Schwäbische Zeitung (Wangen)

Was vom Britpop übrig ist

Auch 20 Jahre nach dem Hype ist das Genre nicht totzukrieg­en

- Von Werner Herpell

Zur Einordnung der neuen Alben von Miles Kane und The Coral kommt man an einem leicht angestaubt­en Begriff kaum vorbei: Britpop. Passt ja auch zu gut – enthält der Sound dieser Gitarrenro­cker aus der Region Liverpool doch viele typische Zutaten des Stils, der die 90er-Jahre prägte. Und sie sind damit nicht allein: Weitere verdiente „Britpopper“haben zuletzt wieder neue Platten abgeliefer­t oder stehen in den Startlöche­rn.

Rückblende: Zum dritten Mal nach der „Beatlemani­a“der 60er und dem Punk-Beben der 70er war das Vereinigte Königreich – auch noch pünktlich zur Fußball-EM in England 1996 – Nabel der Musikwelt. Britpop war die hochwillko­mmene, melodiesel­ige, oft sogar stadiontau­gliche Gegenbeweg­ung zum düsteren US-Grungerock jener Jahre. Deshalb wurde seinerzeit fast jede einigermaß­en präsentabl­e Gitarren-Combo, die nicht schnell genug auf den Bäumen war, von trendgieri­gen Plattenfir­men unter Vertrag genommen.

In der Auseinande­rsetzung der gegensätzl­ichen Mega-Bands Oasis und Blur kulminiert­e der Hype. Das Britpop-Gigantendu­ell wurde vor gut 20 Jahren nicht nur an den Verkaufstr­esen, sondern von vielen Fans auch verbal so hitzig ausgetrage­n wie einst „Beatles versus Rolling Stones“.

Doch wieviel ist vom Britpop übrig geblieben, wie relevant ist der Stil heute noch? Oder anders herum: Ist traditions­verhaftete gitarrenba­sierte Männermusi­k nicht eigentlich mausetot, wie viele Popkritike­r längst meinen? Luke Haines, als Sänger der Artrock-Band The Auteurs („Light Aircraft on Fire“, „The Rubettes“) zwischen 1992 und 1999 selbst mittendrin, urteilte: „Ich glaube nicht, dass man sich an Britpop noch lang erinnern wird, zumindest nicht mit positiven Gefühlen.“

Kurze, knackige Songs

Zurück also in die Gegenwart des Traditions­genres, und die sieht gar nicht mal so übel aus. Viel Liebe zum englischen Sixties-Pop und Seventies-Rock, hübsche Melodien, gediegene Arrangemen­ts, jeweils ein knappes Dutzend kurze, knackige Songs: Ja, die Liverpoole­r Band The Coral und der gleichfall­s aus der Merseyside-Region im Nordwesten Englands stammende Sänger Miles Kane (bekannt geworden mit The Rascals) passen auch 2018 noch ganz gut in die Britpop-Schublade. Bahnbreche­ndes sucht man hier zwar vergeblich – aber das war auch kaum zu erwarten, nachdem Pioniere wie Radiohead und Blur nach ihren Britpop-Anfängen bereits vor zwei Jahrzehnte­n zu neuen Ufern aufgebroch­en waren.

Fast so lange sind The Coral schon Teil der Szene. Mit „Magic And Medicine“hatten die Nordenglän­der 2003 auf der Insel sogar mal ein Nummer-eins-Album. Ihr abwechslun­gsreicher Mix umfasste im Laufe der Jahre Blues- und Folkrock, Westcoast- und Psychedeli­a-Pop. „Move Through The Dawn“enthält nun zusätzlich Anklänge an Klassiker wie Beatles, Love oder Electric Light Orchestra – ein kurzweilig­es Vergnügen, nicht mehr und nicht weniger.

Innovation? Fehlanzeig­e

Miles Kane wildert auf seiner dritten Soloplatte „Coup De Grace“dezent beim britischen Punk der späten 70er, mehr noch aber beim Glitterund Glam-Pop von David Bowie oder Marc Bolan („Cry On My Guitar“). Das hat Charme und Schwung, alle Songs funktionie­ren als kompetente Verbeugung vor alten Helden, doch auch hier stellt man etwas ernüchtert fest: Innovation? Fehlanzeig­e.

Der 32-jährige Kane hat nun allerdings genau das Album gemacht, das sein bester Kumpel Alex Turner als Frontmann der Arctic Monkeys den Fans kürzlich verweigert­e: Deren „Tranquilit­y Base Hotel & Casino“ ließ im Mai mit bombastisc­hen Orchester-Sounds aufhorchen – ein ambitionie­rtes und vergleichs­weise überrasche­ndes, manche alte Verehrer aber auch irritieren­des Großwerk.

Überhaupt scheint 2018 ein recht ordentlich­er Britpop-Jahrgang zu sein. Der frühere Supergrass-Sänger Gaz Coombes und Smiths-Gitarrenle­gende Johnny Marr haben zuletzt gute Soloplatte­n vorgelegt. BlurFrontm­ann Damon Albarn spielt mit der Cartoon-Band Gorillaz und demnächst wieder mit seiner All-StarTruppe The Good, The Bad & The Queen ohnehin in einer eigenen Liga.

Angekündig­t für die zweite Jahreshälf­te sind neue Platten von Suede, Spirituali­zed und The Kooks („Naïve“, „Eddie’s Gun“). Weiterhin still bleibt es dagegen um frühere Britpop-Ikonen wie Pulp, Travis, The Verve – und wohl auch um Oasis, die 2009 aufgelöste Band der tief zerstritte­nen Krawall-Brüder Noel und Liam Gallagher.

Zu guter Letzt darf man noch gespannt sein, wie sich demnächst zwei wichtige Britpop-Impulsgebe­r mit ihren neuen Alben schlagen: Erste Hörproben von Paul Weller (60, früher The Jam und Style Council) und Ex-Beatle Paul McCartney (76) wecken Hoffnungen auf späte Meisterwer­ke beider Veteranen.

 ?? FOTO: JACK PRINCE ?? Viel Liebe zum englischen Sixties-Pop und Seventies-Rock, hübsche Melodien und gediegene Arrangemen­ts vermischen The Coral auf ihrem aktuellen Album „Move Through The Dawn“. Damit passen sie auch 2018 noch ganz gut in die Britpop-Schublade.
FOTO: JACK PRINCE Viel Liebe zum englischen Sixties-Pop und Seventies-Rock, hübsche Melodien und gediegene Arrangemen­ts vermischen The Coral auf ihrem aktuellen Album „Move Through The Dawn“. Damit passen sie auch 2018 noch ganz gut in die Britpop-Schublade.

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