Die Nacht des Wunderkinds
Der 18-jährige Schwede Armand Duplantis könnte das Stabhochspringen in eine neue Dimension führen
BERLIN (SID/zak) - Der erste Gratulant war das große Vorbild. Als Wunderkind Armand Duplantis am Sonntagabend die Stabhochsprung-Welt auf den Kopf gestellt hatte, umarmte ihn der französische Weltrekordler Renaud Lavillenie und flüsterte ihm die ersten Glückwünsche ins Ohr. „Er hat gesagt: Genieße den Moment, nicht viele Momente werden so schön sein“, sagte Duplantis.
Bubka war bei seinem ersten Satz über 6,05 meinst sieben Jahre älter
Dem 18 Jahre alten Schweden war anzumerken: Realisiert hatte er seinen Erfolg nach dem hochklassigsten Wettbewerb der EM in Berlin nicht wirklich. Gold, U20-Weltrekord mit 6,05 Metern, jüngster Athlet der Geschichte über sechs Metern. Lediglich Sergej Bubka war im Freien jemals besser gewesen, bei seinem ersten Satz über 6,05 aber bereits sieben Jahre älter. „Ich kann mich an den 6,05erSprung nicht erinnern. Ich würde es gerne, aber ich glaube, mein Gehirn hatte einen Blackout“, sagte Duplantis, der weit über der Latte war und in dieser Form schon bald Lavillenies Weltrekord (6,16) gefährden könnte: „Ich hoffe einfach, dass ich morgen aufwache und es noch wahr ist.“
Das war es – und der Höhepunkt einer jahrelangen Entwicklung. Mit fünf Jahren übte Duplantis mit einem Besenstiel im heimischen Wohnzimmer, mit sieben stellte er eine erste Weltbestleistung auf und brach danach so ziemlich jeden Nachwuchsrekord, den es gab. In den USA, wo Duplantis lebt und gerade die High School abgeschlossen hat, wird er bereits als „Tiger Woods des Stabhochsprungs“bezeichnet. Doch sein großes Vorbild heißt Lavillenie. In seinem Bücherregal steht eine signierte Biografie, früher hingen Poster des Franzosen in seinem Kinderzimmer. Der gewann in Berlin aber nur noch Bronze.
Das Talent wurde Duplantis in die Wiege gelegt. Vater Greg war selbst ein 5,80-Meter-Springer, Mutter Helena, die einst von Schweden in die USA einwanderte, Siebenkämpferin und Volleyballerin. Greg erzählte einmal der „New York Times“, dass der kleine Armand noch in Windeln auf die Bäume des Nachbargartens kletterte.
Damit „Mondo“, wie Duplantis mit seinem Spitznamen genannt wird, sein Talent früh entwickeln konnte, baute ihm sein Vater im heimischen Garten eine eigene Stabhochsprunganlage. Inzwischen kann er diese aber nicht mehr nutzen – es wäre bei den aktuellen Höhen viel zu gefährlich.
Schon früh stellte sich die Frage, für welches Land Duplantis, der beide Staatsbürgerschaften besitzt, international antreten wird. Er entschied sich nach langem Hin und Her für die Heimat seiner Mutter, für Schweden – auch, weil er damit den harten TrialAusscheidungen in den USA aus dem Weg geht. Das Gegrummel in Schweden wegen der vermeintlich zu wenig ausgeprägten Identifikation ebbte nach den ersten Erfolgen spürbar ab. Im Sommer lebt Duplantis ohnehin bei den Großeltern in Schweden, die den Erfolg des Enkels mit den Nachbarn und einer Flasche Champagner vor dem Fernseher feierten.
Es dürfte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass sie auf „Mondo“anstoßen. Schon jetzt wird er neben LaufWunderkind Jakob Ingebrigtsen aus Norwegen als kommender Weltstar der Leichtathletik gehandelt, die nach dem Rücktritt von Usain Bolt eine neue Lichtgestalt sucht. Duplantis also das neue Vorbild für junge Leichtathletikfans? Die Frage sei ein bisschen komisch, fand er: „Ich fühle mich doch noch selbst wie ein Kind.“