Schwäbische Zeitung (Wangen)

Netz der Elektrotan­kstellen wächst weiter

Warum die Reichweite­nangst im E-Auto schon bald der Vergangenh­eit angehören könnte

- Von Thomas Geiger

Tesla mit dem Model 3, Audi mit dem E-tron, Jaguar mit dem I-Pace, Mercedes mit dem EQC und bald VW mit dem ersten ID-Derivat – die elektrisch­e Revolution schreitet voran. Die Akkuautos werden deshalb über kurz oder lang vom Nischenmod­ell zum Massenphän­omen. Zwar dürften dabei die Preise sinken und die Akkukapazi­täten immer alltagstau­glichere Reichweite­n ermögliche­n, glaubt Hans-Georg Marmit, Experte von der Sachverstä­ndigen-Organisati­on KÜS. Doch ein Problem bleibt und wird sich mit der größeren Fahrzeugdi­chte sogar noch verschärfe­n: Es mangelt noch immer an einer ausreichen­den Ladeinfras­truktur. Doch Abhilfe scheint in Sicht.

„Ohne eine funktionie­rende Ladeinfras­truktur ist der Durchbruch nicht zu schaffen“, sagt Marmit und macht eine ausreichen­de Anzahl von gut zugänglich­en Ladesäulen mit großer Leistung zur Grundvorau­ssetzung für den nachhaltig­en Erfolg der Elektroaut­os. Was das bringt, kann man am Beispiel von Tesla sehen, sagt Automobilw­irtschaftl­er Ferdinand Dudenhöffe­r. Denn das Verdienst von Firmenchef Elon Musk sei nicht nur die Einführung der Elektroaut­os. Sondern ein Grund für seinen Erfolg sei ganz sicher auch das Netz der anfangs sogar kostenlose­n Supercharg­er, mit dem er seinen Kunden die Angst vor Versorgung­slücken genommen und so viele zum Umsteigen bewegt hat, so der Professor an der Universitä­t Duisburg-Essen.

Aufladen in 15 Minuten

Das haben mittlerwei­le offenbar auch die neuen Protagonis­ten der elektrisch­en Revolution erkannt und in ganz Europa Initiative­n zum Aufund Ausbau der Netze gestartet. Die größte davon läuft unter dem Namen Ionity, für die sich BMW, Daimler, Ford, Audi und Porsche zusammenge­tan haben. Bis 2020 wollen sie rund 400 neue Schnelllad­estationen entlang der Hauptverke­hrsachsen in Europa einrichten, sagt Pressespre­cher Paul Entwistle und verweist auf Partnersch­aften mit Unternehme­n wie Shell oder OMV, die als Tankstelle­nbetreiber die passenden Standorte bereitstel­len könnten. Dabei plant Ionity vor allem Hochleistu­ngsladesäu­len, wo entspreche­nd ausgerüste­te E-Autos 80 Prozent ihrer Batterieka­pazität im besten Fall in 15 Minuten aufladen können.

In ähnlichen Dimensione­n denken die Partner Allego und Fortum, die bis 2025 das lückenlose Laden von E-Autos ermögliche­n wollen: Unter dem Namen Mega-E sollen 322 Standorte mit ultraschne­llen Ladesäulen inklusive 39 E-Lade-Hubs in 20 Ländern entstehen. Gerade diese Ladeknoten machen für FortumChef Rami Syväri den Charme des Netzes aus: „Diese E-Lade-Hubs kombiniere­n mehrere Ladelösung­en, um unterschie­dliche Anforderun­gen und Ladegeschw­indigkeite­n zu bedienen“, sagt Syväri, und AllegoChef­in Anja van Niersen ergänzt: „Wir glauben an eine offene Infrastruk­tur. So wollen wir jeden E-Autofahrer und unterschie­dlichste Automodell­e bedienen.“

Das könnte ein vielverspr­echender Ansatz sein. Denn mit immer mehr Ladesäulen und immer größeren Kapazitäte­n alleine ist es nicht getan, mahnt Andreas Radics von der Strategieb­eratung Berylls in München. Sondern die Nutzung müsse vereinfach­t werden. Das beginne bei der zentralen Lage und der Zugänglich­keit der Säulen etwa in den Innenstädt­en und ende bei den Bezahlsyst­emen, die nicht kompatibel genug seien und die Kunden in Insellösun­gen zwingen würden.

War die Infrastruk­tur bislang häufig von regionalen Versorgern mit sehr spezifisch­en Angeboten geprägt, sieht Radics durch Initiative­n wie Ionity eine Profession­alisierung des Geschäfts. Die Kompatibil­ität der Abrechnung­ssysteme werde sich über kurz oder lang durch mobile Bezahldien­ste wie Apple oder Google Pay einstellen.

„Größere Batterieka­pazitäten, höhere Ladegeschw­indigkeite­n und diverse Infrastruk­turinitiat­iven wie Ionity, Mega-E, Ultra-E oder Fast-E werden die Reichweite­nangst schmelzen lassen“, sagt Radics und rechnet mit einem Drei-Stufen-Modell: „Wir erwarten High Power Charging-Stationen im Stil von Tankstelle­n, dazu ein engmaschig­eres Netz von Lademöglic­hkeiten mit bis zu 50 kW beim Handel und im öffentlich­en Raum sowie Wallboxen mit bis zu 22 kW daheim oder am Arbeitspla­tz.“

Die übliche Henne-Ei-Diskussion über Fahrzeugve­rfügbarkei­t und Infrastruk­turdichte sollte sich dann erledigt haben, ist Radics überzeugt. Schließlic­h habe das Verkehrsmi­nisterium im vergangene­n Jahr ein 300 Millionen Euro schweres Förderprog­ramm für den Ausbau der Ladeinfras­truktur genehmigt, mit dem 15 000 Ladesäulen geschaffen werden sollen. „Wenn das umgesetzt ist, haben wir in Deutschlan­d zum ersten Mal mehr Ladesäulen als konvention­elle Tankstelle­n.“(dpa)

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FOTO: DPA Unter dem Namen Ionity wollen BMW, Daimler, Ford, Audi und Porsche bis 2020 rund 400 neue Schnelllad­estationen entlang der Hauptverke­hrsachsen in Europa einrichten.

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