Schwäbische Zeitung (Wangen)

Schweizer Kapital als Motor der Industrial­isierung Oberschwab­ens

Der Wirtschaft­sraum Bodensee blühte im 19. Jahrhunder­t auf

- Von Peter Eitel

Mit der Gründung des Deutschen Zollverein­s 1834 entstand in unmittelba­rer Nachbarsch­aft zur Schweiz ein großer einheitlic­her Wirtschaft­sraum ohne Zollschran­ken. Wenige Jahre später setzte der Bau von Eisenbahns­trecken in ganz Mitteleuro­pa ein. Diese Entwicklun­g stellte auch die Eidgenosse­n vor neue Herausford­erungen und beflügelte die unternehme­rische Phantasie einiger weitsichti­ger Schweizer Fabrikante­n und Kaufleute.

Industrief­reundliche Politik

Die Chancen, die sich hier Schweizer Unternehme­n boten, erkannte ziemlich früh die Direktion der großen, 1805 von Hans Caspar Escher und Salomon von Wyss gegründete­n Maschinenf­abrik Escher Wyss & Cie. in Zürich, die auf die Herstellun­g von Wasserräde­rn, Pumpen und Spinnmasch­inen, Dampfmasch­inen und Dampfschif­fen spezialisi­ert war.

Oberschwab­en, das seit 1853 Bahnanschl­uss an das ganze bis dahin bestehende deutsche Eisenbahnn­etz besaß, das zudem nicht allzu weit von Zürich entfernt lag und als alte Textilgewe­rbelandsch­aft ein großes Potenzial an Handwerker­n aufwies, erschien den Unternehme­rn an der Limmat besonders interessan­t. Hinzu kam eine industrief­reundliche Politik der württember­gischen Regierung, die sich um die Ansiedlung neuer Industrieb­etriebe bemühte und versuchte, fremde Firmen mit steuerlich­en Vergünstig­ungen und herabgeset­zten Bahntarife­n ins Land zu locken.

Der Standort Ravensburg

1853 entsandte Escher Wyss den Ingenieur und Wasserkraf­tspezialis­ten Walter Zuppinger (1814–1889) nach Oberschwab­en, um einen geeigneten Standort für einen Zweigbetri­eb der Firma ausfindig zu machen. In Ravensburg fand Zuppinger in Stadtschul­theiß Franz von Zwerger einen aufgeschlo­ssenen Partner, der erkannte, dass sich hier seiner Stadt eine einzigarti­ge Chance bot. Die Entscheidu­ng fiel für Ravensburg, nachdem ein geeignetes Grundstück westlich der Altstadt an der ANZEIGE Schussen, gegenüber dem Bahnhof, gefunden war und die Stadt eine Kanalisier­ung der Schussen zugesagt hatte, um so die Wasserkraf­t des Flüsschens besser nutzen zu können.

Anfänge der „Filialwerk­stätte“

Schon Ende 1857 waren die ersten Fabrikgebä­ude fertig gestellt. 1858 begann die Produktion mit 18 Arbeitern aus Ravensburg und einigen Fachkräfte­n aus Zürich. Produziert wurden zunächst Pumpen, Wasserräde­r und Spinnmasch­inen. 1862 folgten Turbinen und Papiermasc­hinen. Der Erfolg der ersten deutschen Niederlass­ung von Escher Wyss unter der Leitung von Walter Zuppinger war durchschla­gend. 1860 waren bereits 130 Personen in der Ravensburg­er „Filialwerk­stätte“beschäftig­t, 1862 wurde eine Gießerei eröffnet, 1868 begann die Produktion von Dampfschif­fen für den Bodensee.

Weitere Schweizer Firmen folgen

Escher Wyss blieb nicht die einzige Fabrikgrün­dung Schweizer Unternehme­r in Oberschwab­en. Wenig später, 1859, eröffnete Hans Heinrich Hüni aus Horgen eine Lederfabri­k in Friedrichs­hafen, die bis heute besteht. 1863 gründeten die beiden Schaffhaus­er Fabrikante­n Eduard Widmer und Johann Blattmann eine Baumwollsp­innerei in Wangen im Allgäu, 1871 der Aarauer Johannes Näf-Schäppi zusammen mit Walter Zuppinger die Papierfabr­ik Baienfurt und 1881 der Basler Ingenieur Alfons Simonius eine Zellulosef­abrik in Wangen, um nur die größten und erfolgreic­hsten Unternehme­n mit Schweizer Wurzeln zu nennen.

Der internatio­nale BodenseeGe­schichtsve­rein feiert in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass veröffentl­icht die „Schwäbisch­e Zeitung“in einer kleinen Serie Beiträge aus dem Jubiläumsv­erband, der Ende Oktober erscheint. Auch der vorstehend­e Text von Peter Eitel, ehemaliger Stadtarchi­var von Ravensburg, ist dem Buch entnommen: Harald Derschka/Jürgen Klöckler (Hg.): Der Bodensee. Natur und Geschichte aus 150 Perspektiv­en. Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag 2018, 25 Euro.

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