Ein Brutkasten mit Kamera
Im Kinderwunsch-Zentrum filmt Inkubator „Geri“den Wandel vom Ei zum Embryo
OBERALLGÄU/KEMPTEN - Er ist 62 Zentimeter breit, heißt „Geri“und kostet 80 000 Euro. Von außen sieht man es dem Gerät nicht an. Aber drinnen entwickelt sich vielleicht gerade ein Mensch. Geri ist ein Inkubator (Brutkasten) der neuen Generation und steht seit zwei Wochen im Kinderwunsch-Zentrum des Kemptener Klinikums. Das besondere daran: Alle fünf Minuten macht er ein Foto von den befruchteten Eiern. So kann die Entstehung des Lebens verfolgt werden, ohne dass die werdenden Embryonen herausgenommen werden müssen. „Ein enormer Vorteil im Vergleich zu früher“, sagt Chefarzt Professor Ricardo Felberbaum. Das Kinderwunsch-Zentrum besteht heuer seit zehn Jahren.
Aus dem alten Inkubator mussten die Eier jeden Tag entnommen werden, um sie zu überprüfen. „Das war stets ein Irritationsfaktor“, sagt Dr. Felberbaum. Spätestens am fünften Tag müssen sie der Frau eingepflanzt werden, damit sich der Embryo im Uterus einnisten kann. Aber nur dann, wenn vorher die Zellteilung erfolgreich war. „Das klappt nicht bei jedem Ei“, erläutert Nadja Jaouad, Leiterin des reproduktionsmedizinischen Labors.
Was in dem Brutkasten passiert, zeigt ein kleiner Film, den Jaouad auf dem Monitor von Geri abspielt. Darauf ist im Zeitraffer der Fünf-Minuten-Fotos die erfolgreiche Zellteilung in den vergangenen vier Tagen zu sehen – der Wandel des Eis zum Embryo. Erst zwei, dann vier, dann acht Zellen und so weiter. „Ich habe das schon so oft gesehen. Aber es berührt mich jedes Mal wieder“, sagt der Chefarzt.
Das, was der Film im Schnelldurchlauf zeigt, passiert gerade in einer der sechs Kammern des Brutkastens. Wenn es klappt, wird der Embryo der werdenden Mutter eingesetzt – „und dann wird es richtig spannend“, sagt Felberbaum. Denn nur etwa jeder fünfte Embryo schafft es, sich im Mutterleib einzunisten und zu einem Fötus und später zu einem Kind heranzuwachsen. Nach zwei Wochen wird ein Schwangerschaftstest durchgeführt. Felberbaum: „In diesen zwei Wochen sind die Paare unter großer Belastung, zwischen Hoffen und Bangen.“Und werden oft enttäuscht.
Wenn es nicht klappt, wird ein weiterer Versuch gestartet – mit einem neuen Ei. Denn durch eine spezielle Hormonbehandlung bilden die Frauen während ihres Zyklus nicht nur ein Ei aus, sondern 12 bis 15. Von denen wird ein Teil eingefroren und kann dann für weitere Behandlungen verwendet werden.
Befruchtung im Reagenzglas
Zunächst wird das Ei auf künstlichem Weg mit dem Samen des Partners befruchtet: In-vitro-Fertilisation (IVF) nennt das die Fachsprache – übersetzt: „Befruchtung im Glas“, also im Reagenzglas. Wenn es bei den Paaren mit der Zeugung auf natürliche Weise nicht klappt, liegt das in der Hälfte der Fälle an den männlichen Samen, die oft nicht beweglich genug sind. Dann wird bei der Befruchtung die ICSIMethode angewandt (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion): Ein einzelnes Spermium wird in das Ei injiziert.
Künstliche Befruchtung ist nicht billig. Laut Felberbaum kostet eine Behandlung 3000 bis 4000 Euro – je nach Verfahren (ICSI ist teurer) und der Menge an Medikamenten. „Nach der sechsten Behandlung frage ich die Eltern, ob es noch sinnvoll ist weiterzumachen“, sagt der Chefarzt. Und wann sollten sich Paare überhaupt um eine künstliche Befruchtung bemühen? Wenn sich – trotz intensiver Bemühungen – nach einem Jahr keine Schwangerschaft einstellt, wäre es an der Zeit, dass sich das Paar zunächst von einem Facharzt untersuchen lässt, rät Felberbaum.
Leben erzeugen im Reagenzglas und im Brutkasten – stumpft das mit der Zeit nicht ab? Jaouad und Felberbaum schütteln den Kopf und die Laborleiterin deutet im Besprechungsraum auf eine große Pin-Wand. Dort ist eine Vielzahl von Babybildern zu sehen, die ihr glückliche Eltern zugeschickt haben. „Bei einem kleinen Zentrum, wie wir es sind, kennt man alle Patienten persönlich“, sagt die Laborleiterin.
Übrigens: Gestern wurde wieder eine Schwangerschaft festgestellt. Die erste, bei der das Ei im Geri lag.