Tempo 30: Eher mehr statt weniger Lärm
Weingartener PH-Studenten testen Tempolimit in Ravensburg
WEINGARTEN - Wenn die Lärmbelastung für die Anwohner zu groß wird, greifen Städte und Gemeinden gern zu einem bekannten Mittel: Tempo 30. Doch wie viel bringt Tempo 30? Bedeutet eine geringere Geschwindigkeit automatisch weniger Lärm? Zwei Studenten der Pädagogischen Hochschule Weingarten (PH)gingen dieser Frage nach und haben den Lärm gemessen: einmal an der Gartenstraße in Ravensburg, wo ab 22 Uhr Tempo 30 gilt, und an der Ravensburger Straße kurz vor Weingarten, wo auch nach 22 Uhr 50 Stundenkilometer erlaubt sind. Das überraschende Ergebnis: Zwischen den beiden Messpunkten gab es keinen nennenswerten Unterschied. Im Gegenteil: „In der 50er Zone war es zur selben Uhrzeit und bei höherem Verkehrsaufkommen minimal leiser als in der 30er Zone“, schreiben die Studenten in ihrer Forschungsarbeit. Als Grund vermuten sie, dass „dies an der höheren Drehzahl der vorbeifahrenden PKWs liegt und dass der Lärm deutlich länger zu hören ist, wenn die Lärmquelle (PKWs, LKWs, Busse) nur 30 km/h fahren anstatt die üblichen 50 Stundenkilometer.“
Weniger Lärm bei Tempo 30?
Die Geografie-Studenten Ann-Sophie Röhm und Kenan Kessler führten die Studie 2014 im Rahmen ihres Studiums durch. Zwei Jahre zuvor hatte die Stadt Ravensburg auf einigen stark befahrenen Straßen nachts Tempo 30 eingeführt, gültig von 22 bis 6 Uhr. „Es wurde damals auch viel diskutiert, ob die 30er Zone wirklich zur Verminderung der Lärmbelästigung beiträgt. Wir wollten dieser Frage auf den Grund gehen und wählten daher das Thema: Gibt es durch das Einrichten einer 30er Zone eine geringere Lärmbelastung in Ravensburg?“, schildert Kenan Kessler ihre Motivation. Vor ihren Messungen gingen sie von einer Verringerung des Lärms um bis zu 8 Dezibel aus. Diese Annahme stützte sich auf Angaben aus der Literatur. Doch es stellte sich heraus: „Es gibt einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis“, sagt Kessler.
Für ihre Messungen suchten sie zwei Punkte aus, die an der gleichen Straße liegen, sich jedoch im Tempolimit unterscheiden: Beim Blitzer in der Gartenstraße auf Höhe der Gärtnerei Schaber stellten sie die erste Messstation auf. Dort gilt nach 22 Uhr Tempo 30. „Wir haben diesen Punkt bewusst als Messpunkt ausgewählt, da die Einhaltung der 50 km/h sowie der 30 km/h nach 22 Uhr durch den Blitzer gewährleistet ist“, sagen die Studenten. An der Ravensburger Straße, die in die Gartenstraße übergeht, richteten sie die zweite Messstation ein und zwar in der Nähe der Bushaltestelle bei der Gewerblichen Schule, kurz vor dem Ortsschild „Weingarten“. Dort sind auch nach 22 Uhr 50 Stundenkilometer erlaubt. Röhm und Kessler stellten die Messgeräte auf den Mittelstreifen der Straßen und führten sechs Messungen an zwei Tagen durch: am Dienstag, den 16. Dezember 2014, und am Sonntag, den 21. Dezember 2014, jeweils ab 17.30 Uhr, ab 21.35 Uhr und ab 22.05 Uhr. Jede Messung dauerte zwanzig Minuten. Parallel zu den Messungen zählten die Studenten zusammen mit Helfern die Fahrzeuge in beiden Fahrtrichtungen.
Ergebnisse überraschen
Das überraschende Ergebnis: Am Dienstag war es nach 22 Uhr an beiden Messpunkten ungefähr gleich laut. An der Ravensburger Straße wurden durchschnittlich 58,53 Dezibel gemessen, 58,80 Dezibel in der Tempo 30-Zone der Gartenstraße. Und das obwohl auf der Ravensburger Straße deutlich mehr Fahrzeuge fuhren: 195 Autos, ein Bus und ein kleiner LKW. Auf der Gartenstraße zählten die Studenten in derselben Zeit 117 Autos, einen Bus und einen kleinen LKW.
Die Messungen am Sonntag nach 22 Uhr zeigten es noch deutlicher: In der Tempo 30-Zone verursachten weniger Autos mehr Lärm. In der Gartenstraße maßen die Studenten im Schnitt 58,62 Dezibel. An der Ravensburger Straße war es um genau 3 Dezibel leiser, nur 55,62 Dezibel wurden hier gemessen. Dabei waren auf der Gartenstraße weniger Autos unterwegs, gezählt wurden 81 Autos und ein Bus. Das Messgerät an der Ravensburger Straße passierten in der gleichen Zeit 105 Autos und ein Bus.
Auch der Vergleich der Messwerte an der Gartenstraße kurz vor und nach 22 Uhr konnte laut Röhm und Kessler nicht bestätigen, dass Tempo 30 den Lärm verringert. Zwar nahm der Lärm nach 22 Uhr ab, am Dienstag im Schnitt um 1,1 Dezibel und am Sonntag um 0,5 Dezibel. Doch im gleichen Zeitraum sank auch die Zahl der Fahrzeuge. Röhm und Kessler folgerten daraus: „Wir können nicht wissen, ob diese Minderung von der Umschaltung auf die 30er Zone oder vom niedrigeren Verkehrsaufkommen herrührt.“
Im Gegensatz zu seiner Mitstudentin sei er von den Ergebnissen nicht so überrascht gewesen, erzählt Kessler. „Ich bin Motorradfahrer und weiß: Ich kann mit einem Motorrad, das hochdreht, nicht leise 30 fahren.“In ihrer Forschungsarbeit weisen Röhm und Kessler darauf hin, dass ihre „Ergebnisse keine generellen Aussagen zulassen, da wir die Messungen und Zählungen nicht über einen längeren Zeitraum durchgeführt haben“. Doch genau das wäre aus Sicht der PH-Studenten wünschenswert: „eine Langzeitstudie über das Verkehrsaufkommen und den Lärm, damit eine generelle Aussage getroffen werden kann.“Einen Erfolg konnten die beiden schon verbuchen: Für ihre Forschungsarbeit bekamen sie eine glatte Eins.