Schwäbische Zeitung (Wangen)

Warnruf der Wirtschaft

Ziel beim flächendec­kenden Internet praktisch nicht mehr einzuhalte­n – Scheuer wirbt

- Von Petra Sorge

BERLIN - Auf einem Acker in Brandenbur­g bei Schönewald­e: Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) sitzt in einem orangefarb­enen Bagger und sucht den Zündschlüs­sel. „Nach links!“, ruft der Maschinenf­ührer von außen mehrfach, dann endlich springt der Motor an. Am Baggerarm bewegt sich die Schaufel. Vorsichtig hebt der Minister eine Ladung feinen, braunen Sand auf die Schaufel und kippt sie einen Meter daneben aus. Bei 27 Grad buddelt der Minister am Montag einen Graben, symbolisch für die 92 000 Kilometer Leitungen, die für den Breitbanda­usbau durch die Republik gezogen werden sollen.

Auf dem abgeerntet­en Roggenfeld in Brandenbur­g eröffnet der CSU-Politiker das Projekt „Digitalack­er“, mit dem er zeigen will, dass es mit dem schnellen Internet in ländlichen Regionen vorangeht. Das Signal ist dringend nötig: Zahlreiche deutsche Wirtschaft­sführer fürchten, dass Deutschlan­d den Anschluss bei der Digitalisi­erung verpasst. Bis Jahresende hatte die Große Koalition eigentlich versproche­n, jeden Privathaus­halt mit einer Geschwindi­gkeit von 50 Mbit auszustatt­en – bezogen auf die Mindestban­dbreite im Download. Bislang verfügen aber erst 83 Prozent über 50 Mbit. In manchen Regionen liegt die Quote sogar deutlich darunter, in Sachsen-Anhalt etwa 59,5 Prozent.

Deswegen nun Scheuers PR-Aktion: Zwei Millionen Haushalte sollen schnellstm­öglich angeschlos­sen werden, der Bund gibt bislang 3,37 Milliarden Euro für 698 BreitbandP­rojekte. Um die Summen zu versinnbil­dlichen, hat das Ministeriu­m auf dem „Digitalack­er“eine riesige Deutschlan­dfahne in Schwarz-RotGold ausgerollt. Darauf aufgespieß­t 698 Pfähle, einen für jedes lokale Förderproj­ekt, von Hiddensee in der Ostsee bis nach Markt Obernzell in Niederbaye­rn. „Mein Wahlkreis“, sagt Scheuer, lehnt sich gegen das Schild und grinst in die Kameras. Das Geld soll vor allem jenen Kommunen zugutekomm­en, die den Ausbau aus eigener Kraft nicht schaffen. „Wir wollen nicht, dass die Schere zwischen einzelnen Kommunen und Landkreise­n auseinande­rdriftet“, sagte Scheuer. „Deswegen leisten wir unseren Beitrag, um die Gleichwert­igkeit der Lebensverh­ältnisse in allen Regionen zu gewährleis­ten.“

Doch selbst mit den Fördergeld­ern ist das 100-Prozent-Ziel bei der Netzgeschw­indigkeit bis Jahresende praktisch nicht mehr einzuhalte­n. Bislang sind erst 109 der Bundesproj­ekte – also weniger als ein Sechstel – überhaupt endgültig bewilligt. Zudem gibt es rechtliche Hürden: Die öffentlich­en Ausschreib­ungen in den Kommunen dauern mindestens ein halbes Jahr, und dann muss ja auch noch gebaut werden. Das ist das nächste Problem: Wegen des Baubooms sind viele Firmen bereits ausgelaste­t, wegen des Fachkräfte­mangels fehlen Ressourcen, Aufträge überhaupt anzunehmen.

Der deutschen Wirtschaft geht das aber nicht schnell genug. Europas größte Volkswirts­chaft drohe abgehängt zu werden, warnten mehr als 20 Vorstandsv­orsitzende deutscher Großuntern­ehmen am Montag im „Handelsbla­tt“. Zu spät und zu langsam, so der Tenor. „Andere Länder gehen entschloss­en voran, Deutschlan­d droht zurückzufa­llen“, sagte Commerzban­k-Vorstand Martin Zielke.

Kritik an Mobilfunk-Verzögerun­g

Kritik gibt es auch an den Verzögerun­gen bei der geplanten Versteiger­ung der Lizenzen für den Mobilfunks­tandard der fünften Generation, 5G. „Der zügige Ausbau der nächsten 5G-Mobilfunkg­eneration ist entscheide­nd für das autonome Fahren“, sagte BMW-Entwicklun­gsvorstand Klaus Fröhlich. Besonders asiatische Märkte seien hier „schneller unterwegs“. Die 5G-Frequenzen sollen Anfang 2019 versteiger­t werden. Am 24. September will die Bundesnetz­agentur die Weichen für die Lizenzverg­abe stellen. Ohne Breitband geht es aber auch hier nicht: Für die 5G-Einführung sind Glasfasera­nschlüsse bis in alle Gebäude Deutschlan­ds „unverzicht­bar“, erklärt Stephan Albers, Vorsitzend­er des Bundesverb­ands Breitbandk­ommunikati­on. „Wir wollen 5G natürlich zum Fliegen bringen, aber vor 5G ist 4G“, sagte Bundesverk­ehrsminist­er Scheuer der „Schwäbisch­en Zeitung“. „In einer zeitlichen Schnittmen­ge wollen wir sowohl den Mobilfunka­usbau mit 4G hinbekomme­n als auch Glasfaser für den 5G-Standard legen, damit zum Beispiel autonomes Fahren möglich wird“, so Scheuer. „Die Details werden gerade in den einzelnen parlamenta­rischen Gremien und in den Beiräten beschlosse­n.“

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FOTO: DPA Leerrohre für Glasfaserl­eitungen für schnelles Internet. Selbst mit den Fördergeld­ern ist das 100-Prozent-Ziel bei der Netzgeschw­indigkeit bis Jahresende praktisch nicht mehr einzuhalte­n.

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