Mesale Tolu kommt nach Ulm zurück
Türkei hat Ausreisesperre aufgehoben – Prozess gegen Journalistin geht aber weiter
ULM/BERLIN - Die aus Ulm stammende deutsche Journalistin Mesale Tolu darf knapp 16 Monate nach ihrer Festnahme die Türkei wieder verlassen. Das teilte die 33-Jährige am Montag auf Twitter mit. Nach Angaben eines Außenamtssprechers in Berlin hat ein türkisches Gericht bereits vor einigen Wochen die Ausreisesperre aufgehoben. Allerdings habe der Wunsch bestanden, darüber zunächst nicht zu informieren. Der Prozess gegen Tolu wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation wird aber fortgesetzt.
Tolu wird am kommenden Sonntag zusammen mit ihrem dreijährigen Sohn in Ulm erwartet. Dagegen darf ihr Ehemann, Suat Corlu, nicht aus der Türkei ausreisen. Er besitzt lediglich die türkische Staatsbürgerschaft. Auch ihm werden Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen. Die Journalistin war Ende April 2017 in Istanbul festgenommen worden und saß zusammen mit ihrem Sohn bis Dezember in Untersuchungshaft.
Politiker aller Parteien zeigten sich am Montag erleichtert über Tolus baldige Rückkehr. Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte: „Klar ist aber auch: Bei diesem Schritt darf es nicht bleiben.“Er verwies auf mindestens sieben Deutsche, die weiterhin aus politischen „und für uns nicht nachvollziehbaren Gründen inhaftiert“seien. Der Ulmer Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU) sagte der „Schwäbischen Zeitung“, er gehe davon aus, dass die Festnahme in der Türkei und Ausreise Tolus nur aus politischem Kalkül erfolgt sei. „Jetzt merkt man doch: Erdogan braucht Deutschland und andere Verbündete, und plötzlich funktioniert es.“
Die Bundesregierung reagierte indes zurückhaltend auf den Vorschlag von SPD-Chefin Andrea Nahles zu wirtschaftlicher Hilfe für die Türkei. Die Frage deutscher Hilfen „stellt sich für die Bundesregierung aktuell nicht“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Nahles hatte der Funke-Mediengruppe gesagt: „Es kann die Situation entstehen, in der Deutschland der Türkei helfen muss – unabhängig von den politischen Auseinandersetzungen mit Präsident Erdogan.“
ULM - Die Nachricht ging aus Ulm in die Welt. Der Solidaritätskreis „Freiheit für Mesale Tolu“vermeldete um 1.13 Uhr am frühen Montagmorgen per Mail: „Die Ausreisesperre von Mesale Tolu wurde aufgehoben!“Die diensthabenden Redakteure der Nachrichtenagenturen und Radiosender sind zunächst skeptisch: In den vergangenen Tagen hatte nichts auf Bewegung im Fall der aus Ulm stammenden deutschen Journalistin mit türkischen Wurzeln hingewiesen, die seit 16 Monaten in der Türkei festgehalten und sieben Monate von April bis Dezember 2017 inhaftiert worden war. Noch im April hatte ein Istanbuler Gericht das Ausreiseverbot für die wegen „Terrorismus“Angeklagte bestätigt. Jetzt, so plötzlich eine Kehrtwende? Am Morgen bestätigt Tolu selbst über Twitter: „Die Meldungen über die Aufhebung meiner Ausreisesperre sind richtig. Ich bedanke mich bei meinem Unterstützerkreis und bei allen, die mit mir mitgefühlt und an meiner Seite sich für meine Freiheit eingesetzt haben.“Und es folgt die Einschränkung: „Diese Entwicklung bedeutet aber nicht, dass alles vorbei ist: Der Prozess geht am 16. Oktober weiter.“
Auch darf der Ehemann und Vater des dreijährigen Sohnes, Suat Corlu, nicht ausreisen. Gegen Corlu, der die türkische Staatsbürgerschaft hat, wird der Prozess in der Türkei ebenfalls fortgeführt. Auch ihm wird die Unterstützung von terroristischen Vereinigungen vorgeworfen.
Lange für die Freiheit demonstriert
Trotzdem: In Ulm fließen an diesem Morgen Tränen der Erleichterung. Vor allem die Mitglieder des Freundeskreises in der Donaustadt, die an jedem ersten Freitag im Monat bei Wind und Wetter für die Freiheit der Journalistin demonstriert hatten, sind erleichtert. Ihr Sprecher, Cengiz Dogan, sagt der „Schwäbischen Zeitung“, dass Tolus Anwältinnen in den vergangenen Wochen immer wieder bei Gericht die Aufhebung der Ausreisesperre beantragt hätten. Tolu werde jetzt in Istanbul ihre Rückkehr nach Deutschland vorbereiten und am kommenden Sonntag, 26. August, mit ihrem dreijährigen Sohn nach Stuttgart fliegen, dann in ihre Heimatstadt Ulm weiterreisen.
Im Laufe des Tages laufen die Reaktionen auf die Entscheidung der Istanbuler Richter im Viertelstundentakt ein. Übereinstimmend mischen sich Freude und Skepsis und immer wieder die Forderung nach rechtsstaatlichen Verfahren in der Türkei. Der Ulmer Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU) zeigt sich überzeugt, dass Tolu schnell nach Ulm zu Freunden und Familie zurückkehren werde: „Wir werden Kontakt aufnehmen und sie herzlich willkommen heißen.“Er hoffe auf die Einsicht in der Türkei, „dass politische Haft das falsche Signal“ist. Er vermutet, dass die Ausreisesperre aufgehoben wurde, weil die Türkei außenpolitisch stärker unter Druck geraten ist: „Egal warum, wichtig ist, dass sie jetzt nach Hause kommen kann.“Der in Neu-Ulm lebende Bruder der Journalistin sagt, dass er sich sehr darüber freue, seine Schwester nach mehr als einem Jahr wieder persönlich sehen zu dürfen. Andererseits mache ihn der aus seiner Sicht schnelle Wandel der türkischen Justiz auch stutzig, meint Hüseyin Tolu. Der Neu-Ulmer Oberbürgermeister Gerold Noerenberg (CSU) erinnert an die übrigen in der Türkei inhaftierten Journalisten: „Auch für sie muss ein demokratisches, rechtsstaatliches Verfahren sichergestellt werden und auch in der Türkei müssen die Meinungs- und die Pressefreiheit gewahrt werden“, betont er.
In Ulm laufen derweil die Überlegungen für ein Begrüßungsfest und die bereits geplante Demonstration am ersten Freitag im September. An diesem Tag wollte sich der Kreis wie jeden Monat auf dem Münsterplatz treffen, um für eine Rückkehr Tolus nach Deutschland zu demonstrieren. Absagen wollen die Unterstützer das Treffen auf keinen Fall. Baki Selcuk, Sprecher des Ulmer Solidaritätskreises: „Der Prozess ist ja noch nicht vom Tisch, sondern er geht weiter. Ihr drohen weiterhin Haftstrafen.“Dass Mesale Tolu bei der Demo dabei sein wird, sei durchaus denkbar.