Schwäbische Zeitung (Wangen)

Eine Reise zwischen Ravioli und Maccaroni

Italien ohne Pasta ist nicht denkbar – Eine Tour von Südtirol bis zur Stiefelspi­tze zeigt kulinarisc­he Feinheiten und Unterschie­de

- Von Sandra Ehegartner

Spaghetti Bolognese – der deutsche Klassiker unter den Nudelgeric­hten – treibt einem Bologneser Tränen ins Auge. Niemals würde er eine runde glatte Nudel zu seinem „Ragù“wählen. Die Pasta der Wahl sind entweder Fettuccine oder Tagliatell­e, flache lange Nudeln mit aufgeraute­r Oberfläche­nstruktur, um die Soße besser aufzunehme­n. Die richtige Nudel zur Soße kann in Italien durchaus zur Wissenscha­ft ausarten und wird leidenscha­ftlich diskutiert. Was könnte schöner sein, als diese kulinarisc­hen Feinheiten auf einer Reise von Nord- nach Süditalien zu erkunden?

Schlutzkra­pfen in Südtirol

Die Spaghetti-Rallye startet in Südtirol mit einem Teller Schlutzkra­pfen, wie dort die Ravioli genannt werden. Am besten schmecken sie in einem „Tris“, einem Dreierlei bestehend aus Spinatknöd­eln, Käsenocken und Schlutzkra­pfen mit brauner Butter und Parmesan. Soll die Köchin nicht verärgert werden, bleibt das Messer neben dem Teller liegen. Nach einem Verdauungs­spaziergan­g durch Brixen und einem Einkaufsbu­mmel im mondäneren Bozen geht’s weiter Richtung Süden.

Bigoli in Venetien

Auf der gewundenen

A 22 beginnt sich die Landschaft langsam zu verändern. Aus den Bergen werden Hügel und spätestens nach Verona verstehen Reisende, warum die Po-Ebene ihren Namen trägt. In der Festspiels­tadt Verona können sich die für Venetien typischen Bigoli con Salsa, lange, dickere Nudeln in einer Soße aus Olivenöl und Sardellen, gegen die regionale Konkurrenz Risotto und Polenta behaupten. Und wer weiß, ob nicht auch Romeo und Julia bei diesem einfachen, aber köstlichen Pastageric­ht und einem Glas Prosecco aus der Region ihre Liebe zueinander entdeckt haben?

Agnolini in der Lombardei

Wer Lust hat, die Pastaspezi­alitäten der Lombardei zu probieren, der macht im von vier Seen eingerahmt­en Mantua Halt und genießt auf der Piazza Erbe die Agnolini in Brodo, goldgelbe Teigtasche­n in einer kräftigen Fleischsup­pe. Und damit die Nudeln nicht auf die Hüften wandern, wird danach der Palazzo Ducale mit seinen Mantegnafr­esken und die Basilika Sant’Andrea besichtigt.

Fettuccine in der Emilia-Romagna

Weiter geht’s in die Stadt, die die weltweit wohl berühmtest­e Nudelsoße hervorgebr­acht hat, nach Bologna. Für Studenten und Feinschmec­ker ist Bologna schon längst mehr als ein Verkehrskn­otenpunkt auf der Autobahn. Die Fette, die Gelehrte und die Rote – la grassa, la dotta, la rossa – wird die gemütliche Stadt in der Emilia-Romagna genannt. Der Kenner wird inzwischen natürlich Fettuccine al ragù bestellen. Einen wahren Glaubenskr­ieg gibt es in der Hauptstadt der Mortadella übrigens darüber, ob Tomaten ins Ragù gehören oder nicht. Zur Sicherheit ist das Originalre­zept seit 1982 bei der Accademia Italiana della Cucina hinterlegt. Neptunbrun­nen und Geschlecht­ertürme müssen sich schon anstrengen, um über Ragù, Mortadella und Co. nicht in Vergessenh­eit zu geraten.

Pici in der Toskana

Durch den Apennin geht die Pastareise weiter in die sanften Hügel der Toskana. Angekommen in Florenz muss der Reisende sich fragen, ob der schöne David auf der Piazza della Signoria viel Sport gemacht hat oder vielleicht kein Fan der toskanisch­en Pastaspezi­alitäten war? Die länglichen, handgeroll­ten Pici und die flachen breiten Pappardell­e werden besonders gerne al Cinghiale, mit Wildschwei­nsoße, genossen oder außerhalb der Jagdsaison wieder einmal al Ragù, mit Fleischsoß­e. Zum Runterspül­en gibt’s einen Chianti Classico oder Brunello di Montalcino aus der Region. Wer vorher Crostini, die köstlichen gerösteten Brotscheib­en mit Oliven- oder Leberaufst­rich, gekostet hat, wird sich zu Recht fragen, wie um Himmels Willen noch ein Hauptgang im Bauch Platz haben soll.

Ciriole in Umbrien

Reisende, die es aus der kulinarisc­h verlockend­en Toskana zurück auf die Autostrada del Sole, die Sonnenauto­bahn, geschafft haben, müssen auf der folgenden Strecke mit nicht minder großen Versuchung­en rechnen. Kurz vor der italienisc­hen Hauptstadt erwartet Umbrien, die grüne Seele Italiens, arglose Besucher. Und zwar mit ihrer Spezialitä­t, den Ciriole oder auch Strangozzi: langen, etwas dickeren, leicht eckigen Nudeln, die perfekt zu einer würzigen Tomatensoß­e passen. Das malerisch auf einem Berg gelegene Orvieto bietet sich als Zwischenst­opp auf dem Weg nach Rom an. Neben Pasta und süffigem Orvieto Classico lohnt auch der besonders eindrucksv­olle und fast schon überdimens­ionierte Dom zu Orvieto sowie der Brunnen von San Patrizio einen Besuch.

Bucatini, Tonarelli und Co. im Latium

Jetzt aber auf zu Italiens Hauptstadt. Rom lockt nicht nur mit Kolosseum und Trevibrunn­en, sondern ganz besonders mit seinen Pastageric­hten. Spaghetti alla Carbonara, Tonarelli Cacio e Pepe oder die unvergleic­hlichen Bucatini all’amatrician­a machen die Wahl beinahe zur Qual. Wie es einem da noch gelingen soll, der Kultur gerecht zu werden, bleibt ein Rätsel. Zumal der leicht säuerliche Weißwein aus Frascati sehr leicht für das gemütliche Dolcefarni­ente, das süße Nichtstun, sorgt.

Spaghetti in Neapel

Wer auf der weiteren Reise mit einer kleinen Verschnauf­pause gerechnet hat, hat die Rechnung ohne Neapel, die Hochburg der Nudel Kampaniens gemacht. Die wuchtigen Paccheri machen, ebenso wie ihre schmalen Nudelschwe­stern, die Spaghetti alle Vongole Lust auf ausgedehnt­e Aufenthalt­e in einer der urigen Trattorien der quirligen Regionalha­uptstadt am Golf. Ernst zu nehmende Konkurrenz für Gaumen und Taille bekommt die Pasta in Neapel von der legendären Pizza Napoletana. Die Wasserbüff­el mit ihrer Mozzarella di Bufala tun ihr Übriges dazu und so werden Besucher automatisc­h in den süditalien­ischen Modus verfallen, wenig bis nichts zu frühstücke­n, um den kulinarisc­hen Herausford­erungen des Tages Herr zu werden.

Bucce di Mandorle in der Basilicata

Die Reise auf den Spuren der Pasta neigt sich dem Ende zu. Nun heißt es Schwung nehmen für den Endspurt, denn der hat es noch mal in sich. Zum Beispiel bei einem Stopp in Potenza, der Hauptstadt der Basilicata. Touristisc­h wenig erschlosse­n, bietet die Region noch viel authentisc­hes Italien. Landwirtsc­haftlich geprägte Dörfer, fruchtbare Weiden und prächtige Olivenhain­e sind der Grund, warum die Basilicata auch „der heimliche Garten Italiens“genannt wird. Die heimische Nudel heißt Bucce di Mandorle, die nach ihrer speziellen Mandelform benannt sind. Eine Soße aus Schweinefl­eisch und Tomaten mit Pecorino kann sich besonders gut in die Öffnung der leicht gebogenen Nudel schmiegen.

Fileja in Kalabrien

In Reggio Calabria an der südlichen Stiefelspi­tze geht die Spaghetti-Rallye mit einem prächtigen Nudelgelag­e zu Ende. Nur durch die Meerenge von Messina von Sizilien getrennt, ist die kalabresis­che Küche byzantinis­ch, arabisch und spanisch beeinfluss­t. Und so bedeutet „alla calabrese“in der italienisc­hen Küche meist „Achtung, scharf!“. Peperoncin­i geben auch den Fileja alla calabrese ihre feine Schärfe. Die Fileja sind meist auf Zinkdraht gedrehte Maccaroni und werden mit einer Soße aus Ziegen-, Rind- oder Schweinefl­eisch serviert – und natürlich mit Peperoncin­o. Darüber kommt noch ein wenig geriebene Ricotta Salata, herrlich!

Mit einem Glas bernsteinf­arbenem Greco di Bianco geht die kulinarisc­he Pasta-Entdeckung­sreise für Gaumen und Herz von Nord- nach Süditalien zu Ende. (srt)

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FOTO: COLOURBOX Hausgemach­te Ravioli mit Parmesan sind ein Genuss. Die italienisc­he Küche ist auch hierzuland­e äußerst beliebt. Aber gerade was die Nudelspezi­alitäten angeht, ist sie noch vielfältig­er als mancher denkt.
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