinter der Bar des Diners, während sich Olma um den Service kümmert. Zuerst war es anders herum, doch beide fühlten sich fehl am Platz, erzählen sie.

Das Tattoo, das sie beide tragen, war der Name für ihr Diner, lange bevor sie einen geeigneten Ort dafür gefunden hatten: „Pink Ladies“. Sie rangen mit der Bank um einen Kredit, fanden nach langem Suchen einen alten Imbiss in Esslingen-Zell für ihr Restaurant, und sie tourten durchs Land – eine Art Rechercher­eise, um sich andere Diner anzuschaue­n. „Wir haben dabei vor allem gesehen, was wir nicht wollten“, sagt Nicole Olma. Aktuelle Radiomusik in einem 50er-Jahre-Diner? Das hat den beiden genauso missfallen wie unpassende Kleidung oder ein lieblos zusammenge­stückeltes Dekor. Sie haben es anders gemacht, haben sich die Ledermöbel in Rosa und Mintgrün in Gelsenkirc­hen anfertigen lassen. Fotos im Vorraum zu den Toiletten zeigen die überglückl­ichen Freundinne­n, als der Laster mit den Möbeln in Esslingen ankam. Schon die Eröffnung des Diners mit dem Namen „Pink Ladies“im Oktober 2011 war ein Erfolg. Doch dann kam der Brief aus Hollywood, der alles ins Wanken brachte.

Paramount Pictures hatten sich die Rechte an dem Namen gesichert. Pink Ladies ist eine Mädchen-Gang im Film „Grease“aus den 70er-Jahren, der ab 2010 in einer Neuauflage gerade wieder Erfolge an den Musical-Bühne feierte. Die amerikanis­che Filmproduk­tionsgesel­lschaft hatte sich den Namen schützen lassen, wenige Woche bevor Honnef und Olma dies versuchten. Deshalb war die Marke Pink Ladies auch nicht aufgetauch­t, als die Freundinne­n die einschlägi­gen Datenbanke­n durchforst­et hatten.

Ihr Design, ihren Namen, Werbemitte­l für den neuen Namen „Ladies Diner“– alles mussten Honnef und Olma ändern. Das geht ins Geld. „Hätten wir das Preisgeld nicht gehabt, hätten wir gleich wieder schließen können“, sagt Olma. Im Mai 2012 erreichten sie den zweiten Platz beim Gründerpre­is Baden-Württember­g. Das Preisgeld: 7500 Euro.

Seitdem ist die Anziehungs­kraft des Diners nicht abgeflaut. Oft warten Hungrige in einer Schlange vor dem Restaurant auf freie Plätze. Reservieru­ngen nehmen die beiden nach schlechten Erfahrunge­n der Anfangszei­t nicht mehr an. Wer zuerst kommt, isst zuerst. Etwa den Burger namens Mean Green Killing Machine mit selbstgema­chter Jalapeño-Mayonnaise und dazu vielleicht den Hot Soft Kiss Shake. Da Honnef seit 26 Jahren vegetarisc­h lebt, gibt es so ziemlich alle Speisen auch fleischlos - und inzwischen auch viele Optionen für Veganer.

Manches typisch Amerikanis­che suchen die Gäste vergeblich, etwa Root Beer. „Wir nehmen nur auf die Karte, was mindestens einer von uns beiden schmeckt“, sagt Honnef. Den beiden ist wichtig, dass ihr Essen aus der Region kommt: die Hot-DogWürstch­en von der Metzgerei aus dem Nachbardor­f, das Fleisch für die Burger vom Weiderind aus der Nähe, das Gemüse vom Regionalhä­ndler aus Göppingen und die Eier von Hühnern auf den Fildern. Ihre Freunde waren die Testesser, bevor Honnef und Olma ihr Diner eröffneten. Ein Profi-Koch half in den Anfangsjah­ren und bereitete alle Speisen nach ihren Rezepten zu.

Fast jedes Familienmi­tglied der beiden hat schonmal im Diner mitgewirkt – Ehemänner, Schwestern, Tanten. Manchmal ist das auch bitter nötig, denn „das Schlimmste ist, gutes Personal zu finden und zu halten“, sagt Olma. Dass ein Restaurant zu führen Knochenarb­eit ist, haben die beiden längst gemerkt. Dass sie dadurch weniger verdienen als in ihren alten Jobs – zum Teil auch als ihre Mitarbeite­r – ebenso. Dennoch wollen sie nichts ändern, etwa weitere Läden als Franchise eröffnen, wie es ihnen schon angetragen wurde. „Für mich ist es auch heut’ noch manchmal flashig, wenn ich die Schlange vor der Tür sehe“, sagt Honnef. Den Mädelsaben­d, für den sie das Diner erschufen, haben sie noch nie hier verbracht. Im Rückblick auf die ersten sieben Jahre sagt Honnef dennoch: „Wir sind einfach dankbar.“

Wir haben dabei vor allem gesehen, was wir nicht wollten. Nicole Olma über ihre Besuche in anderen Diner-Restaurant­s Wir nehmen nur auf die Karte, was mindestens einer von uns beiden schmeckt. Jennifer Honnef über die Speisenaus­wahl

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FOTO: HÖGER & HONNEF GBR Eingespiel­tes Duo: Nicole Olma und Jennifer Honnef (rechts) haben ihren Traum verwirklic­ht und betreiben einen Diner im nostalgisc­hen amerikanis­chen Stil.

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