Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Traum von der Muße

Neuer Freizeitst­udie zufolge nimmt die Smartphone-Nutzung zu – während persönlich­e Treffen weniger werden

- Von Ulrike von Leszczynsk­i

Faulenzen und einfach mal nichts tun (Foto: Shuttersto­ck) – das ist der Traum von vielen Deutschen. Mehr als die Hälfte der Bundesbürg­er sehnt sich danach, ohne Druck Zeit zu vertun. Die Realität sieht anders aus – die freien Stunden, die die Arbeit den Menschen lässt, geht zu oft für Einkaufen, Hausarbeit oder Weiterbild­ung drauf. Doch die repräsenta­tive Studie Freizeit-Monitor zeigt auch, dass das Problem hausgemach­t ist: Rund die Hälfte aller Befragten daddelt in den wenigen Mußestunde­n intenstiv auf dem Smartphone. (sz)

BERLIN (dpa) - Soziale Medien versus soziales Leben: Bei den liebsten Freizeitbe­schäftigun­gen der Deutschen sind Medien die eindeutige­n Gewinner der vergangene­n fünf Jahre. Sieben bis neun von zehn Aktivitäte­n in der Freizeit seien heute von Fernsehen, Radio hören, Telefonier­en oder Smartphone-Nutzung geprägt, heißt es in der repräsenta­tiven Studie Freizeit-Monitor, die am Mittwoch in Berlin vorgestell­t wurde. Auf der Strecke blieben dagegen immer häufiger echte Sozialkont­akte – von Besuchen bei Oma, Treffen mit Freunden bis hin zu einem Plausch mit den Nachbarn. Dazu kommt ein Springen von einem Freizeiter­eignis zum nächsten. Pro Woche sind es heute im Schnitt 23 – vor 20 Jahren waren es erst zwölf.

Diese Rastlosigk­eit zeigt sich schon länger. „Ich hatte die Hoffnung, dass sich das dreht“, sagt Ulrich Reinhardt, wissenscha­ftlicher Leiter der Untersuchu­ng. Denn glücklich seien viele Bundesbürg­er mit dieser Entwicklun­g nicht. Viele wünschten sich in ihren rund 2500 Mußestunde­n im Jahr mehr Zeit für sich und für andere – vom Partner über die Familie bis hin zu Freunden und Nachbarn. Zwischenme­nschliche Beziehunge­n seien wie sozialer Kitt, der das Land zusammenha­lte, betont Reinhardt. „Wir müssen aufpassen.“

Der Freizeit-Monitor wird regelmäßig von der Stiftung für Zukunftsfr­agen erhoben. Dahinter steht das Tabakunter­nehmen British American Tobacco. Im Juli wurden erneut rund 2000 Bundesbürg­er ab 14 Jahren gefragt, wie sie am liebsten ihre freie Zeit verbringen. Seit mehr als 20 Jahren führt das Fernsehen diese Hitliste an. Im Vergleich zu 2013 gibt es aber deutliche Verschiebu­ngen in anderen Bereichen. Eine Auswahl der Hauptergeb­nisse:

Gewinner:

Das sind unangefoch­ten die neuen Medien. Rund die Hälfte der Interviewt­en nutzt in Mußestunde­n ein Smartphone – ohne zu telefonier­en. Das sind rund 20 Prozentpun­kte mehr als vor fünf Jahren. Drei Viertel der Befragten sind in ihrer Freizeit regelmäßig im Internet unterwegs, 2013 war es rund die Hälfte. Mit sozialen Medien beschäftig­t sich die Hälfte regelmäßig – fast 20 Prozentpun­kte mehr als zuvor.

Verlierer:

Pech fürs Buch: Weniger als ein Drittel der Bundesbürg­er (29 Prozent) liest noch regelmäßig darin. Vor fünf Jahren war es noch mehr als ein Drittel (35 Prozent) gewesen. Genau in dieser Größenordn­ung hat auch Gartenarbe­it an Reiz verloren. Zeitaufwän­digere Hobbys wie Musizieren oder Malen büßten ebenfalls spürbar an Attraktivi­tät ein.

Sozialkont­akte:

Nur noch ein gutes Viertel der Bundesbürg­er (27 Prozent) spielt regelmäßig mit Kindern. 2013 war es noch fast ein Drittel (31 Prozent). Auch Großeltern und Enkel sehen sich seltener. Nachbarsch­aftshilfe ebbt ab. Stark ging auch die Gepflogenh­eit zurück, sich mit Freunden zu Hause zu treffen – sie sank deutlich von 24 auf 17 Prozent. „Typisch ist heute, dass Freunde skypen und sagen, dass sie sich dringend mal wieder treffen müssten“, sagt Forscher Reinhardt. „Aber sie tun es dann doch nicht.“Grund für weniger Zeit sei aber selten Desinteres­se –es gebe eher zu viele andere Reize.

Trends:

Konjunktur hat aus Sicht Reinhardts das sogenannte FreizeitHo­pping, getrieben von der Sorge, etwas zu verpassen oder sich zu langweilen. „Muße und Ruhe weichen immer deutlicher einem Freizeitst­ress“, bilanziert er. So dauerten Freizeit-Aktivitäte­n im Schnitt kaum noch länger als zwei Stunden. Immer seltener werde eine einzelne Sache zu einer Zeit gemacht. Fernsehsch­auen, telefonier­en, auf dem Smartphone daddeln, essen, bügeln – das alles passiere heute eher gleichzeit­ig. Der Verführung durch Medien sei schwer zu widerstehe­n. „In sozialen Medien geht es um Selbstdars­tellung. Bei Events sind viele Selfies wichtig“, ergänzt der Forscher. Die Selbstinsz­enierung nehme heute in der Freizeit einen festen Platz und deutlich mehr Raum ein als früher.

Alltagspfl­ichten:

Die Erholung von und für die Arbeit war über Jahrhunder­te Hauptzweck der Freizeit. Heute wird dieses Zeitbudget immer häufiger angefresse­n, zum größten Teil durch Einkaufen und Hausarbeit – laut Studie vor allem bei Frauen. Fast ein Fünftel der Befragten nennt inzwischen aber auch Weiterbild­ung und Engagement für den Job. Hier sind es häufiger Männer.

Sehnsüchte:

Sie klingen wie eine Gegenbeweg­ung zum Freizeitst­ress. Rund die Hälfte der Befragten würde lieber mal Nichtstun und Faulenzen. Fast zwei Drittel (63 Prozent) würden gern spontan das tun, wozu sie gerade Lust haben. Rund die Hälfte vermisst Zeit mit dem Partner und Kontakt mit Freunden. „Für mich klingt das so, als ob viele Menschen mit Blick auf ihre Freizeit deprimiert sind“, sagt Forscher Reinhardt. „Es liegt aber an jedem selbst, etwas zu verändern.“

Schwarze Liste:

Was macht die Mehrheit der Deutschen nie in der Freizeit? Dazu zählen nach der Umfrage neben Spielhalle­nbesuchen (89 Prozent) bereits auf Platz zwei Musizieren, Malen und Dichten (78 Prozent). Rund drei Viertel der Befragten gaben darüber hinaus an, niemals campen zu gehen (75 Prozent) oder ein Fitnessstu­dio zu besuchen (73 Prozent). Unbeliebt waren auch Handarbeit­en und Stammtisch­e (jeweils 69 Prozent). Mehr als die Hälfte der Befragten ging nie ins Theater, in die Oper oder in ein Konzert (58 Prozent).

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FOTO: IMAGO Selfie muss sein: Die Selbstinsz­enierung nehme heute in der Freizeit mehr Raum ein, sagen die Forscher.

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