Im Kampf gegen lockere US-Waffengesetze
Überlebende Schüler des Massakers von Parkland organisieren Bürgerforen in 60 Städten
WASHINGTON - Die Bewegung für strengere Waffengesetze wird angeführt von Schülern aus Parkland, Florida, die vor einem halben Jahr das Massaker in ihrer High School überlebt haben. Innerhalb von zwei Monaten haben sie Bürgerforen in 60 Städten organisiert.
Lauren Hogg sitzt vor einem Kirchenaltar, blass und erschöpft. Ihre Sommerferien hat sie damit verbracht, in einem Bus quer durch Amerika zu fahren. Die Älteren behaupteten ja immer, ihre Generation sei zu bequem, interessiere sich für nichts und starre obendrein immer aufs Handy, sagt die 15-Jährige. Auch ihre Mutter ermahne sie ständig, sie möge das Smartphone endlich aus der Hand legen. „Aber das ist nun mal die Art, wie wir kommunizieren. Und weil wir wissen, wie man sich der sozialen Medien bedient, erreichen wir was.“
In Perkasie ist die Botschaft jedenfalls angekommen. In der St. Stephen’s United Church of Christ, der größten Kirche der kleinen Stadt, sind alle Bankreihen besetzt. Viele stehen, viele warten noch draußen. Die Tour „Road to Change“, organisiert von Schülern aus Parkland, die nach dem Massaker an ihrer High School strengere Waffengesetze anmahnen, macht an diesem AugustAbend Halt im Speckgürtel um Philadelphia, bevor es weitergeht Richtung New York. 20 Bundesstaaten, 60 Städte, 75 Auftritte, das alles in knapp zwei Monaten: Nicht einmal Präsidentschaftskandidaten, wirft Lauren Hogg halb im Scherz in die Runde, hätten in so kurzer Zeit so viele Orte besucht.
Hoffnung auf Wandel
„Als Sandy Hook passierte, war ich neun“, fügt sie, nunmehr sehr ernst, hinzu. „Als Pulse passierte, ging ich in die sechste Klasse.“An der SandyHook-Grundschule in Newtown richtete ein geistig verwirrter Täter ein Blutbad unter Erstklässlern an. Der Name Pulse steht für einen Schwulenclub in Orlando, in dem ein Angreifer, der sich zum „Islamischen Staat“bekannte, 49 Menschen erschoss.
„Beide Male verstand ich, dass wir ein Problem haben. Ich habe nur nicht geglaubt, dass es sich lösen lässt“, blendet Lauren Hogg zurück. „Doch als ich in Parkland meine Freunde verlor, blieb mir keine andere Wahl, da musste ich etwas tun.“Das sei ja das Ding mit der Schusswaffengewalt: „Es betrifft dich nicht, bis es dich ganz plötzlich betrifft.“Früher habe sich nach so einer Hiobsbotschaft ein Gefühl der Hilflosigkeit mit der Trauer vermischt. Diesmal sei das anders, diesmal spüre sie Hoffnung, die Hoffnung auf Wandel. Irgendwann ruft Hogg drei Buchstaben in den Saal und fordert das Publikum auf, sie im Chor zu wiederholen. R, E, V. Register, Educate, Vote: Man möge sich ins Wahlregister eintragen, sich bilden und informieren und am Wahltag tatsächlich wählen gehen.
Den Ärger über allzu lockere Waffenparagraphen in politische Konsequenzen umzumünzen, darauf zielt sie im Kern ab, die strapaziöse Bustour. Vertritt ein Kandidat die Agenda der NRA, der National Rifle Association, soll er beim Kongressvotum im November die Ablehnung des Souveräns zu spüren bekommen. Gerade die Jüngeren, die sich bisweilen schwer damit tun, in ein Wahllokal zu gehen, sollen ihren Einfluss endlich in die Waagschale werfen. Gekippt ist sie längst, die Stimmung im Land. 67 Prozent der Amerikaner, haben die Meinungsforscher des Gallup-Instituts herausgefunden, plädieren für strengere Auflagen beim Verkauf von Gewehren und Revolvern – vor vier Jahren waren es 47 Prozent gewesen. Doch im Parlament dominiert nach wie vor, mehrheitlich gebildet von Republikanern, aber auch von Demokraten aus ländlich geprägten Landstrichen, die NRA-Fraktion. Das soll sich ändern. Vier Millionen US-Bürger werden in diesem Jahr 18 Jahre, hat Cameron Kasky, einer der Organisatoren der „Road to Change“, vorgerechnet. „Wenn jeder von denen seine Stimme abgibt, wenn er Freunden und Verwandten ins Gewissen redet, können wir es schaffen.“
Dabei liest sich der Forderungskatalog der Parkland-Teenager allenfalls wie das Programm für eine Minireform. Magazine mit hoher Kapazität sollen verboten, die Personalüberprüfungen vor einem Waffenkauf ausgedehnt, die Forschung über die Ursachen der Schusswaffengewalt soll besser finanziert werden. Auf keines dieser Anliegen hat der Kongress bislang reagiert, bislang gibt es in Washington keinen erfolgversprechenden Versuch, die Gesetzeslage zu ändern. Zehn Bundesstaaten wiederum, allen voran Texas, haben grünes Licht für die Bewaffnung von Lehrern gegeben. In Florida gilt neuerdings, dass ausnahmslos jede Schule von bewaffneten Sicherheitskräften bewacht werden muss. In Kentucky werden an den Schuleingängen verstärkt Metalldetektoren installiert. Bisher ist der Wandel, für den sich die Parkland-Kids engagieren, nicht erkennbar. Mancherorts geht es eher in die entgegengesetzte Richtung.
Noch etwas, sagt Lauren Hogg, gehe ihr gegen den Strich. Die Art, wie die Medien berichten. Dass sie nach spektakulären Attacken jedes noch so kleine Detail vermelden, aber praktisch nichts bringen über die alltägliche Waffengewalt. Besonders dann, wenn es sich um Gegenden handle, in denen Ärmere leben, oft Menschen mit dunkler Haut, nicht die weiße Mittelschicht. Als kurz nach der Tragödie von Parkland in einem solchen Viertel in Miami Schüsse an einer Schule fielen, habe kein Sender einen Reporter in diese Schule geschickt. „Eine Aufnahme aus der Luft, das war’s, das war alles.“