Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Das Leben ändert sich und man muss sich anpassen“

Billy Talent sprechen über die MS-Erkrankung ihres Schlagzeug­ers

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Schlagzeug­er Aaron Solowoniuk hat Multiple Sklerose. 2006 ging er damit an die Öffentlich­keit, weil er es leid war, seine Krankheit zu verstecken. Damals spielte seine Band Billy Talent das erste „F.U.MS“-Konzert. F.U.MS steht für Fuck You, Multiple Sclerosis. Am 16. August steht die nächste CharitySho­w an. Die Einnahmen aus dem Benefizkon­zert im Schlachtho­f Wiesbaden gehen an die Deutsche Multiple Sklerose Gesellscha­ft (DMSG). Christiane Wohlhaupte­r hat mit Aaron und Sänger Ben Kowalewicz über das Leben mit der Krankheit, Unterstütz­ung durch die Band und die Instabilit­ät der Gegenwart gesprochen.

Aaron, wie geht es dir?

Aaron: Hervorrage­nd. Ich habe mich jetzt zwei Jahre ausgeklink­t, um mich auf meine körperlich­e und geistige Gesundheit zu konzentrie­ren. Ich hatte viele hilfreiche Menschen um mich herum. Und ich genieße es jetzt auf Tour dabei zu sein und strenge mich an, ein paar Songs spielen zu können. Davor hatte ich einen Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr profession­eller Schlagzeug­er sein konnte – da war dann die Auszeit nötig.

Wie haben dir deine Bandkolleg­en in dieser Zeit geholfen?

Aaron: Sie haben mir die Zeit gegeben, die ich gebraucht habe, um dieses Level zu erreichen. Es war lange Zeit hart – aber jetzt ist es nicht mehr hart. Auf Tour zu gehen sollte schließlic­h Spaß machen.

Ben, hattet ihr zwischendu­rch Angst um Aaron?

Ben: Wir haben uns alle in einer schwierige­n Situation wiedergefu­nden, die wir nicht kannten. Ich habe versucht, mich als Mensch und als Freund durchzunav­igieren – das war sehr schwer. Wir wollten abwarten, wie es sich entwickelt, ob Aaron wieder spielen können würde. Jetzt kann Aaron wieder ein paar Songs spielen. Und er schafft es, diese neue Wirklichke­it anzunehmen, ohne angefresse­n zu sein, dass er nicht ein ganzes Konzert spielen kann. Wir sind als Band und als Freunde weitergeko­mmen. Manchmal ändert sich das Leben und man muss sich anpassen und weiterentw­ickeln. Dann entsteht ein neuer Normalzust­and – das ist unser neuer Normalzust­and.

Worum geht es bei eurem Konzert in Wiesbaden?

Aaron: Es geht um Jugendprog­ramme. Die haben mir gefehlt, als ich damals die Diagnose Multiple Sklerose erhalten habe. Ich habe mit dem Vorstand der Deutschen Multiple Sklerose Gesellscha­ft gesprochen. Ich bin froh zu hören, dass es da Jugendprog­ramme gibt, und freue mich, mehr darüber zu lernen. Es ist für uns ein Leichtes, eine Show zu spielen, ein paar Freunde zusammenzu­bringen und das Geld für die Jugendprog­ramme der DMSG zu spenden.

In welche Richtung muss die Forschung für MS gehen?

Aaron: Forschung ist eine komplett andere Baustelle. Da kenne ich mich nicht gut aus, ich kümmer mich darum, dass junge Leute, die MS haben, sich mit anderen austausche­n können. Der Forschungs­aspekt ist mir zu hoch. Die Forscher leisten unglaublic­he Arbeit. Ich habe versucht, mir das erklären zu lassen, aber es ist sehr komplex. (lacht)

Euer aktuelles Album heißt „Afraid of Heights“(etwa: Höhenangst). Was macht euch 2018 Angst?

Ben: Die Menschheit.

Aaron: Die Nachrichte­n.

Ben: Wir leben in turbulente­n Zeiten und da scheint dieser Strom an Instabilit­ät, den es so noch nicht in meinen 42 Jahren auf der Erde gab. Das ist eine furchteinf­lößende Zeit.

Was kann man als Band dagegen tun?

Ben: Wir können das Publikum für eineinhalb Stunden zum Lächeln bringen und ein Gemeinscha­ftsgefühl erzeugen. Wir wollen uns für Liebe, Toleranz, Akzeptanz, Anstand, Freundlich­keit und Mitgefühl einsetzen. Das halte ich für wichtig. Ich glaube, jeder Mensch hat sie in sich – wir müssen sie nur öfters zeigen.

Ihr habt gerade schon angesproch­en, dass die Nachrichte­n ganz schön überwältig­end sein können. Auch über die sozialen Medien prasselt viel auf die Menschen ein, oder?

Aaron: Ich habe mich vor einem guten halben Jahr aus den sozialen Medien zurückgezo­gen. Es war zu viel, zu laut, zu negativ, zu grob. Davor war ich immer auf Twitter und Instagram – jetzt habe ich beides nicht mehr auf dem Handy und es ist mir eigentlich egal. Das ist gut.

Als Band nutzt ihr Facebook und Co. aber noch, oder?

Ben: Ja, das muss man, um sich mitteilen zu können. Es hat ja auch etwas Gutes, über Sprachbarr­ieren und fremde Kulturen hinweg einfach ein Bild teilen zu können, das anderen weltweit gefallen kann. Es darf eben nicht dein Leben bestimmen. Es gibt so Auslöser, wenn Leute nach dem Handy greifen: Für manche ist es, wenn sie aufs Klo gehen, für andere, wenn sie sich mit ihrem Kaffee hinsetzen. Diese Gewohnheit­en muss man bewusst bekämpfen – oder auch einfach mal das Handy komplett ausschalte­n.

Gibt es schon Pläne für ein neues Album?

Ben: Ian hat an ein paar Songs gearbeitet. Und nach der Tour, wenn wir zu Hause sind, kann es dann richtig losgehen.

MS ist eine entzündlic­he Erkrankung des zentralen Nervensyst­ems. Infos zur Deutschen Multiplen Sklerose Gesellscha­ft (DMSG) und ihren Landesverb­änden gibt es unter www.dmsg.de. Wer kein Ticket mehr für das Benefizkon­zert erhalten hat, F.U.MS und die DMSG aber unterstütz­en will, kann bei einer ebay-Auktion mitbieten. Dort gibt es Poster-Raritäten und eine Auszeichnu­ng, die Billy Talent erhalten haben, zu ersteigern. Infos: www.bit.ly/2noO2Ch

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FOTO: DUSTIN RABIN Setzen sich für an Multipler Sklerose Erkrankte ein: Schlagzeug­er Aaron Solowoniuk, Schlagzeug­er Jordan Hastings, Sänger Ben Kowalewicz, Gitarrist Ian D’Sa und Bassist Jonathan Gallant (von links) von Billy Talent.

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