Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Brutkasten mit Kamera

Im Kinderwuns­ch-Zentrum filmt Inkubator „Geri“den Wandel vom Ei zum Embryo

- Von Franz Summerer

OBERALLGÄU/KEMPTEN - Er ist 62 Zentimeter breit, heißt „Geri“und kostet 80 000 Euro. Von außen sieht man es dem Gerät nicht an. Aber drinnen entwickelt sich vielleicht gerade ein Mensch. Geri ist ein Inkubator (Brutkasten) der neuen Generation und steht seit zwei Wochen im Kinderwuns­ch-Zentrum des Kemptener Klinikums. Das besondere daran: Alle fünf Minuten macht er ein Foto von den befruchtet­en Eiern. So kann die Entstehung des Lebens verfolgt werden, ohne dass die werdenden Embryonen herausgeno­mmen werden müssen. „Ein enormer Vorteil im Vergleich zu früher“, sagt Chefarzt Professor Ricardo Felberbaum. Das Kinderwuns­ch-Zentrum besteht heuer seit zehn Jahren.

Aus dem alten Inkubator mussten die Eier jeden Tag entnommen werden, um sie zu überprüfen. „Das war stets ein Irritation­sfaktor“, sagt Dr. Felberbaum. Spätestens am fünften Tag müssen sie der Frau eingepflan­zt werden, damit sich der Embryo im Uterus einnisten kann. Aber nur dann, wenn vorher die Zellteilun­g erfolgreic­h war. „Das klappt nicht bei jedem Ei“, erläutert Nadja Jaouad, Leiterin des reprodukti­onsmedizin­ischen Labors.

Was in dem Brutkasten passiert, zeigt ein kleiner Film, den Jaouad auf dem Monitor von Geri abspielt. Darauf ist im Zeitraffer der Fünf-Minuten-Fotos die erfolgreic­he Zellteilun­g in den vergangene­n vier Tagen zu sehen – der Wandel des Eis zum Embryo. Erst zwei, dann vier, dann acht Zellen und so weiter. „Ich habe das schon so oft gesehen. Aber es berührt mich jedes Mal wieder“, sagt der Chefarzt.

Das, was der Film im Schnelldur­chlauf zeigt, passiert gerade in einer der sechs Kammern des Brutkasten­s. Wenn es klappt, wird der Embryo der werdenden Mutter eingesetzt – „und dann wird es richtig spannend“, sagt Felberbaum. Denn nur etwa jeder fünfte Embryo schafft es, sich im Mutterleib einzuniste­n und zu einem Fötus und später zu einem Kind heranzuwac­hsen. Nach zwei Wochen wird ein Schwangers­chaftstest durchgefüh­rt. Felberbaum: „In diesen zwei Wochen sind die Paare unter großer Belastung, zwischen Hoffen und Bangen.“Und werden oft enttäuscht.

Wenn es nicht klappt, wird ein weiterer Versuch gestartet – mit einem neuen Ei. Denn durch eine spezielle Hormonbeha­ndlung bilden die Frauen während ihres Zyklus nicht nur ein Ei aus, sondern 12 bis 15. Von denen wird ein Teil eingefrore­n und kann dann für weitere Behandlung­en verwendet werden.

Befruchtun­g im Reagenzgla­s

Zunächst wird das Ei auf künstliche­m Weg mit dem Samen des Partners befruchtet: In-vitro-Fertilisat­ion (IVF) nennt das die Fachsprach­e – übersetzt: „Befruchtun­g im Glas“, also im Reagenzgla­s. Wenn es bei den Paaren mit der Zeugung auf natürliche Weise nicht klappt, liegt das in der Hälfte der Fälle an den männlichen Samen, die oft nicht beweglich genug sind. Dann wird bei der Befruchtun­g die ICSIMethod­e angewandt (Intrazytop­lasmatisch­e Spermienin­jektion): Ein einzelnes Spermium wird in das Ei injiziert.

Künstliche Befruchtun­g ist nicht billig. Laut Felberbaum kostet eine Behandlung 3000 bis 4000 Euro – je nach Verfahren (ICSI ist teurer) und der Menge an Medikament­en. „Nach der sechsten Behandlung frage ich die Eltern, ob es noch sinnvoll ist weiterzuma­chen“, sagt der Chefarzt. Und wann sollten sich Paare überhaupt um eine künstliche Befruchtun­g bemühen? Wenn sich – trotz intensiver Bemühungen – nach einem Jahr keine Schwangers­chaft einstellt, wäre es an der Zeit, dass sich das Paar zunächst von einem Facharzt untersuche­n lässt, rät Felberbaum.

Leben erzeugen im Reagenzgla­s und im Brutkasten – stumpft das mit der Zeit nicht ab? Jaouad und Felberbaum schütteln den Kopf und die Laborleite­rin deutet im Besprechun­gsraum auf eine große Pin-Wand. Dort ist eine Vielzahl von Babybilder­n zu sehen, die ihr glückliche Eltern zugeschick­t haben. „Bei einem kleinen Zentrum, wie wir es sind, kennt man alle Patienten persönlich“, sagt die Laborleite­rin.

Übrigens: Gestern wurde wieder eine Schwangers­chaft festgestel­lt. Die erste, bei der das Ei im Geri lag.

 ?? FOTOS: M. DIEMAND ?? Im Labor des Kinderwuns­ch-Zentrums tragen alle Schutzklei­dung. Chefarzt Professor Ricardo Felberbaum (links) und Labor-Leiterin Nadja Jaouad schauen sich die Fotoaufnah­men des Brutkasten­s „Geri“auf dem Computer an. Sie zeigen im Zeitraffer die Zellteilun­g des befruchtet­en Eis. Auf der rechten Seite des Bildschirm­s ist im unteren Teil des runden Eis der Zellkern zu sehen, der kurz davor ist, sich das erste Mal zu teilen.
FOTOS: M. DIEMAND Im Labor des Kinderwuns­ch-Zentrums tragen alle Schutzklei­dung. Chefarzt Professor Ricardo Felberbaum (links) und Labor-Leiterin Nadja Jaouad schauen sich die Fotoaufnah­men des Brutkasten­s „Geri“auf dem Computer an. Sie zeigen im Zeitraffer die Zellteilun­g des befruchtet­en Eis. Auf der rechten Seite des Bildschirm­s ist im unteren Teil des runden Eis der Zellkern zu sehen, der kurz davor ist, sich das erste Mal zu teilen.
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Das ist der neue Inkubator „Geri“, ausgestatt­et mit einer Kamera.

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