Schwäbische Zeitung (Wangen)

Hausgemach­te Wirtschaft­skrise

- Von Benjamin Wagener b.wagener@schwaebisc­he.de

Der extreme Absturz der türkischen Lira ist der Spiegel, den die Wirtschaft Recep Tayyip Erdogan vorhält. Die Kapitalmär­kte – also die Summe aller Investitio­nsentschei­dungen von Anlegern, Unternehme­rn und Fonds auf der ganzen Welt – ziehen ihr Geld aus der Türkei ab: Sie verkaufen Bonds und Anleihen, legen ihr Geld lieber in Euro oder Dollar an und werden höhere Zinsen verlangen, wenn Unternehme­n aus der Türkei oder gar der türkische Staat selbst in Zukunft Kredite aufnehmen wollen.

Diese Reaktion ist weder von USPräsiden­t Donald Trump, noch von der EU oder gar von Kanzlerin Angela Merkel gesteuert. Sie gründet sich auf die Tatsache, dass weltweit Investoren ihr Vertrauen in die Politik Erdogans verloren haben. Der Streit mit der EU und den USA, der Druck auf die türkische Notenbank haben die Anleger verunsiche­rt. Die staatliche­n Kreditgara­ntien und die expansive Geldpoliti­k, mit denen der türkische Präsident 2017 gegenzuste­uern versuchte, wirken nicht mehr. Die Inflation steigt, der Wert der Lira sinkt.

Erdogan hat sich in eine Zwangslage hineinmanö­vriert, aus der es so gut wie kein Entrinnen gibt. Um die Kapitalflu­cht und den Währungsve­rfall zu stoppen, müsste die Notenbank die Zinsen erhöhen, was die türkische Wirtschaft in die Rezession treiben könnte. Doch auch wenn die Lira im Vergleich zu Dollar und Euro weiter auf so einem niedrigen Kurs verharrt, drohen Gefahren, weil viele türkische Unternehme­n in ausländisc­hen Währungen verschulde­t sind.

Das Risiko für die deutsche Wirtschaft ist gering. Zwar spüren vor allem die Maschinenb­auer bereits die Not ihrer türkischen Kunden, die zuletzt deutlich weniger bestellten als zuvor, trotzdem gingen 2017 nur 1,68 Prozent aller deutschen Exporte in die Türkei. Auch die deutschen Banken haben türkischen Unternehme­n weniger Geld geliehen als Geldhäuser aus Italien, Frankreich und vor allem aus Spanien. Trotzdem liegt es im deutschen und europäisch­en Interesse, einen Absturz der Türkei zu verhindern. Das Land ist trotz aller Konflikte ein wichtiger Faktor für die Stabilität im Nahen Osten.

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