„Zehn Prozent gibt kaum einer“
Kellner leben im Allgäu oft hauptsächlich vom Trinkgeld – Doch nicht alle Gäste sind großzügig
ALLGÄU - Sind die Schwaben eigentlich auch beim Trinkgeld sparsam? Honorieren asiatische Gäste, die zum ersten Mal eine Weißwurst essen, den Service besonders gut? Ist der Sportwagenfahrer mit der teuren Sonnenbrille großzügiger als der radfahrende Familienvater? Das Thema Trinkgeld ist eine heikle Sache – bei Gästen und unter Kollegen. Deshalb möchten viele Servicekräfte nur anonym darüber sprechen. So wie eine 29-jährige Bedienung aus einem Füssener Hotel, die es täglich mit Gästen aus aller Welt tun hat. Sie weiß: „Zehn Prozent gibt leider kaum noch einer.“
Dabei sind fünf bis zehn Prozent der Rechnungshöhe in Deutschland üblich, sagt Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands. Verpflichtet sei natürlich niemand dazu, Trinkgeld zu geben. Zumal das sogenannte Bediengeld hierzulande bereits in den Preisen einkalkuliert sei. Trotzdem gelte: „Für gute Leistung sollte man auch ein gutes Trinkgeld geben“, sagt Geppert.
Denn die meisten Servicekräfte leben vom Trinkgeld, sagt eine 38Jährige, die in einem Kemptener Café bedient. „Mit dem Grundlohn deckt man die Fixkosten. Sparen und andere Ausgaben gehen nur mit dem Trinkgeld. Das ist für uns das A und O.“Eine Servicekraft verdient in der Stunde zwischen 8,84 Euro (Mindestlohn) und 14 Euro.
Am wenigsten Trinkgeld würden Urlauber geben, sagt die 38-jährige Kemptenerin. Franzosen und Italiener verzichteten meist ganz darauf, sagt sie. Auch die Bedienung aus Füssen stellt fest: Nicht-deutschsprachige Urlaubsgäste geben am wenigsten Trinkgeld. Sie wissen oft nicht, was üblich ist oder kennen es aus ihren Ländern anders, sagt sie. Wenn aber Erwachsene aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz kein Trinkgeld geben, sei das bewusst so gewollt. „Dann frage ich mich schon, was ich falsch gemacht habe und ärgere mich“, sagt die 29-Jährige.
Wenn der Gast bewusst kein Trinkgeld gibt, weil der Service oder das Essen schlecht waren, sei es deshalb am besten, diese Kritik auch zu äußern, rät Geppert. Trinkgeld sollte man im Übrigen auch geben, wenn die Rechnung mit Karte beglichen wird – am besten bar.
Generell sei das Trinkgeld-Verhalten der Gäste im Allgäu nicht vorhersehbar, sagen die Bedienungen. Egal wie die Personen auftreten, welche Kleidung sie tragen oder aus welchen Bundesland sie kommen – wie viel am Ende für die Kellner herausspringt, sei immer eine Überraschung. „Ich bin einfach zu allen gleich nett“, sagt eine 55-jährige Bedienung aus Rettenberg (Oberallgäu). In dem Gasthof, in dem sie arbeitet, habe sie es hauptsächlich mit Einheimischen und deutschsprachigen Urlaubern zu tun. Dabei stelle sie fest, dass Jüngere oft etwas spendabler seien als Ältere. Besonders gutes Trinkgeld gebe es bei Firmen-Weihnachtsfeiern.
Trinkgeld ist aber nicht nur für Servicemitarbeiter ein wichtiges Thema. Auch Friseure sind zum Teil darauf angewiesen, um sich Extras wie einen Urlaub leisten zu können, sagt Enrico Karrer, Innungsobermeister für Memmingen und das Unterallgäu. Die Bezahlung im Friseurhandwerk sei sehr unterschiedlich. Je weniger jemand verdient, desto wichtiger ist das Trinkgeld, sagt Karrer. Üblich seien im Durchschnitt pro Kunde zwei bis drei, in Ausnahmefällen auch fünf Euro. „Wenn einer kein Trinkgeld gibt, hat man ein schlechtes Gefühl“, sagt der Friseur.
Bei anderen Handwerksberufen ist das nicht so. Auf Baustellen ist es zum Beispiel eher üblich, dass der Auftraggeber eine Brotzeit und Getränke anbietet, sagt Ralf Schmidt, Obermeister der Maler-Innung Kaufbeuren. Das sei eine tolle Wertschätzung. Dass die Arbeiter Geld zugesteckt bekommen, sei eher selten und erwarte auch niemand.