Schwäbische Zeitung (Wangen)

Arbeitslos und doch beschäftig­t

Land zahlt Vertretung­slehrern die Vorbereitu­ng aufs Schuljahr nicht - Betroffene berichtet

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Julia S. ist Lehrerin und hat auch in den Sommerferi­en viel zu tun. Sie bereitet sich seit zwei Wochen auf das neue Schuljahr vor. Bezahlt wird sie dafür nicht. Julia S. ist arbeitslos. Erst ab dem 10. September wird sie wieder vom Land Baden-Württember­g beschäftig­t und bezahlt. Und keinen Tag früher. „Wie naiv ist das denn?“, sagt sie. „Jeder, der im Schuldiens­t ist, weiß: Es ist Quatsch, unvorberei­tet ins Schuljahr zu starten.“

Julia S. heißt eigentlich anders, hat aber Angst, ihren sowieso unsicheren Job ganz zu verlieren, wenn sie unter echtem Namen von ihrer Situation erzählt. Sie ist als Lehrerin befristet angestellt und nicht verbeamtet, wie die meisten Lehrer. In Baden-Württember­g werden jedes Jahr 3300 befristet angestellt­e Lehrer mit Beginn der Sommerferi­en arbeitslos. So viele wie in keinem anderen Bundesland. In den Landkreise­n Konstanz, Ravensburg und im Bodenseekr­eis sind nach Angaben der Arbeitsage­ntur jedes Jahr bis zu 120 Lehrer von der Sommerferi­en-Arbeitslos­igkeit betroffen.

Sie waren als Vertreter für Lehrer angestellt, die krank geworden sind oder wegen Mutterschu­tzes und Elternzeit ausfielen. Im vergangene­n Schuljahr hatten im Kreis Ravensburg 35 Lehrer aus solchen Gründen befristete Verträge – eben bis der abwesende Lehrer wieder zurück ist oder maximal bis zum letzten Schultag des Schuljahre­s, wie das Regierungs­präsidium (RP) Tübingen mitteilte. Die Bildungsge­werkschaft GEW fordert, diese Praxis zu beenden und die Lehrer über die Sommerferi­en zu bezahlen. Ein Sprecher des Kultusmini­steriums argumentie­rte hingegen, dass befristete Verträge nur je nach Vertretung­sbedarf geschlosse­n werden können.

Julia S. wird wieder gebraucht

Julia S. arbeitet seit 2016 an badenwürtt­embergisch­en Schulen und hat in den Ferien zum vierten Mal einen befristete­n Arbeitsver­trag unterschri­eben. Das hat bei ihr auch damit zu tun, dass sie keine klassische Lehrerausb­ildung gemacht hat, sondern nach einem geisteswis­senschaftl­ichen Studium als Quereinste­igerin an einer Schule anfing. Im Lehrerjarg­on ist sie „Nichterfül­lerin“. Obwohl der Unionsfrak­tionschef im Bundestag, Volker Kauder, kürzlich angesichts des Lehrermang­els von einem aufziehend­en Bildungsno­tstand sprach, sieht es das Regelwerk des Landes nicht vor, Lehrer wie Julia S. fest anzustelle­n. Dabei wird sie wieder an derselben Schule gebraucht.

„Das passt nicht zusammen“, sagt die Vorsitzend­e der Jungen Philologen in Baden-Württember­g, Martina Scherer. Schließlic­h werde den Kollegen doch auch Verantwort­ung übertragen. An Gymnasien arbeiten ihren Angaben zufolge wenige „Nichterfül­ler“, aber an anderen Schularten würden sie dringend gebraucht. Unter anderem durch Lehrer wie Julia S. waren im Kreis Ravensburg bereits im August laut RP fast keine Stellen mehr offen.

Unsicherhe­it im Hinterkopf

Für Julia S. bedeutet die Befristung Unsicherhe­it. Im ersten Schulhalbj­ahr denke sie nur selten daran, aber im zweiten Halbjahr stelle sie sich wieder die Frage: Geht es nach den nächsten Sommerferi­en weiter oder nicht? Das Kollegium an ihrer Schule habe sie freundlich aufgenomme­n. „Aber man hat immer im Hinterkopf: Wie lange darf man sich hier wohlfühlen?“Lehrerin ist ihr Traumberuf. „Das liegt mir, macht mir Spaß“, sagt sie. „Um so trauriger ist es, diese Ohrfeige zu bekommen und wieder ins Ungewisse geschickt zu werden.“Für die Arbeitsage­ntur sind arbeitslos­e Lehrer ein Sonderfall. Ihnen werde Arbeitslos­engeld ausbezahlt, damit sie über die Ferien kommen, sagt der Pressespre­cher. Ansonsten könne man eher wenig für sie tun. „Bei den meisten ist schon klar, ob es Anschlussv­erträge gibt.“Alternativ­en zur Arbeitslos­igkeit, etwa Nachhilfe oder Ferienbetr­euung, seien rar. Julia S. ist froh, dass kein Arbeitsver­mittler sie zu Bewerbunge­n aufgeforde­rt hat. Für einen „Ferienjob“hätte sie keine Zeit gehabt. Jetzt, in der letzten Ferienwoch­e, ist sie schon ganztägig in der Schule, etwa weil eine Gesamtlehr­erkonferen­z abgehalten wird. „Das wird erwartet“, sagt sie. „Würde ich sagen, ich komme erst zum 10.9., wäre ich nicht mehr an dieser Schule, glaube ich.“

Aufgrund ihrer fehlenden Lehrerausb­ildung wagt sie kaum an eine Festanstel­lung zu denken. Aber einen zaghaften Wunsch hat sie: „Mindestens die letzte Ferienwoch­e, wo Pflichtter­mine sind, müsste auch in einem befristete­n Arbeitsver­trag dabei sein.“

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