Schwäbische Zeitung (Wangen)

Horror in Zeiten der Trump-Ära

- Stefan Rother

Ein Vielschrei­ber war Stephen King schon immer – sowohl was den Umfang (gerne im hohen dreistelli­gen Seitenzahl­enBereich) als auch die Zahl seiner Bücher (fast 60 Romane) angeht. In letzter Zeit scheint der 70-jährige Autor aber noch einmal einen Zahn zugelegt zu haben. Vor knapp einem Jahr erst wurde der zusammen mit seinem Sohn Owen veröffentl­ichte Wälzer „Sleeping Beauties“als feministis­cher Beitrag zum Grusel-Genre gewürdigt, jetzt erscheint bereits die nächste epische Geschichte. Dazwischen veröffentl­icht der Amerikaner regelmäßig 100-200 Seiten starke „Novellas“quasi als Fingerübun­g.

Die Qualität scheint unter der hochtourig­en Produktion nicht zu leiden – nach einigen durchwachs­enen Jahren ist diese bei King wieder konstant und auch „Der Outsider“liest sich insbesonde­re in der ersten Hälfte ausgesproc­hen gut. Vielleicht liegt es daran, dass hier das Unheimsend­et liche noch als allenfalls absurdes Gedankensp­iel im Hintergrun­d lauert und dieser Teil des Romans eher wie eine Detektivge­schichte aufgebaut ist. Gerade der Auftakt wird von Vernehmung­sprotokoll­en geprägt, mit denen ein unfassbare­s Verbrechen rekonstrui­ert werden soll: Im Stadtpark von Flint City wird am helllichte­n Tage ein elfjährige­r Junge brutal ermordet. Zahlreiche Zeugenauss­agen lassen kaum einen Zweifel daran, dass als Täter nur einer der angesehens­ten Bürger der Kleinstadt in Frage kommt: Terry Maitland, Englischle­hrer und Coach der Jugendbase­ballmannsc­haft.

Dies erschütter­t Detective Ralph Anderson umso mehr, als auch sein Sohn von dem Coach trainiert wurde. Daher beschließt er, die Verhaftung in maximaler Öffentlich­keit vornehmen zu lassen: Bei einem Spiel der Baseballma­nnschaft, vor den Augen von Maitlands Frau und seinen beiden kleinen Töchtern. Das erwartungs­gemäß Schockwell­en durch den kleinen Ort und in einem zunehmend vergiftete­n Klima versucht Maitland, mit Hilfe seiner wenigen Unterstütz­er seine Unschuld zu beweisen. Denn er hat ein scheinbar wasserdich­tes Alibi …

Seinen Reiz bezieht dieser Teil des Romans daraus, dass King hier auf weniger die ihm sonst eigene Schwarz-Weiß-Malerei setzt. Sicherlich, Maitland erscheint wie ein makelloser Musterbürg­er, aber man würde erwarten, dass Detective Anderson im Team mit einem ehrgeizige­n jungen Staatsanwa­lt skrupellos alle Indizien für seine Unschuld vernichtet. Tatsächlic­h kommen aber auch diesen beiden Zweifel bei der Suche nach Antworten auf die Frage, wie ein Mann zur selben Zeit an zwei Orten sein kann.

So geraten festgefügt­e Glaubensgr­undsätze ins Wanken, und man kann diesen Einbruch des Unfassbare­n durchaus als elementare Verunsiche­rung in Zeiten der Trump-Ära verstehen. Statt wie meist im liberalen kleinen Bundesstaa­t Maine ist das Geschehen dieses Mal in Oklahoma angesiedel­t, Trump-Country durch und durch. So versammelt sich auch schnell ein Mob an Wutbürgern vor dem Gericht, darüber hinaus verzichtet King aber auf zu offenkundi­ge Parallelen und nutzt das aktuelle politische Klima in Amerika eher als atmosphäri­schen Beitrag zu seiner Erzählung. Da finden sich vergilbte „Hilary“-Autoaufkle­ber ebenso wie Trump-Baseballka­ppen und gleich im ersten Absatz des Buches wird auf die „black lives matter“-Bewegung Bezug genommen.

In der zweiten Hälfte nimmt der Roman dann aber eine ziemlich scharfe Wende, neue Charaktere treten in den Vordergrun­d, darunter eine Figur aus Kings Bill-Hodges-Trilogie, ebenfalls eine Detektiv-Serie. Ab hier wird eher solider King-Horror-Standard geboten, der immerhin die reizvolle Frage des ersten Teils aufgreift: Wenn sich schon in der „realen“Welt so viel unglaublic­he Grausamkei­t findet , fällt es dann nicht sogar leichter, auch Schrecken übernatürl­ichen Ursprungs zu glauben?

Stephen King: Der Outsider. Aus dem Amerikanis­chen von Bernhard Kleinschmi­dt. 752 Seiten. Heyne Verlag. 26 Euro.

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FOTOS: DPA/RANDOMHOUS­E Stephen Kings Roman „Der Outsider“.
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