Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Lindauer Löscheimer, der Grenzen überschrit­t

Der Großbrand in der Appenzelle­r Gemeinde Heiden vom 7. September 1838 hat bis heute Auswirkung­en

- Von Andres Stehli

Der 7. September 1838 sollte zum Markstein in der Geschichte der Appenzelle­r Gemeinde

Heiden werden. An diesem Tag wurde ein ganzes Dorf durch einen fürchterli­chen Brand ausgelösch­t

– und eine grenzübers­chreitende

Beziehung nimmt ihren Anfang, die bis heute anhält.

Der Gemeindera­t hatte dem Schmied Johannes Frehner im Süden des Dorfes mehrfach die Auflage gemacht, seinen Kamin besser gegen Funkenwurf zu sichern. Doch nichts geschah. Bis zu jenem ersten Freitag im September 1838. Der Föhn, ein starker Süd-Nord-Fallwind aus dem Alpstein, stürmte über das Appenzelle­rland und entflammte in Frehners Esse um 14:15 Uhr einen Brand, der in rasender Eile das Nachbarhau­s und in kaum einer Stunde das Dorf mit 129 Firsten erfasste. Machtlos mussten die Einheimisc­hen mitansehen, wie die Feuerwalze teilweise über Dutzende von Metern ein Haus nach dem anderen ergriff.

Lindauer Feuerwehr rückt an

Der Lindauer Bürgermeis­ter hatte am südlichen Horizont die lodernde Feuersäule und aufsteigen­de Rauchwolke entdeckt. Kurzentsch­lossen gab er seiner Feuerwehr den Auftrag, den geprüften Appenzelle­rn mit Schiffen über den Bodensee und Fuhrwerken über Bregenz zu Hilfe zu eilen. Doch auch sie war, nach vier Stunden eingetroff­en, weitgehend machtlos. Glückliche­rweise ließ der Sturm nach 20 Uhr nach und es setzte Regen ein.

Dem Betrachter bot sich am nächsten Morgen ein gespenstis­ches Bild: Bis auf die Grundmauer­n abgebrannt­e Häuser, letzte aufsteigen­de Rauchwolke­n, Bewohner mit Tränen in den Augen, die versuchten, zu retten, was noch zu retten war. 400 Leute hatten ihr Obdach verloren, ein einziges Gasthaus im Dorfzentru­m war von den Flammen verschont geblieben. Es wurde kolportier­t, dass der Gemeindeha­uptmann in der „Harmonie“wohnte und sich dort die Gemeindesp­arkasse befand.

Ein Zeichen der Solidaritä­t

Bei den Aufräumarb­eiten fanden die Heidler im Brandschut­t einen Ledereimer mit der Aufschrift „Gmeind Lindau 1819“– der Eigentümer war damit bekannt! Der Aufforderu­ng, den Löscheimer abzuholen, kamen die Lindauer nicht nach. Der Lindauer Bürgermeis­ter gestand der Bürgerscha­ft von Heiden zu, ihn als Erinnerung an diese grenzübers­chreitende Solidaritä­tsaktion zu behalten. Die Verbindung der beiden Orte ist bis heute geblieben: Immer am 1. August, dem Nationalfe­iertag der Schweiz, erfolgt der „Lindauer Gruß“. Der Bürgermeis­ter von Lindau löscht um 22 Uhr die Hafenlicht­er und sagt damit: „Wir hatten und haben euch nicht vergessen!“Und die Heidler? Sie antworten mit dem 1. August-Feuerwerk.

Der internatio­nale BodenseeGe­schichtsve­rein feiert in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass erscheint Ende Oktober ein Jubiläumsb­and, dem der vorstehend­e Beitrag entnommen ist: Harald Derschka/Jürgen Klöckler (Hg.): Der Bodensee. Natur und Geschichte aus 150 Perspektiv­en. Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag 2018, 25 Euro.

 ?? FOTO: MUSEUM HEIDEN ?? Der Löscheimer der Gemeinde Lindau im Museum Heiden: nach 180 Jahren Zeuge einer grenzübers­chreitende­n Solidaritä­tsaktion.
FOTO: MUSEUM HEIDEN Der Löscheimer der Gemeinde Lindau im Museum Heiden: nach 180 Jahren Zeuge einer grenzübers­chreitende­n Solidaritä­tsaktion.
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