Konzerte in Jerusalem schaffen Verbindungen
Musikverein Schwarzenbach erlebt eine bewegende Woche in Israel – Begegnung mit einer Holocaust-Überlebenden
NEURAVENSBURG/JERUSALEM Der Musikverein Schwarzenbach ist in der Nacht zum Montag von einer einwöchigen Konzertreise nach Israel zurückgekehrt. Das Ziel der Reise ergab sich, weil mit Constantin Ganß einer ihrer Musikkameraden seit September 2017 in Jerusalem einen einjährigen Freiwilligendienst mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste absolviert. Susanne Müller hat die Konzertreise begleitet und schildert ihre Eindrücke.
Am letzten Abend in der Unterkunft in Jerusalem sind sich alle einig: Diese Reise stand unter einem ganz besonderen Stern. Die Musikkapelle spielte zwei wunderbare Konzerte in der Erlöserkirche in der Jerusalemer Altstadt und in der First Station, einem Vergnügungs- und Einkaufszentrum im modernen Jerusalem. Gerade dort jubelte das Publikum insbesondere bei den Stücken, bei denen die Schwarzenbacher Sänger und Sängerinnen ihre Stärken zeigen konnten, und forderte mehrere Zugaben ein.
Unter den Gästen waren viele Kollegen von Constantin Ganß aus Yad Vashem, Freiwillige von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, Mitarbeiter aus dem Hostel „Beit Ben Yehuda“, in dem der größte Teil der Musiker übernachtete, aber auch viele Menschen, die sich einfach von der Musik einfangen ließen.
Einladung zu Musikfestival 2019
Roni Glas, Direktor der kommunalen Kunst- und Musikakademie in Jerusalem, zeigte sich im Anschluss begeistert, von dem was er gehört hatte und dankte dem Orchester, dass es den weiten Weg nach Israel auf sich genommen hatte. Sein Kollege und Leiter des Kulturamts der Stadt, Moshe de Garcea, lud Jürgen Gauß und sein Orchester ein, im April 2019 bei einem Musikfestival in Jerusalem zu spielen. „Ihr seid so gut, Ihr braucht einen Konzertsaal“, sagte de Garcea, der das ganze Konzert strahlend verfolgt hatte.
Die Musikakademie hatte die Schlaginstrumente zur Verfügung gestellt. Diese in die First Station zu bringen war einfach, der Weg durch die engen Altstadtgassen zur Erlöserkirche hingegen wird jenen, die die Pauken, Trommeln und das Marimbaphon begleiteten, noch lange in Erinnerung bleiben. Dasselbe gilt für die Tubisten.
Der Transporter brachte die Schlaginstrumente ans Jaffa-Tor. Von dort ging es einige hundert Meter durch das Marktgewühl mit Händlern, Touristen und Einheimischen vorbei an Koffern, Taschen, Schals, Gewürzen und vielerlei orientalischen Souvenirs bis zur Kirche immer bergab und – später wieder auf demselben Weg zurück – bergauf.
Abenteuer Schlagzeugtransport
Auch das Konzert in der Altstadt fand sehr viele Zuhörer, die sich von der Musik berühren ließen. Viele kamen zufällig herein, weil sie auf dem Weg von oder zur Grabeskirche vorbeikamen und die Musik hörten – wie eine Familie aus Oxford. Sie verließ nach einiger Zeit die Kirche mit Bedauern wieder, denn sie musste weiter.
Anders eine Familie aus Köln, die in Jerusalem im Gästehaus der Evangelischen Kirche Urlaub machte und sich die Zeit für das auf Plakaten angekündigte Konzert genommen hatte. „Wir wollten uns einfach diese Pause gönnen, und es hat sich gelohnt. Wir haben das Konzert sehr genossen“, sagte Familie Dode.
Zwar konzertieren in der Erlöserkirche häufig Gruppen aus Deutschland, wie Kantor Peter-Michael Seifried sagte. Voraussetzung sei jedoch, dass diese Ensembles in Jerusalem eine Betreuung hätten, denn die Kirchengemeinde könnte das bei ihrer dünnen Personaldecke nicht leisten
Im Rahmenprogramm erlebten die Musiker und Musikerinnen sowie die sie begleitenden Partner eine überaus bewegende Begegnung mit der inzwischen 87-jährigen Holocaust-Überlebenden Tamar Landau, die rüstig und sehr lebhaft von ihrer Zeit im Lager Bergen-Belsen und im Kinderheim in Hamburg-Blankenese berichtete. Auch von dem schwierigen Neubeginn im Kibbuz im damaligen Palästina erzählte sie, wo sie als Waisen zwar betreut, aber nicht geliebt worden seien. Die Gruppe aus Schwarzenbach lernte in der zentralen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem nicht nur einiges über die Shoah hinzu, sondern auch verstehen, welche Aufgaben ihr Musikkamerad bei seinem Aufenthalt hat, der Ende des Monats ausläuft.
Constantin Ganß bearbeitet in der deutschen Abteilung Yad Vashems Dokumente und schreibt Zusammenfassungen auf Englisch, so dass die Akten für die Forschung leichter zugänglich sind. Außerdem besucht er jede Woche zwei Überlebende, und verbringt mit ihnen Zeit. „Gerade diese Begegnungen machen den Aufenthalt in Jerusalem für mich so wertvoll, weil ich die Geschichten dieser Menschen höre und sie auch weitertragen kann“, sagt der 19-Jährige. Diese vier zentralen Programmpunkte waren eingebettet in ein touristisches Programm, das dem Kennenlernen des Landes diente.
Aus spontaner Idee geboren
63 Personen waren als Schwarzenbacher in Israel unterwegs. Der Auslöser für die Reise lag im Frühjahr 2017, als Constantin Ganß seinem Dirigenten eröffnete, dass er nun ein Jahr in Israel sein und leider nicht mehr für das Fagottregister zur Verfügung stehen werde. Jürgen Gauß entgegnete spontan: „Dann besuchen wir dich eben in Jerusalem.“Für den 19-Jährigen war das Ansporn. Kaum angekommen und eingelebt, fragte er noch einmal nach, wie das mit dem Besuch denn gemeint gewesen sei. Vorstand Berthold Detzel, der beruflich viele Male in Jerusalem gewesen war, konnte guten Gewissens all jene beruhigen, die leise Bedenken hatten, ob das Land auch ein sicheres Reiseland ist.
Und so war es bald keine Frage mehr, sondern ein fester Plan: Die Schwarzenbacher fliegen nach Israel. Während Constantin Ganß vor Ort Instrumente besorgte und mit Maor Meltzer und Imri Lifshitz zwei starke Klarinettisten des Hebrew University Orchestra zur Aushilfe animieren konnte, die Unterkünfte und das Rahmenprogramm organisierte, kümmerten sich in Schwarzenbach insbesondere Matthias Rall, Ann-Kathrin Hämmerle, Carolin Madlener, Florian Rief und Katharina Gauß um die Flüge, die Finanztransfers und die gesamte Logistik, die so ein Unterfangen mit sich bringt.
Verbindung geschaffen
Finanziert haben die Mitglieder und der Verein die Reise übrigens komplett auf eigene Rechnung. Denn wie sich im Verlauf der Vorbereitungen zeigte, gibt es für solche Projekte von keiner Seite Unterstützung, sagt Berthold Detzel. Landtagsabgeordneter Raimund Haser hatte eine ganze Reihe von Briefen an unterschiedliche Organisationen geschickt, die aber immer mit Bedauern ablehnen mussten.
Gelohnt hat sich der Aufwand dennoch für alle: „Wir haben eine Verbindung zu dem geschaffen, was Constantin macht, und wir haben bei beiden Konzerten etwas beitragen können zur Verbindung der Menschen“, sagt Jürgen Gauß. „Es hätten sich dafür kein besseren Plätze finden lassen können als die Erlöserkirche mitten in der Altstadt und die Konzertmuschel in der First Station.“
An deren Planen sind Menschen vielerlei Kulturen in der Welt abgebildet und der Wunsch steht dort formuliert, dass dies ein Platz des Friedens und der Freundschaft aller Völker sein möge. Ob es im April 2019 dann aber tatsächlich eine zweite Reise nach Israel geben kann, diese Frage kann heute noch niemand beantworten. Sicher ist aber, dass es für einige Mitfahrer nicht die letzte Reise in dieses Land war, das vielen Völkern und Religionen als heilig gilt.