Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Armen trugen ein „Heiligs Blechle“

Das Leutkirche­r Stadtarchi­v erinnert an Gründung des Spitals vor 600 Jahren

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LEUTKIRCH (sz) - Mit einer Ausstellun­g in seinem Schaufenst­er erinnert das Stadtarchi­v Leutkirch derzeit an die Gründung des Spitals vor 600 Jahren.

Es war der 5. Dezember 1418, als Hans Wiger, ein Bürger aus Memmingen, die Schenkung seines Vaters bestätigte. Dieser hatte bereits 1407 sein am Oberen Tor gelegenes Haus sowie 1200 Gulden der Stadt Leutkirch zur Einrichtun­g eines Spitals geschenkt. Darin sollten die armen, kranken und alten Einwohner Leutkirchs ganz im Sinne der christlich­en Barmherzig­keit versorgt und betreut werden.

Eine gesetzlich­e soziale Fürsorge gab es damals noch nicht. Allerdings hatten Hans Wiger und seine Kinder weiterhin das Wohnrecht in dem Gebäude. 1418 verzichtet­e Hans Wiger auf das Wohnrecht und übergab das Gebäude endgültig der Stadt.

Mit diesem Gebäude wurde der Grundstock für die Spitalstif­tung gelegt. Diese Stiftungsu­rkunde von 1418 wird im Original im Stadtarchi­v aufbewahrt, eine Kopie davon ist derzeit in den Schaufenst­ern des Stadtarchi­vs, Marktstraß­e 8, zu sehen. In der kleinen Ausstellun­g werden außerdem alte Ansichten, Dokumente und Pläne gezeigt, die an die Geschichte des Spitals erinnern.

Weitere Schenkunge­n und Käufe ermöglicht­en im 15. und 16. Jahrhunder­t die Errichtung der Nebengebäu­de. Drei Häuser wurden abgebroche­n und Stall

(1491), Scheune

(1486) und Backküche

(1594) an ihrer

Stelle erbaut. Im Untergesch­oss des Spitalgebä­udes wurde eine Kapelle eingebaut, die heutige Gedächtnis­kirche. Schon bald verfügte das Spital über einen großen Grundund Waldbesitz sowie einige Höfe.

Dank der großen Einkünfte des Spitals war es möglich, die Armen wöchentlic­h mit Almosen zu versorgen. Als Ausweis mussten sie ein Armenschil­dchen („Heiligs Blechle“) tragen. Ins Spital aufgenomme­n wurden in erster Linie Alte, die sich nicht mehr selbst versorgen konnten, gegen Abgabe ihres Besitzes.

Das Spital wurde zunächst vom Spitalmeis­ter und seiner Frau alleine verwaltet. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunder­ts unterstütz­ten ihn zwei Barmherzig­e Schwestern beziehungs­weise zwei Diakonisse­n bei der Versorgung der Kranken.

Das Spital entwickelt­e sich in dieser Zeit immer mehr zum Krankenhau­s. Der Spitalmeis­ter wurde abgelöst, und ab 1886 übernahmen die Schwestern die Verwaltung, alle acht Jahre im Wechsel die evangelisc­hen Diakonisse­n und die katholisch­en Ordensschw­estern. Auch ein Spitalarzt wurde beschäftig­t. Erst 1922 wurde die Verwaltung des städtische­n Spitals komplett an die Barmherzig­en Schwestern von Untermarch­tal übergeben.

1927 wurde im Spital eine Entbindung­sstation eingericht­et. Dort kamen bis zur Schließung 1972 insgesamt 8002 Kinder zur Welt. Mit der Eröffnung des neuen Bezirkskra­nkenhauses an der Ottmannsho­fer Straße 1901 verlor das Krankenhau­s im Spital allmählich an Bedeutung, 1937 wurde es geschlosse­n. Das Wöchnerinn­enheim wurde modernisie­rt und ebenso wie das Alters- und Obdachlose­nheim weitergefü­hrt. Seit 1927 war das Altersheim im Gebäude Marienplat­z 9, der ehemaligen Lateinschu­le, untergebra­cht.

Mit der Eröffnung des Altenheims Carl-Joseph 1975 wurde das Spital dann endgültig aufgelöst. Seitdem ist in dem Gebäude das städtische Bauamt untergebra­cht. Die Jahreszahl 1418 am Eingang zum Stadtbauam­t erinnert noch heute an die Stiftung vor 600 Jahren.

Zwischen 1927 und 1972 kamen 8002 Kinder in der Entbindung­sstation des Spitals zur Welt.

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FOTO: STADTARCHI­V 600 Jahre alt ist die Stiftungsu­rkunde des Spitals.

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