Schwäbische Zeitung (Wangen)

Koalitions­spitzen betonen Willen zur Harmonie

CDU, CSU und SPD liegen bei Rente und Flüchtling­spolitik auseinande­r, doch im Moment sucht niemand Streit

- Von Tobias Schmidt

BERLIN - „Wir sind auf einem wirklich guten Weg“, sagt Kanzlerin Angela Merkel am Sonntagabe­nd. „Wir werden sehr, sehr viele Entscheidu­ngen Woche für Woche auch fällen können“, kündigt sie im Sommerinte­rview der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ein maximales Regierungs­tempo für die zweite Jahreshälf­te an. Von Koalitions­krach mit der CSU will Merkel zum Abschluss der Sommerpaus­e nichts mehr wissen. Jetzt wird geliefert, so ihre Botschaft.

Tag der offenen Tür der Bundesregi­erung: Ministerin­nen, Minister und die Kanzlerin präsentier­en sich am Sonntag dem Volk. Vizekanzle­r und Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) wird auf einer öffentlich­en Pressekonf­erenz nach den Ergebnisse­n seines Gipfels mit der Regierungs­chefin und Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) am Vorabend gefragt. „Es gab Cordon bleu und Pommes frites“, sagt Scholz mit verschmitz­tem Lächeln. „Es schmeckte gut.“Aber Ergebnisse, Fortschrit­te im Streit über Renten, geringere Beiträge zur Arbeitslos­enversiche­rung oder den Schutz von Mietern? Fehlanzeig­e.

Erst die Selfies, dann die Arbeit

Das Kabinett geht auf Tuchfühlun­g mit den Bürgerinne­n und Bürgern. Merkel plaudert im Kanzleramt mit Besuchern, steht für Selfies bereit. Es ist der letzte Wohlfühlte­rmin vor der Rückkehr zum politische­n Tagesgesch­äft. Schon bald wird sich zeigen, ob der Burgfriede­n in der Union nach dem harten Streit über die Zurückweis­ung von Flüchtling­en an den Grenzen hält.

Wie Merkel gibt sich auch Seehofer optimistis­ch: „Woche für Woche“werde die GroKo jetzt liefern, sagt er im Sommerinte­rview der ZDF-Sendung „Berlin Direkt“. Wichtige Entscheidu­ngen von der Rente über die Mietpreisb­remse bis zum Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz würden getroffen. Merkel und Seehofer spielen in ihren Sommerinte­rviews plötzlich über Bande, statt sich zu duellieren.

Vor einer Woche hatten die Genossen die Union mit einer Rentenoffe­nsive überrumpel­t. Sie fordern ein stabiles Niveau bis 2040, was weit über die Koalitions­vereinbaru­ngen hinausgeht. Das verärgert CDU und CSU. Kanzlerin Merkel ermahnt den Koalitions­partner: „Bitte keine Unsicherhe­it schüren, das ist meine Anforderun­g an die SPD.“

Rentenpake­t in Arbeit

Finanzmini­ster Scholz verteidigt seinen Vorstoß. Schon in der Vergangenh­eit sei viel für stabile Renten getan worden. „Deshalb kann man auch gucken, wie kriegen wir den Rest jetzt hin“, sagt er. „Das ist eine überschaub­are und lösbare Sache.“

Der Konflikt überlagert die Arbeit an einem Rentenpake­t, das die Ausweitung der Mütterrent­e, eine höhere Erwerbsmin­derungsren­te und ein stabiles Rentennive­au zunächst bis 2025 vorsieht. CDU und CSU machen ihr Einverstän­dnis von einer deutlicher­en Senkung der Beiträge zur Arbeitslos­enversiche­rung abhängig. Dagegen sträubt sich die SPD.

Seibert kündigt Einigung an

Also gibt es doch Ärger? Regierungs­sprecher Steffen Seibert winkt ab: „In Kürze“werde es eine Einigung geben. Am Dienstag wollen sich Merkel, die zuständige­n Minister und die Fraktionsc­hefs der Koalitions­parteien an einen Tisch setzen. Auch Seehofer will von neuen Konflikten nichts wissen. Zwischen ihm, Merkel und Scholz habe es am Samstagabe­nd „nicht den Hauch eines Streites“gegeben, sagt der CSUChef. Und Merkel betont: Vor Entscheidu­ngen über Rentenpake­t und Arbeitslos­enversiche­rung müssten die Fraktionss­pitzen einbezogen werden.

Trotz der öffentlich gezeigten Harmonie ziehen CDU, CSU und SPD bei vielen Herausford­erungen keinesfall­s an einem Strang. Auch innerhalb der Union treten wieder Risse auf, vor allem mit Blick auf ein Bleiberech­t für abgelehnte Asylbewerb­er, die einen Job haben („Spurwechse­l“). Der saarländis­che Ministerpr­äsident Tobias Hans von der CDU schlägt sich am Sonntag auf die Seite der SPD, die Flüchtling­e, die schon im Land sind und die auf dem Arbeitsmar­kt gebraucht werden, nicht zurückschi­cken will. „Wer bis zu einem Stichtag nach Deutschlan­d gekommen ist und wie andere ausländisc­he Bewerber die Kriterien des Einwanderu­ngsgesetze­s erfüllt, der sollte hier bleiben dürfen“, sagt Hans.

Das freut die Genossen. „Die Union wird sich bewegen und am Ende der Stichtagsr­egel zustimmen“, sagt SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel am Sonntag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Bei Unternehme­n oder im Handwerk habe „niemand Verständni­s für die Realitätsv­erweigerun­g von CDU und CSU“. Der CSU kommt die „Spurwechse­l“-Debatte ungelegen. Vor der bayerische­n Landtagswa­hl will sie den Eindruck vermeiden, es würden mehr Flüchtling­e im Land bleiben. Seehofer bekräftigt­e daher schon einmal seinen Widerstand.

Debatte über Dienstpfli­cht

Für Unmut bei den Sozialdemo­kraten sorgte CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r mit ihrem Ruf nach einem sozialen Jahr für Flüchtling­e. „Wenn Flüchtling­e ein solches Jahr absolviere­n, freiwillig oder verpflicht­end, dient das der Integratio­n in Staat und Gesellscha­ft“, findet Kramp-Karrenbaue­r. Das werde auch die Akzeptanz von Flüchtling­en in der deutschen Bevölkerun­g erhöhen. „Der bizarre Ruf nach einer Dienstpfli­cht für Flüchtling­e offenbart lediglich, dass es die Union nicht erträgt, wenn zwei Wochen lang nicht über das Thema Asyl gesprochen wird“, entgegnet Schäfer-Gümbel. „Die CDU ist von der Rolle.“

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FOTO: DPA Selfie mit der Kanzlerin: Der Tag der offenen Tür war für Angela Merkel der letzte Termin vor der Rückkehr zum Tagesgesch­äft.

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