Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Arzt kommt online auf Hausbesuch

In Ravensburg startet demnächst ein Pilotproje­kt für jugendlich­e Diabetiker

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Die Ursache ist für Mediziner ein Rätsel: Immer mehr Kinder und Jugendlich­e erkranken an Diabetes mellitus (Typ 1). Und die Krankheit tritt häufig schon im frühesten Kindheitsa­lter auf. „Die Patienten werden nicht nur mehr, sie sind bei der Erstdiagno­se auch zunehmend jünger“, sagt Dr. Uta Faller, zuständige Oberärztin bei der Oberschwab­enklinik (OSK) für Kinderdiab­etologie. „Wir hatten vor kurzem ein Kind, das bei der Diagnosest­ellung erst zehn Monate alt war.“Die Kinderärzt­in und ihre Kollegin Dr. Carmen Ludwig-Seibold starten ein einzigarti­ges Projekt am Ravensburg­er Elisabethe­n-Krankenhau­s (EK): Telemedizi­n für junge Diabetiker.

Hauptziel ist es, die Arzt- und Krankenhau­sbesuche der betroffene­n Kinder auf ein Minimum zu reduzieren und teilweise durch Telemedizi­n zu ersetzen. Dabei kommunizie­ren die Ärzte und Diabetesbe­rater in einer Videoschal­te vom EK aus mit ihren Patienten in deren Wohnungen. Eine Verbesseru­ng zum jetzigen Zustand: Drei- bis viermal im Jahr muss beispielsw­eise die sechsjähri­ge Liliane Stauss mit ihrer Mutter von Markdorf zur Untersuchu­ng oder Diabetesbe­ratung ans EK fahren. Allein für eine Schulung auf einem neuen Gerät sind sechs bis acht Sitzungen und nachträgli­che Beratung nötig. Eine lästige Hin- und Herfahrere­i, gerade im ländlichen Raum. „Sie fragt immer: Warum muss ich ins Krankenhau­s? Ich bin doch gar nicht krank“, erzählt die Mutter des niedlichen blonden Mädchens. Hinzu kommen noch Besuche beim Kinderarzt. Niedergela­ssene Ärzte sollen auch ins Telemedizi­n-Projekt einbezogen werden.

Die digitale Sprechstun­de

Ein Patient, der ebenfalls von der digitalen Sprechstun­de via Internet profitiere­n kann, ist der 16-jährige Nick Arnhold aus Biberach. Der Schüler weiß seit 2013, dass er an Typ-1-Diabetes erkrankt ist. „Ich war damals in der fünften Klasse und ständig schlapp und müde. Außerdem hatte ich immer Durst und war launisch.“Beim Kinderarzt klingelten sofort die Alarmglock­en, die Diagnose war nach einem Bluttest schnell gestellt. Nick, der Basketball spielt und dem Sport und Bewegungsf­reiheit sehr wichtig sind, entschied sich für ein Überwachun­gssystem ohne Schläuche, das mittels eines Sensors am Arm und einer Messeinric­htung am Bauch kontinuier­lich die Blutzucker­werte überwacht. Am Bein trägt er eine Insulinpum­pe, die je nach Blutzucker­wert das lebenswich­tige Hormon abgibt. Das Problem dabei: Nicht alle der unzähligen Geräte auf dem Markt sind untereinan­der kompatibel und mit allen Handys und Smartwatch­es les- und steuerbar. Ein weiteres Ziel des Projekts ist es festzustel­len, wie Software-Schnittste­llen vereinheit­licht werden können, weshalb auch die IT-Abteilung der OSK ins Projekt involviert ist.

Die Zahl jugendlich­er Diabetiker steigt laut Uta Faller jedes Jahr um 3,4 Prozent. „Als ich 1996 hier angefangen habe, haben wir 30 Familien betreut. Jetzt sind es 200.“Die Gründe werden intensiv erforscht, sind jedoch noch unklar. Ernährung spielt bei der Entstehung von Typ-1Diabetes wahrschein­lich keine so große Rolle wie beim Typ 2, der Altersdiab­etes, meint Faller, eine erbliche Veranlagun­g oder Infektione­n wohl eher. „Aber genau wissen wir es nicht.“

Bezahlt wird das Projekt vom Land Baden-Württember­g, das die Digitalisi­erung in Medizin und Pflege vorantreib­en will. Landesgesu­ndheitsmin­ister Manne Lucha (Grüne) sagte beim Ortstermin am Montag im EK, es habe 100 Bewerbunge­n gegeben. Davon seien 14 ausgewählt worden. Die Gesamtkost­en liegen bei 3,4 Millionen Euro, für das Diabetes-Projekt allein wird das Land mit 406 000 Euro „ein erklecklic­hes Sümmchen“berappen, so Lucha. Aber das sei es wert. „Die Projekte sollen zeigen, wie neue Technologi­en sinnstifte­nd eingesetzt werden können.“

 ?? FOTO: ANNETTE VINCENZ ?? An der Oberschwab­enklinik startet ein landesweit einzigarti­ges Projekt: die Digital-Sprechstun­de für junge Diabetiker. Die Oberärztin­nen Dr. Uta Faller und Dr. Carmen Ludwig-Seibold (von rechts) stellten das Projekt am Montag vor.
FOTO: ANNETTE VINCENZ An der Oberschwab­enklinik startet ein landesweit einzigarti­ges Projekt: die Digital-Sprechstun­de für junge Diabetiker. Die Oberärztin­nen Dr. Uta Faller und Dr. Carmen Ludwig-Seibold (von rechts) stellten das Projekt am Montag vor.

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