Dringend müssen, aber nicht dürfen
In Sonthofen macht sich ein 79-Jähriger in die Hose, weil er im Discounter nicht auf die Toilette durfte
SONTHOFEN/OBERALLGÄU - Ganz dringend auf die Toilette müssen, aber nicht dürfen ... Wer schon mal händeringend eine Toilette suchte, weiß, dass das eine sehr quälende Erfahrung ist. So wie ein 79-jähriger Sonthofener, bei dem es während des Einkaufs im Discounter plötzlich im Bauch rumorte. Seine Bitte, das Personal-WC nutzen zu dürfen, wurde abgelehnt. Der Senior quälte sich nach Hause, schaffte aber selbst die gut 200 Meter nicht und machte sich auf dem Gehweg in die Hose.
Das stille Örtchen sorgt gerne für Diskussionen: Manche beklagen fehlende öffentliche Toiletten, andere vermissen Angebote in Handel und Gastronomie oder sie schimpfen über fehlende Sauberkeit und vielleicht zu zahlende Entgelte.
Immer wieder zu hören: Man müsse sogar jemanden auf die eigene Toilette lassen, wenn der an der Haustür klingelt. Stimmt nicht, sagt Alfred Reichert, Vize-Präsident des Landgerichts Kempten. Aber man dürfe natürlich. So wie man auch ein Glas Wasser reichen darf, wenn jemand durstig an der Tür klingelt. Ein Gesetz gibt es dafür aber nicht. Weil auch Trickbetrüger so ein Bedürfnis vorschieben können: In die Wohnung sollte man Fremde niemals lassen, rät die Polizei.
Auch Geschäfte und Betriebe müssen keinen Kunden aufs Personalklo lassen, der mal muss. Es ist die Entscheidung des Betriebsinhabers, sagt Birgit Linke von der Regierung von Schwaben. Nach dem Arbeitsstätten-/ Arbeitsschutzrecht gebe es zwar kein generelles Verbot, Kunden auf Personaltoiletten zu lassen. Aber für Betriebe könnten unterschiedliche Anforderungen gelten. Ein Lebensmittel behandelnder Betrieb ist hygienisch ja anders zu bewerten als ein Baumarkt. Linke: „Es kommt auf den Einzelfall und die Verhältnisse vor Ort an.“
Im Lebensmittelbereich sind Kundentoiletten getrennt von denen fürs Personal zu halten, konkretisiert das Brigitte Klöpf vom Landratsamt Oberallgäu mit Blick auf die EU-Hygieneverordnung. Baurechtlich gebe es aber keine Vorschriften zu Toiletten in Geschäften. Anders in Berlin. Dort hat der Senat beschlossen: Läden mit über 400 Quadratmetern Verkaufsfläche müssen künftig mindestens eine Kundentoilette vorhalten – barrierefrei! Sonst werden Baupläne nicht genehmigt. Das soll Bedürfnissen älterer Menschen Rechnung tragen. Ausgenommen sind Läden in Einkaufszentren mit zentraler Toilettenanlage.
Ist das Berliner Modell was für Bayern? In München winkt das Bauministerium ab: Die Bayerische Bauordnung beschränke sich auf Mindestanforderungen. Dazu „gehört die Toilettenpflicht in Verkaufsstätten nicht“, sagt Sprecherin Kathrin Fändrich. Ziel der Staatsregierung sei, nach Möglichkeit Vorschriften und damit Bürokratie abzubauen. Man wolle nur da gesetzliche Anforderungen stellen, wo das für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zwingend notwendig ist.
Fändrich sagt, dass viele größere Verkaufsstätten ohnehin Gästetoiletten vorhalten. – So wie etwa Rewe in Sonthofen, der V-Markt in Immenstadt und das Forum Allgäu in Kempten. Lidl hat in Sonthofen und Immenstadt kein ausgewiesenes Kunden-WC. Aber: „Bei Bedarf geben unsere Mitarbeiter den Kunden selbstverständlich die Möglichkeit, die Personaltoilette zu benutzen“, sagt Melanie Pöter von der Lidl-Pressestelle. Man wolle den Einkauf so bequem wie möglich machen.
In der Gastronomie verlieren Toiletten sogar an Bedeutung: Für Lokale und Kioske habe früher die Gaststättenbau-Verordnung die Anzahl nötiger WCs geregelt, sagt Landratsamt-Sprecherin Klöpf. Doch die Verordnung ist seit Ende 2005 außer Kraft. Und der neue Text für Beherbergungsstätten enthalte keine WCVorschrift. Auch das Gewerberecht macht laut Klöpf im Rahmen der Konzession keine Vorgaben.
Vorgaben gibt es noch für „Versammlungsstätten“ab 200 Personen – in der Versammlungsstätten-Verordnung. Und bei weniger Plätzen? Zumindest bei Gaststätten mit über 40 Gastplätzen könnten die Bauaufsichtsbehörden einzelfallbezogen Anforderungen stellen, sagt Kathrin Fändrich vom Bauministerium – auch zur Ausstattung mit Toiletten.
Soll doch das Rathaus für ausreichend öffentliche WCs sorgen, mag sich mancher denken. Falsch gedacht. Alfred Reichert verweist auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen: „Ein Bürger hat gegenüber der Gemeinde keinen Anspruch auf die Errichtung öffentlicher Toilettenanlagen.“