„Ihr müsst noch intensiver spielen!“
Egerländer-Chef Ernst Hutter probt einen Abend lang mit der Kapelle „zu sibbt“
VORDERBURG/ALTUSRIED - Ernst Hutter hockt sich auf einen Stuhl und hört erst einmal zu. Die kleine Blaskapelle vor ihm intoniert den böhmischen Marsch „Textilaku“, Hutters Fuß wippt im Takt mit. „Okay“, sagt er, als der Schlussakkord verklungen ist, und steht auf. „Das war mir ein bisschen zu schnell.“Die Kapelle startet erneut, doch Hutter stoppt sie gleich wieder. „Noch ein bisschen langsamer!“Nun passt es ihm. Seine Zufriedenheit zeigt er, indem er im Rhythmus mitmarschiert und lächelt.
Ernst Hutter, Chef der legendären Egerländer Musikanten und in Neuravensburg (bei Wangen) beheimatet, ist an diesem Abend nach Vorderburg gefahren – was zu finden nicht ganz leicht war, schließlich liegt das Oberallgäuer Dörflein abseits der Hauptverkehrsadern. Zwei Stunden lang wird der 60-jährige Dirigent, Komponist und Tenorhornist mit dem Ensemble „Zu sibbt“proben – wobei der Mundart-Name in die Irre führt. Die Kapelle besteht aus neun jungen Leuten, die meisten spielen in der Vorderburg mit. Vor sechs Jahren haben sie sich zusammengetan. „Wir wollten einfach was auf die Beine stellen und musikalisch weiterkommen“, erläutert Dominik Gschwend, der Schlagzeuger und Organisator. Einen richtigen Dirigenten hat „zu sibbt“nicht; Klarinettist Christian Zweng hat die musikalische Leitung übernommen. Das Motto lautet: Blasmusik, klein aber fein.
Dass Ernst Hutter sich Zeit für die Minikapelle nimmt, liegt am Egerländer Open Air am kommenden Samstag auf der Freilichtbühne Altusried. Und an einem Wettbewerb, den unsere Zeitung vor neun Monaten zusammen mit dem Euregio-Musikfestival ausgelobt hatte: Wir suchten eine Kapelle, die zum Open-AirAuftakt der Egerländer aufspielt. „Zu sibbt“hat sich gegen 25 weitere Kapellen aus der Region durchgesetzt. Ein junges Ensemble mit einem klaren, homogenen Sound, das am Samstag für einen spritzigen Start in Altusried sorgen soll. „Wir freuen uns schon riesig“, schreibt die Kapelle auf ihrer Facebook-Seite.
Nun sitzen die acht Männer und die eine Frau vor Hutter im Proberaum der Vorderburger Musikkapelle, eingerichtet im ersten Stock des Feuerwehrhauses. Sie sind sichtlich gespannt auf das, was der Großmeister der böhmischen Blasmusik ihnen übers Spielen von Märschen, Polkas und Walzern erzählen wird, saugen seine Ratschläge auf – und auch die kleinen Anekdoten aus dem Egerländer-Leben, die Hutter gerne einstreut. In Details verliert er sich nur selten. Etwa wenn er die Länge von Achteln korrigiert und deren Betonung anders haben möchte.
Aber eigentlich geht es ihm ums große Ganze, ums Prinzip. Beispielsweise um das Tempo, das angeschlagen werden soll. Um die Lautstärke von Führungsstimmen oder des Helikons, mit dem Markus Speiser die grundlegenden Basstöne beisteuert. Um die Verantwortung, die Dominik Gschwend als Schlagzeuger übernehmen muss.
Artikulation und Bewusstsein
Zwei Dinge jedoch spricht Hutter in Variationen immer wieder an, sie hält er für das Wesentliche: die Artikulation – also die Sprache mit Tönen und Klängen, und das Bewusstsein, mit dem die Bläser Musik machen. „Ihr müsst noch intensiver spielen“, lautet der Kernsatz, den der Egerländer-Chef in Variationen immer wieder spricht. Intensiv heißt: mit aller Konzentration, mit einer klaren Absicht, mit (gesanglichem) Ausdruck. Bloß nichts einfach dahinblasen, lieber ein wenig übertreiben und bisweilen sogar ein Risiko einzugehen! „Es geht nicht darum, nett zu spielen“, erklärt Hutter, „sondern etwas Besonderes daraus zu machen.“
Manchmal lässt Hutter ein ganzes Stück durchlaufen, manchmal bricht er schon nach wenigen Takten ab. Mal summt er vor, was er hören möchte, mal erklärt er. Dann fallen Sätze wie: „Die Klarinettenfiguren noch etwas frecher!“Oder: „Die Lust am Musizieren muss man hören.“Als Alexander Pflugers Polka „Magische Momente“erklingt, kommentiert er dies mit einem Wort aus der JazzSprache: „Ihr habt eine Weile gebraucht, bis es groovt.“Wobei seine Wertschätzung gegenüber der Kapelle ständig mitschwingt. „Ihr könnt alle spielen – das höre ich“, lobt er. Aus eigener Erfahrung weiß der Egerländer-Musikant, dass gerade in kleinen Ensembles jeder an seine Grenze gehen muss.
Beim zweiten oder dritten Durchspielen der Stücke hört man, wie die Verbesserungsvorschläge Hutters positiv zu wirken beginnen. Nach anstrengenden 120 Minuten sind die neun Musikanten von „zu sibbt“jedenfalls dankbar für die vielen Anregungen.
Am Samstag werden sie vor einer Rekordkulisse spielen: 2800 Besucher hören ihnen auf der fast ausverkauften Freilichtbühne in Altusried zu. So viel wie noch nie. Sind die jungen Musiker aufgeregt? „Ja“, antwortet Klarinettistin Ronja Martin wie aus der Pistole geschossen.