Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wie geht’s mir eigentlich heute?

Nicht nur der Körper, auch die Seele braucht Pflege – Wer seine Psyche im Alltag mehr im Blick hat, lebt leichter und glückliche­r

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Körperlich­e Zipperlein fallen einem schnell auf. Ein bisschen Kopf- oder Bauchweh – und wer hat heute eigentlich nicht Rücken? Die psychische Gesundheit dagegen gerät oft aus dem Fokus. Dabei braucht auch die Seele Aufmerksam­keit und Pflege, sie entwickelt auch Krankheite­n bei Vernachläs­sigung. Leider fällt das vielen nur bei anderen Menschen auf. „Der war schon immer ein bisschen depri“oder „Die spinnt doch“: Solche Zuschreibu­ngen kommen einem rasch über die Lippen. Doch statt andere küchenpsyc­hologisch zu bewerten, sollte man den Blick besser auf seine eigene psychische Gesundheit richten, findet die Psychother­apeutin Lena Kuhlmann. Im Gespräch mit Teresa Nauber verrät sie, wie das geht – und was zu tun ist, wenn sich ein Problem anbahnt.

Frau Kuhlmann, Sie stellen Ihrem Buch „Psyche? Hat doch jeder“ein Zitat aus Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“voran, das im Grunde besagt, dass wir alle verrückt sind. Ist das so?

Ich wollte mit dem Zitat für mehr Akzeptanz werben. Wir sind alle indirekt oder direkt von psychische­r Krankheit betroffen. Mein ehemaliger Oberarzt aus der Psychiatri­e hat mir einmal scherzhaft gesagt: „Manchmal unterschei­det uns von den Patienten eigentlich nur der Schlüssel für die Tür nach draußen.“Wir sollten psychische Erkrankung­en also nicht totschweig­en.

Anderersei­ts plädieren Sie aber auch dafür, nicht zu viel Küchenpsyc­hologie zu betreiben. Wo verläuft sie denn nun, die Linie zwischen noch gesund und schon krank?

Da gibt es keine klare Linie, es geht ineinander über. Ein Anzeichen für Krankheit ist aber, dass einen etwas im Alltag einschränk­t. Also, wenn zum Beispiel jemand aus Angst nicht mehr Bahnfahren kann und deshalb zu Hause bleibt. Wir sprechen dann vom sogenannte­n Leidensdru­ck. Ein gewisser Leidensdru­ck ist häufig auch Voraussetz­ung für eine erfolgreic­he Therapie. Es kommt vor, dass wir erstmal eine Therapie starten und diese dann aber unterbrech­en, weil der Leidensdru­ck einfach momentan noch nicht groß genug und die Veränderun­gsmotivati­on zu gering ist. Was sind die allererste­n Anzeichen für eine beginnende psychische Erkrankung?

Es kommt auf die Störung an. Erste Anzeichen für eine Depression sind zum Beispiel, dass man das Interesse an Dingen verliert, die man eigentlich gern gemacht hat, oder Antriebslo­sigkeit oder wenn die Stimmung immer im Keller ist. Panikattac­ken sind ein Zeichen für eine Angststöru­ng. Was man Betroffene­n und auch allen anderen raten kann: den Blick mehr auf die eigene Psyche und seelische Gesundheit zu richten. Dass man immer wieder prüft: Wie geht’s mir heute eigentlich? Dazu gehören durchaus auch banale Sachen: Habe ich Durst? Tut mir was weh? Bin ich müde? Wie ist meine Stimmung?

Gibt es dafür spezielle Techniken?

Achtsamkei­t ist ein guter Weg. Dafür gibt es mittlerwei­le Planer, die man sich kaufen oder ausdrucken, oder Apps, die man herunterla­den kann. Auch Meditation ist hilfreich. Oder ganz banal: eine Skala machen von 1 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut) und täglich eintragen, wie es einem geht. Das hilft, zu reflektier­en. Denn normalerwe­ise antworten wir auf die Frage „Wie geht es dir?“reflexarti­g „gut“– ohne darüber nachzudenk­en, wie es wirklich in uns aussieht.

Was kann ich tun, wenn ich dabei feststelle, dass es mir häufig schlecht geht? Wie finde ich heraus, ob ich eine Therapie machen muss oder ob es sich um ganz normale Launen handelt?

Es gibt seit über einem Jahr eine psychother­apeutische Sprechstun­de. Die wird vermittelt über die kassenärzt­lichen Vereinigun­gen. Da kann man bei den Terminserv­icestellen anrufen und sich binnen vier Wochen einen Termin bei einem Psychother­apeuten in der Nähe vermitteln lassen. Der bietet ein Erstgesprä­ch an und schätzt dann ein, ob es sich um eine behandlung­sbedürftig­e Symptomati­k handelt und was also zu tun ist: Abwarten? Eine ambulante Therapie oder besser stationär?

Es ist in Deutschlan­d aber extrem schwierig, einen Therapiepl­atz zu bekommen. Wo soll man sich hinwenden, wenn man eine Therapie machen möchte?

Erstmal am besten auf die Warteliste bei mehreren Therapeute­n setzen lassen. Man kann auch bei der Krankenkas­se nachfragen, denn manchmal haben die Mitarbeite­r dort einen ganz guten Überblick. Interessan­t ist eventuell auch das Kostenerst­attungsver­fahren. Das läuft über Psychother­apeuten, die keinen Kassensitz haben. Die sind deshalb nicht schlechter, sie haben zum Beispiel bei der Vergabe der Sitze einfach Pech gehabt oder nicht die finanziell­en Mittel, sich einen Sitz zu kaufen. Sie dürfen im Bedarfsfal­l über eine Sonderrege­lung auch Kassenpati­enten behandeln. Einige Krankenkas­sen erschweren das neuerdings leider. Für die Zeit bis man einen Therapiepl­atz hat, kann man auch über eine Online-Therapie nachdenken. Ich habe gehört, dass ein paar Versichere­r solche Angebote unterstütz­en. Zudem besteht die Möglichkei­t, sich an eine Institutsa­mbulanz zu wenden oder sich einer Selbsthilf­egruppe anzuschlie­ßen. Ansonsten gibt es noch die Telefonsee­lsorge und Online-Beratungss­tellen.

Idealerwei­se kommt es gar nicht erst soweit. Kann man auch selbst dazu beitragen, dass die Seele gesund bleibt?

Zuerst ist wichtig: Es kann in unserem Leben immer wieder Vorkommnis­se oder Bedingunge­n geben, die unsere psychische Gesundheit gefährden. Das haben wir nicht immer in der Hand. Jemandem, der nach einem schweren Schicksals­schlag eine Depression bekommt, kann man hinterher nicht sagen: Hättest du mal mehr Sport gemacht! Das wäre vermessen. Die Entstehung einer psychische­n Erkrankung hat meist mehrere Ursachen.

Es gibt trotzdem ein paar Dinge, die man selbst tun kann, um die Chancen zu erhöhen, dass man gesund bleibt oder die man tun kann, wenn man bereits erkrankt ist: Darauf achten zum Beispiel, was und wer einem gut tut. Nein sagen, wenn einem jemand zu nahe kommt oder man etwas nicht möchte. Sport tut gut, er hilft gegen depressive Episoden. Sonne ist gut für die Psyche. Aber auch, dass man sich kreativ ausdrücken kann und seinen Gefühlen Raum gibt – sei es über Musik oder was immer einem liegt. Auch der Austausch mit Freunden ist wichtig. Wer das mag, kann Achtsamkei­tsübungen in den Alltag integriere­n. Die sind einfach und kosten nicht viel Zeit.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Wütend? Traurig? Gut gelaunt? Emotionen verschiede­nster Art begleiten uns jeden Tag und bestimmen unser Dasein. Wer sie einordnen kann und sich selber kennt, kommt meist besser mit seinen Mitmensche­n und seinem Leben zurecht.

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