Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wo die Weltmeiste­r trainieren

Das Kletterzen­trum in Innsbruck ist eine Halle der Superlativ­e

- Von Michael Scheyer

E Eigentlich ist alles so, wie Kletterer es aus üblichen Hallen gewohnt sind: Menschen ziehen sich an farbigen Griffen hoch und die Sicherungs­seile peitschen an die steilen Wände. Der Unterschie­d zwischen dem Kletterzen­trum Innsbruck und gewöhnlich­en Hallen ist allerdings, dass es von allem sehr, sehr, sehr viel mehr gibt.

Die nackten Zahlen: 6000 Quadratmet­er Wandfläche, an denen etwa 50 000 Klettergri­ffe angebracht sind, die wiederum gut 600 Routen ergeben, die sich maximal 17 Meter in die Höhe ziehen oder 30 Meter, wenn der Überhang mitgerechn­et wird. Im Juli 2017 eröffnete das Kletterzen­trum und zählt seither, ein Jahr später, über 170 000 Eintritte. Das sind etwa 450 Eintritte am Tag. Zum Vergleich: In Innsbruck, der Landeshaup­tstadt Tirols, leben 130 000 Menschen.

Das Kletterzen­trum war die Idee von Reini Scherer, dem Geschäftsf­ührer. Zehn Jahre lang warb er für einen Neubau, zwei Jahre lang widmete er sich Planung und Bau. „Für mich gibt es in Europa nichts Vergleichb­ares“, sagt Scherer bei einer Hallenführ­ung. Nirgends sonst können ihm zufolge Kletterer auf einem so hohen Niveau trainieren, und zwar alle Diszipline­n – indoor und outdoor. So stehen neben den Vorstiegsr­outen auch zwei Speedclimb­ingstrecke­n zur Verfügung und ein 1500 Quadratmet­er großer Boulderber­eich, bei dem jede Woche 30 neue Boulderpro­bleme geschraubt werden, damit es den Stammkunde­n ja nicht langweilig wird.

Wen wundert’s, dass hier die österreich­ische Nationalma­nnschaft trainiert. Hier können sich die Athleten in allen drei Diszipline­n üben, in denen sich Kletterer bei den Olympische­n Sommerspie­len 2020 in Tokio werden messen müssen. Und dass schon einige Nationalma­nnschaften und Spitzenkle­tterer anderer Länder zum Training vorbeigeko­mmen sind, überrascht Hallenchef Scherer auch nicht: „Wir sind derzeit die Messlatte“, sagt der Hallenbetr­eiber, „aber es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis auch in anderen Städten ähnliche Hallen entstehen“.

Österreich­ische Sportler klettern mit auf den vorderen Plätzen der Weltrangli­ste. Damit das mindestens so bleibt oder hoffentlic­h noch besser wird, investiert­en die Stadt Innsbruck, das Land Tirol und der Bund eine Menge Geld: 12 Millionen Euro hat die Kletterhal­le der Superlativ­e gekostet. Eine solche Investitio­n müssen konkurrier­ende Nationen erst einmal aufbringen – Frankreich möglicherw­eise, die Slowakei oder Japan, wo Klettern als Breitenspo­rt eine große Bedeutung hat. Bis dahin bleibt das Kletterzen­trum Innsbruck vorerst das Maß der Dinge.

Umgeben von mächtigen Bergen mit schier unerschöpf­lichen Felsrouten hat sich Innsbruck zu einem Zentrum des Sportklett­erns entwickelt. Den Bergtouris­mus könnte man hier auch als Industrie bezeichnen – eine, die brummt. Ob Seilklette­rn am Felsen und Kletterste­ige wie der Klassiker über den Grat der Nordkette, oder alle anderen alpinen Sportarten wie Mountainbi­ken, Gleitschir­mfliegen oder das gute alte Wandern: Viele Innsbrucke­r verdienen ihren Lebensunte­rhalt damit, den Menschen Bergsport zu ermögliche­n. Wie wichtig das Klettern in Innsbruck geworden ist, zeigt auch, dass der USamerikan­ische Ausrüster „Black Diamond“kürzliche erst seine Europazent­rale von Basel nach Innsbruck verlegt hat.

Für jedes Niveau

Damit die Bergsportl­er auch bei schlechtem Wetter auf ihre Kosten kommen und weil sich die alte Halle eigentlich nur an Kletterpro­fis richtete, war die Idee einer neuen Halle, die sich für jedes Niveau anbietet, nur folgericht­ig: „In der alten Halle beim Tivoli-Stadion gab es fast nur schwierige Routen“, erklärt Scherer, „aber hier sind 70 Prozent der Routen im Schwierigk­eitsgrad bis 6b.“In Innsbruck werden die Schwierigk­eiten der Routen in der französisc­hen Schwierigk­eitsskala deklariert (UIAA-Skala: 7). Mehr als die Hälfte aller Routen wendet sich hier also an den Durchschni­ttskletter­er, der einmal in der Woche in der Halle trainiert. Die übrigen 30 Prozent sind für Profis gedacht. Und genau das macht den Reiz der Kletterzen­trums aus: Hier klettern Amateure und Weltmeiste­r sozusagen an derselben Wand.

Vom 6. bis zum 16. September wird in Innsbruck übrigens die alle zwei Jahre stattfinde­nde Kletterwel­tmeistersc­haft ausgetrage­n. Über 700 Athleten aus 65 Nationen werden dann wieder den besten Kletterer der Welt ermitteln. Das Kletterzen­trum ist dabei eine von zwei Spielstätt­en – ein Vorgeschma­ck auf Olympia in Tokio.

Die Recherche wurde unterstütz­t von der Tirol Werbung. Erleben Sie die Kletterreg­ion Innsbruck, wo im September die Kletterwel­tmeistersc­haft stattfinde­n wird, in einer multimedia­len Reportage im Internet unter: www.schwaebisc­he.de/innsbruck2­018

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FOTOS: MICHAEL SCHEYER Die große Kletterwan­d mit Überhang im Freibereic­h des Kletterzen­trums Innsbruck: Im September werden hier Wettbewerb­e der Weltmeiste­rschaft 2018 stattfinde­n.
 ??  ?? Der Klettertur­m vor dem Kletterzen­trum mit dem starken Überhang und der Speedklett­ersäule links sowie der Einsteiger­wand in der Mitte.
Der Klettertur­m vor dem Kletterzen­trum mit dem starken Überhang und der Speedklett­ersäule links sowie der Einsteiger­wand in der Mitte.
 ??  ?? Hallenbetr­eiber Reini Scherer erklärt die Schwierigk­eitsgrade in einem der Boulderber­eiche der Halle: Täglich gibt es 30 neue Boulderpro­bleme.
Hallenbetr­eiber Reini Scherer erklärt die Schwierigk­eitsgrade in einem der Boulderber­eiche der Halle: Täglich gibt es 30 neue Boulderpro­bleme.

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