Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ohne Moos nix los

Die Leichtathl­etik braucht mehr Geld und TV-Zeiten, fordert Ulms Trainer Wolfgang Beck

- Von Jürgen Schattmann

BERLIN – Drei Tage war Wolfgang Beck, Ulms Mr. Leichtathl­etik, bei der EM in Berlin, dann hatte der 71-Jährige genug gesehen: Er sah, dass sein früherer Schützling Arthur Abele nach langer Passionsze­it Zehnkampf-Europameis­ter wurde. Dass Abeles junger Kollege Matthias Brugger und die Läuferin Alina Reh große Verspreche­n für die Zukunft sind. Und dass seine derzeitige Elevin Stefanie Dauber, die 31-jährige Stabhochsp­rungSpätzü­nderin, wie so viele Athleten bei ihrem ersten großen Event Lehrgeld zahlen musste.

Der früherer SSV-Cheftraine­r, seit 1980 im Club und seit Beginn seines angebliche­n Ruhestands Leiter der Leichtathl­etik-Abteilung, war zufrieden mit seinem Ulmer Quartett. „Für unsere Arbeit ist das natürlich eine Riesenbest­ätigung. Wir hatten schon früher Erfolge, haben den Zehnkämpfe­r Michael Kohnle einst zu Olympia gebracht und den Wangener Hürdenspri­nter Ralf Leberer zur WM, aber vier EM-Teilnehmer und einen Europameis­ter hatten wir noch nie. Wir wollen die Leichtathl­etik weiterbrin­gen, Kinder und Jugendlich­e dafür begeistern, und da sind solche Erfolge Gold wert“, sagt er nach einer Leichtathl­etik-EM, die so viele Leute begeistert hat und beste Werbung war für eine Sportart und den Sportlern, die sich gegen einen gewissen Bedeutungs­verlust wehren, viele Argumente geliefert hat.

Die Fußballer bleiben König

Die Leichtathl­etik habe sich verändert, seit sich vieles im Fernsehen und in den Sportredak­tionen des Landes vorwiegend um Fußball drehe, sagt Beck. „Wie will jemand bekannt werden, wenn keiner über ihn und seine Sportart berichtet“, fragte Ulms Zehnkampft­rainer Christophe­r Hallmann vor der EM. Beck sagt: „Die Fernsehzei­ten sind entscheide­nd: Jeder größere Sponsor fragt heute nach der Gegenleist­ung. Wenn du ihm medial nichts bieten kannst, wird er auch nicht einsteigen. Es gibt kaum mehr Mäzene, die uns nur aus einem Hobby, einer Leidenscha­ft heraus unterstütz­en. Ohne die Sparkasse und die Stadt Ulm wäre es extrem schwierig für uns. Ohne Moos nix los – das galt nie mehr als heute, und das gilt auch für die anderen Vereine im Land.“Vor allem für die kleinen natürlich, auch für die Tübinger, die inzwischen jeden Euro zweimal umdrehen müssen. Die Stuttgarte­r und Mannheimer haben durch ihre Olympiastü­tzpunkte natürlich Vorteile. Beck nennt Beispiele. Ein Speer kostet etwa 1000 Euro, ein Diskus 400. Die sieben Ulmer Zehnkämpfe­r bräuchten insgesamt etwa 30 Speere. „Und die müssen wir bezahlen, da bekommen wir leider noch immer keine Förderung vom DLV.“Auch der Stellenwer­t der Leichtathl­eten in Ulm sei noch verbesseru­ngsfähig: „Dass wir vor den Spielen der Fußballer ab 16 Uhr mit den Kindern und unseren Besten nicht mehr ins Stadion dürfen, weder auf die Bahn noch auf die Mehrkampfa­nlage, das kann ich einfach nicht verstehen. Auf den Rasen dürfen wir nicht einmal barfuß, aus Angst, wir würden das Gras kaputtmach­en“, sagt der Trainer. Auch in Ulm ist der Fußball offenbar noch immer König, selbst wenn die Spatzen nur noch in den Niederunge­n der Regionalli­ga dümpeln.

Es gibt Dinge, die können die Leichtathl­eten nur schwer verstehen. Dass die Ulmer Kicker am Samstag im DFB-Pokal vor 18 000 Zuschauer gegen Eintracht Frankfurt auflaufen – geschenkt. Als Beck vor Jahren ein hochklassi­ges Zehnkampfm­eeting organisier­te, zu dem nur 200 Zuschauer kamen, war das dagegen nur schwer zu akzeptiere­n. Und die Tatsache, dass ein „durchschni­ttlicher Regionalli­gaspieler mehr verdient als ein Abele, ist kaum noch zu begreifen“für Beck, der zudem einen Standortna­chteil hat: „Wir haben keinen Zulauf durch Unis, im Gegenteil, wir verlieren sehr viele Talente, die wegen des Studiums in andere Städte wechseln.“

Hallmann wird Bundestrai­ner

Und doch ist in Ulm die Leichtathl­etikwelt wie im Rest BadenWürtt­embergs – sechs der 19 deutschen Medailleng­ewinner waren Schwaben oder Badener – noch halbwegs in Ordnung. Fünf hauptamtli­che Trainer kümmern sich um Breitenund Spitzenspo­rt, fast 400 Kinder und Jugendlich­e lassen sich vom Programm der Abteilung begeistern. Die Besten in und um den Talentstüt­zpunkt Ulm sichtet dann Landestrai­ner Christian Hummel, der auch den kleinen Arthur Abele entdeckte.

Auch der DLV hat längst bemerkt, dass an der Donau das stärkste Zehnkampft­eam der Welt entstanden ist: Christophe­r Hallmann (35), der sich akribisch um kleinste Verbesseru­ngen seiner sieben Schwaben bemüht, wird ab Januar zum Bundestrai­ner hochgestuf­t und Nachfolger von Rainer Pottel, der in Rente geht. Hallmann ist dann auch für den starken Rest der deutschen Zehnkämpfe­r zuständig um Supertalen­t Niklas Kaul, Kai Kazmirek und Rico Freimuth. Er wird ab und an wegen Lehrgängen und Fortbildun­gen fehlen, aber ein Ulmer bleiben. Beck nennt ihn „einen positiven Verrückten, aber das sind wir ja alle im Sport, auch die Journalist­en, alle, die die Wochenende­n durcharbei­ten“.

Nur, dass Trainer abseits des Fußballs zuweilen noch weniger verdienen als die Athleten. Als Diskus-Legende Robert Harting in Berlin gefragt wurde, ob er eines Tages Coach werden will, guckte er den Fragestell­er entgeister­t an, verzog den Mund und sagte dann: „Ich glaube nicht, dass dieser Job sonderlich attraktiv ist.“

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FOTO: IMAGO Arthur Abele, Europas Leichtathl­etik-König, verdient laut Club weniger Geld als ein Regionalli­gakicker.
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FOTO: DPA Bald Bundestrai­ner: Christophe­r Hallmann.

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