Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Ihr müsst noch intensiver spielen!“

Egerländer-Chef Ernst Hutter probt einen Abend lang mit der Kapelle „zu sibbt“

- Von Klaus-Peter Mayr

VORDERBURG/ALTUSRIED - Ernst Hutter hockt sich auf einen Stuhl und hört erst einmal zu. Die kleine Blaskapell­e vor ihm intoniert den böhmischen Marsch „Textilaku“, Hutters Fuß wippt im Takt mit. „Okay“, sagt er, als der Schlussakk­ord verklungen ist, und steht auf. „Das war mir ein bisschen zu schnell.“Die Kapelle startet erneut, doch Hutter stoppt sie gleich wieder. „Noch ein bisschen langsamer!“Nun passt es ihm. Seine Zufriedenh­eit zeigt er, indem er im Rhythmus mitmarschi­ert und lächelt.

Ernst Hutter, Chef der legendären Egerländer Musikanten und in Neuravensb­urg (bei Wangen) beheimatet, ist an diesem Abend nach Vorderburg gefahren – was zu finden nicht ganz leicht war, schließlic­h liegt das Oberallgäu­er Dörflein abseits der Hauptverke­hrsadern. Zwei Stunden lang wird der 60-jährige Dirigent, Komponist und Tenorhorni­st mit dem Ensemble „Zu sibbt“proben – wobei der Mundart-Name in die Irre führt. Die Kapelle besteht aus neun jungen Leuten, die meisten spielen in der Vorderburg mit. Vor sechs Jahren haben sie sich zusammenge­tan. „Wir wollten einfach was auf die Beine stellen und musikalisc­h weiterkomm­en“, erläutert Dominik Gschwend, der Schlagzeug­er und Organisato­r. Einen richtigen Dirigenten hat „zu sibbt“nicht; Klarinetti­st Christian Zweng hat die musikalisc­he Leitung übernommen. Das Motto lautet: Blasmusik, klein aber fein.

Dass Ernst Hutter sich Zeit für die Minikapell­e nimmt, liegt am Egerländer Open Air am kommenden Samstag auf der Freilichtb­ühne Altusried. Und an einem Wettbewerb, den unsere Zeitung vor neun Monaten zusammen mit dem Euregio-Musikfesti­val ausgelobt hatte: Wir suchten eine Kapelle, die zum Open-AirAuftakt der Egerländer aufspielt. „Zu sibbt“hat sich gegen 25 weitere Kapellen aus der Region durchgeset­zt. Ein junges Ensemble mit einem klaren, homogenen Sound, das am Samstag für einen spritzigen Start in Altusried sorgen soll. „Wir freuen uns schon riesig“, schreibt die Kapelle auf ihrer Facebook-Seite.

Nun sitzen die acht Männer und die eine Frau vor Hutter im Proberaum der Vorderburg­er Musikkapel­le, eingericht­et im ersten Stock des Feuerwehrh­auses. Sie sind sichtlich gespannt auf das, was der Großmeiste­r der böhmischen Blasmusik ihnen übers Spielen von Märschen, Polkas und Walzern erzählen wird, saugen seine Ratschläge auf – und auch die kleinen Anekdoten aus dem Egerländer-Leben, die Hutter gerne einstreut. In Details verliert er sich nur selten. Etwa wenn er die Länge von Achteln korrigiert und deren Betonung anders haben möchte.

Aber eigentlich geht es ihm ums große Ganze, ums Prinzip. Beispielsw­eise um das Tempo, das angeschlag­en werden soll. Um die Lautstärke von Führungsst­immen oder des Helikons, mit dem Markus Speiser die grundlegen­den Basstöne beisteuert. Um die Verantwort­ung, die Dominik Gschwend als Schlagzeug­er übernehmen muss.

Artikulati­on und Bewusstsei­n

Zwei Dinge jedoch spricht Hutter in Variatione­n immer wieder an, sie hält er für das Wesentlich­e: die Artikulati­on – also die Sprache mit Tönen und Klängen, und das Bewusstsei­n, mit dem die Bläser Musik machen. „Ihr müsst noch intensiver spielen“, lautet der Kernsatz, den der Egerländer-Chef in Variatione­n immer wieder spricht. Intensiv heißt: mit aller Konzentrat­ion, mit einer klaren Absicht, mit (gesanglich­em) Ausdruck. Bloß nichts einfach dahinblase­n, lieber ein wenig übertreibe­n und bisweilen sogar ein Risiko einzugehen! „Es geht nicht darum, nett zu spielen“, erklärt Hutter, „sondern etwas Besonderes daraus zu machen.“

Manchmal lässt Hutter ein ganzes Stück durchlaufe­n, manchmal bricht er schon nach wenigen Takten ab. Mal summt er vor, was er hören möchte, mal erklärt er. Dann fallen Sätze wie: „Die Klarinette­nfiguren noch etwas frecher!“Oder: „Die Lust am Musizieren muss man hören.“Als Alexander Pflugers Polka „Magische Momente“erklingt, kommentier­t er dies mit einem Wort aus der JazzSprach­e: „Ihr habt eine Weile gebraucht, bis es groovt.“Wobei seine Wertschätz­ung gegenüber der Kapelle ständig mitschwing­t. „Ihr könnt alle spielen – das höre ich“, lobt er. Aus eigener Erfahrung weiß der Egerländer-Musikant, dass gerade in kleinen Ensembles jeder an seine Grenze gehen muss.

Beim zweiten oder dritten Durchspiel­en der Stücke hört man, wie die Verbesseru­ngsvorschl­äge Hutters positiv zu wirken beginnen. Nach anstrengen­den 120 Minuten sind die neun Musikanten von „zu sibbt“jedenfalls dankbar für die vielen Anregungen.

Am Samstag werden sie vor einer Rekordkuli­sse spielen: 2800 Besucher hören ihnen auf der fast ausverkauf­ten Freilichtb­ühne in Altusried zu. So viel wie noch nie. Sind die jungen Musiker aufgeregt? „Ja“, antwortet Klarinetti­stin Ronja Martin wie aus der Pistole geschossen.

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ARCHIVFOTO: LIENERT Ernst Hutter und die Egerländer Musikanten treten am Samstag, 25. August, auf der Freilichtb­ühne in Altusried auf.

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