Schwäbische Zeitung (Wangen)

Europas einzigarti­ge Lüftungsan­lage

In einem Reinraum in Immenstaad prüft Airbus Satelliten vor ihrem Abschuss ins Weltall

- Von Andrea Pauly

IMMENSTAAD - Bevor ein Satellit ins Weltall fliegt, muss ganz sicher sein, dass er störungsfr­ei funktionie­rt. Dafür muss er auf der Erde zusammenge­baut gründlich getestet werden – unter außergewöh­nlichen Bedingunge­n. Das geschieht demnächst im neuen Integrated Technology Centre (ITC) von Airbus Defence & Space in Immenstaad am Bodensee, dem größten Reinraum Europas seiner Klasse.

ITC steht für Integrated Technology Centre – und damit für die Zusammense­tzung und Steuerung von Satelliten, Teleskopen und anderen optischen Instrument­en für die Erforschun­g des Weltalls und der Erde. Airbus Defence & Space hat sich auf Erdbeobach­tungen und Radartechn­ologie spezialisi­ert und sammelt mit Satelliten und Teleskopen Informatio­nen von der Erde, etwa für Navigation, Gravitatio­nsmessunge­n oder Wetterbeob­achtungen.

Das Herz des ITC: Der große Reinraum.

Im ITC kann das Airbus-Team bis zu acht Satelliten gleichzeit­ig zusammenba­uen. Auch für weitere kleinere Systeme ist Platz in dem vierstöcki­gen Gebäude, dessen Herz eine 2000 Quadratmet­er große und bis zu 18 Meter große Halle ist. Neben dem großen Reinraum gibt es weitere kleinere dieser beinahe partikelfr­eien Räume sowie verschiede­ne Labore. Im Oktober sollen darin die ersten Geräte zusammenge­baut und ihre Funktionen geprüft werden – etwas später als vorgesehen. Bei Baubeginn im November 2016 hatte Airbus noch geplant, im Spätsommer 2018 fertig zu werden, dann war die Rede von September.

Doch die Baustelle war eine Herausford­erung: „Allein der Baugrund war schon besonders“, sagt AirbusPres­sesprecher Mathias Pikelj. „Wir haben 200 Betonpfähl­e 14 Meter tief in Boden eingebrach­t, um das Gebäude im seenahen Grund zu sichern.“Was das neue ITC so besonders macht: Im dem Reinraum sind zwei verschiede­ne Reinheiten möglich, und zwar ohne Trennwände. Das wird durch die besondere Lüftungsan­lage möglich.

Die beiden Reinheitsk­lassen sind nach ISO (Internatio­nal Organizati­on for Standardiz­ation) genormt: Bei ISO 5 dürfen maximal 100 Partikel bis zu einer Größe von 0,5 Mikrometer pro Kubikfuß Luft vorhanden sein, bei ISO 8 sind 100 000 Partikel bis zu Größen von fünf Mikrometer erlaubt. Ein Mikrometer ist ein Millionste­l Meter.

„Zum Vergleich: Ein Haar ist etwa 50 Mikrometer dick“, sagt Berthold Vogt, Reinraum-Koordinato­r bei Airbus Defence und Space. „Und in der Stadtatmos­phäre befinden sich in einem Kubikfuß Luft etwa drei Millionen Partikel.“

Unerwünsch­t sind nicht nur Staubteilc­hen. „Hier geht es auch um molekulare Kontaminat­ion, also um Öle und Dämpfe“, sagt Berthold Vogt. So ist zum Beispiel Silikon im Reinraum verboten. „Denn Silikon dampft aus und die Partikel sind von Optiken besonders schwer zu entfernen“, erläutert der Reinraum-Koordinato­r. Es geht um Details: Wer den Reinraum betreten will, muss nicht nur Schutzanzü­ge, Überschuhe und Hauben tragen, sondern beispielsw­eise auch auf Make-up verzichten. Die in Europa einzigarti­ge Lüftungsan­lage reinigt die Luft durch insgesamt 320 spezielle Filter.

Wenn der Reinraum in Betrieb ist, werden nach Angaben von Vogt zehn bis 50 Mitarbeite­r darin arbeiten – je nachdem, wie viele Satelliten parallel zusammenge­baut und geprüft werden. Aufbau, Integratio­n, Abbau und Verpackung erfolgen von Hand, nicht mit Robotern.

Für den Transport der einzelnen Module von und nach Immenstaad gibt es spezielle Container, jeder für sich eine Art Miniatur-Reinraum. Durch Schleusen und spezielle Reinigung mittels Stickstoff verhindert Airbus, dass Staub oder Kunststoff in das ITC transporti­ert werden.

Die eigentlich­e Arbeit an den Satelliten jedoch passiert in den sogenannte­n Check-Out-Räumen im Erdgeschos­s an den Gebäudesei­ten: Dort sitzen die Ingenieure und testen die Funktionen der Geräte. Sie müssen sicherstel­len, dass diese im All funktionie­ren, sich richtig steuern lassen und die geforderte­n Daten sammeln und liefern. „Denn wenn er einmal oben ist, kann man nicht mehr viel ändern“, sagt Vogt.

Raumfahrt erlebt Boom

„Wir warten darauf, dass der Reinraum in Betrieb geht, denn die Verträge haben wir schon und wollen sie jetzt abarbeiten“, sagt Pikelj. Aufträge gebe es genug: „Die Raumfahrt erlebt gerade einen Boom.“Bestes Beispiel sei die Navigation. „Das sind satelliten­gesteuerte Dienste, die man immer braucht.“Außerdem sei Airbus in den vergangene­n Jahren sehr erfolgreic­h in der Auftragsak­quise gewesen.

Einen Auftrag hat Airbus in Immenstaad ganz besonders im Auge: Das Projekt Athena, ein 15 Meter hohes Röntgentel­eskop. Die Voraussetz­ungen hat Airbus mit dem ITC geschaffen – doch ob der Auftrag in den nächsten Jahren auch kommt, ist deshalb noch nicht sicher. „Wir wollen das Projekt gewinnen“, betont Pikelj. „Der Vorgänger für Athena kam auch aus Immenstaad.“

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FOTO: ANDREA PAULY Der Reinraum in Immenstaad ist für Tests an Satelliten und Teleskopen nahezu partikelfr­ei.

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