Schwäbische Zeitung (Wangen)

Den keiner einfangen kann

Hochspring­er Mateusz Przybylko rockt das Olympiasta­dion, Weitspring­erin Malaika Mihambo holt fast zur gleichen Zeit Gold

- Von Jürgen Schattmann

BERLIN - Es gibt Menschen, die sind nicht zu stoppen – nicht verbal, nicht sportlich, nicht in puncto Enthusiasm­us. Sprinterin Gina Lückenkemp­er gehört zu ihnen, aber auch ein gewisser Mateusz Przybylko aus Bielefeld. Der 26-Jährige war am Freitag und Samstag eine Art Hans Dampf in allen Gassen. Wo auch immer jemand im Olympiasta­dion aufschrie, klatschte oder einen Witz riss, war Przybylko nicht weit, exakt formuliert: Fast immer war Przybylko selbst der Conferenci­er, der die anderen mitzureiße­n versuchte. Nur eines riss der Hochspring­er nicht: die Latte. Erst bei 2,38 Meter. Aber da war er schon Europameis­ter.

Vor einem Jahr ging der Stern von Mateusz Pryzbylko auf. In Bottrop übersprang er 2,35, bei der WM in London wurde er mit 2,29 Fünfter. Vor der EM träumte er laut vom Sieg. Welch Wettkämpfe­r er ist, bewies er dann im Stadion – einer, der zuerst mitreißt und sich dann mitreißen lässt, der mit Fäusten und großen Gesten arbeitet, einer, der sich so pushen kann, dass er selbst nah am Herzinfark­t ist. „Er hat eine fantastisc­he Leistung gebracht, aber ich hatte Mühe, ihn zu bremsen“, sagte Trainer Hans-Jörg Thomaskamp.

Noch vor zehn Tagen war der russische 2,40-Springer Danil Lyssenko der große Goldfavori­t gewesen – dann wurde er wegen verpasster Dopingtest­s von der EM ausgeschlo­ssen. Im Finale sah es lange nach einem Sieg des blutjungen Weißrussen Maxim Nedasekau (20) aus, der elegant und spielerisc­h über jede Höhe flog. Przybylko, eher ein Kampfflieg­er, hielt mit seiner perfekten Brücke über der Latte dagegen – und stellte schließlic­h seine Bestleistu­ng ein. „Geile Show, die ich gemacht habe, oder?“, fragte er. Und beantworte­te sich die Frage selbst: „Ich wollte immer eine Goldmedail­le und mit einer Fahne in der Hand durchs Stadion laufen. Es ist der Wahnsinn.“

Przybylko ist jetzt berühmt, so wie sein Vater, der polnische Ex-Fußball-Nationalsp­ieler, berühmter jedenfalls als sein kickender, ein Jahr jüngerer Bruder Kacper (Köln, Lautern, derzeit vereinslos). Und womöglich lässt sich sein Titel auch versilbern: Für Duracell-Batterien könnte er Werbung machen, auch für Handy-Akkus: Läuft immer, schläft nie, springt oder spricht gerade. Tatsächlic­h ließ sich Przybylko im ZDFIntervi­ew nicht mal von einem Wadenkramp­f aufhalten: Stöhnend, gebückt und den Fuß haltend plapperte er einfach weiter.

Malaika Mihambo freute sich vor allem nach innen

So bekam er auch nicht mit, dass neben ihm Weitspring­erin Malaika Mihambo mit einem Satz auf 6,75 m im dritten Versuch (nach zwei ungültigen zuvor) fast gleichzeit­ig das zweite deutsche Gold in dieser Nacht geholt hatte. „Wat? Geil, ja super!“, staunte er: „Wir waren immer eine Werfergene­ration, jetzt kommen langsam auch die Springer aus ihren Ecken.“

Bloß, dass sich die 24-Jährige von der LG Kurpfalz – auch für sie war es der erste internatio­nale Titel – auf absolut gegensätzl­iche Art freute: nach innen. Als ihr Sieg feststand, verzog die gebürtige Heidelberg­erin, deren Vater aus Sansibar stammt, nicht mal den Mundwinkel. Sie hatte ja noch einen Sprung, und mit dem wollte sie in die Statistikb­ücher. „Ich war mit meiner Weite nicht so zufrieden, ich wollte noch mehr“, sagte die EM-Dritte von 2016. „Aber das war heute wohl nicht möglich, für alle nicht.“

Während Mihambo Mühe haben wird, den deutschen Rekord (7,48) von Heike Drechsler – übrigens als Kampfricht­erin in Berlin im Einsatz – eines Tages zu brechen, hat es Przybylko nicht mehr weit. Am Samstag scheiterte er noch an der 34 Jahre alten Marke von Hochsprung-Idol Carlo Thränhardt (2,37), auch der hat allerdings Gefallen an Przybylko gefunden: „Ich würde ihm den Rekord gönnen. Irgendwann wird er auch fällig.“

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FOTO: IMAGO So fliegt man richtig – Mateusz Przybylko.

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