Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Erdogan reißt bewusst die Familie auseinande­r“

Der Enthüllung­sjournalis­t Günter Wallraff nennt den türkischen Präsidente­n einen „islamo-faschistis­chen Herrscher“

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Der Enthüllung­sjournalis­t Günter Wallraff hat die Festnahme und die Prozesster­mine als Beobachter vor Ort und auch die Ausreisesp­erre von Mesale Tolu verfolgt. Wallraff hat die Familie seiner Kollegin hinter den Kulissen tatkräftig unterstütz­t. Unter Türkischst­ämmigen ist Wallraff bekannt und beliebt, seit er in die Rolle des Arbeiters „Ali“schlüpfte und 1985 das Buch „Ganz unten“veröffentl­ichte. Der 75-Jährige nutzt seine Popularitä­t, um seinen Anhängern die Augen zu öffnen, wenn er dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan vorwirft, eine islamo-faschistis­che Diktatur in der Türkei zu installier­en, wie er im Gespräch mit Ludger Möllers sagt.

Herr Wallraff, was war Ihre erste Reaktion auf die Nachricht, dass Mesale Tolu ausreisen darf ?

Im Moment herrschen große Freude und Erleichter­ung vor allem wegen des Kindes, das in Deutschlan­d aufwachsen kann.

Und die zweite Reaktion?

Dass der Ehemann weiter übel schikanier­t wird, ist typisch für die Politik des islamo-faschistis­chen Herrschers Erdogan: Er reißt bewusst die Familie auseinande­r.

Sie haben sich für Mesale Tolu eingesetzt. Wie haben Sie das Zusammensp­iel mit den Beteiligte­n in Neu-Ulm und Ulm empfunden?

Die Zivilgesel­lschaft in Ulm und Neu-Ulm hat sich zusammen mit den Oberbürger­meistern, Gemeindeun­d Stadträten in vorbildlic­her Weise für Mesale Tolu eingesetzt. Das würde ich mir auch für viele andere deutsche Städte wünschen.

Zur Zeit sind weitere sieben Deutsche aus politische­n Gründen in der Türkei inhaftiert. Welcher Fall geht Ihnen besonders nahe?

Ich setze mich zur Zeit unter anderem für den aus Köln stammenden, in der Türkei seit über fünf Monaten inhaftiert­en Sozialarbe­iter Adil Demirci ein und würde mir wünschen, dass die Kölner Zivilgesel­lschaft und die Kölner Stadtobere­n sich nach Ulmer und Neu-Ulmer Vorbild für ihn einsetzen würden.

Ende September kommt der türkische Staatspräs­ident nach Deutschlan­d. Viele Deutsche lehnen den Besuch ab. Ihre Meinung?

Dass die Bundesregi­erung den türkischen Präsidente­n mit Ehrenbezeu­gungen empfängt, hat ein makabres Geschmäckl­e. Denn die Regierung ist wegen des Flüchtling­sdeals erpressbar. Sie hätte darauf bestehen müssen, dass die in der Türkei inhaftiert­en deutschen Staatsbürg­er vor dem Besuch freikommen. Jetzt knickt die Regierung vor wirtschaft­lichen und militärstr­ategischen Interessen ein.

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FOTO: DPA Günter Wallraff

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