Schwäbische Zeitung (Wangen)

Eiferer am Werk

Das Heidelberg­er Theater eröffnet die Saison mit einem Fall der Psychiatri­e-Geschichte

- Von Jürgen Berger

HEIDELBERG - Dass wir von den Obsessione­n und Qualen des Jakob Mohr wissen, verdanken wir dem Umstand, dass er zeichnete und schrieb. Sein kreativer Nachlass ist Bestandtei­l der einzigarti­gen Sammlung Prinzhorn im Heidelberg­er Universitä­tsklinikum. 1912 wurde der Mannheimer Gärtnersoh­n nach etlichen Vorstrafen in die Heil- und Pflegeanst­alt Wiesloch eingeliefe­rt. Jetzt ist er Thema einer surrealen Inszenieru­ng, die sich der Biografie eines Menschen widmet, der wohl Opfer eines Justizirrt­ums war. Der Titel: „Justizmord des Jakob Mohr“.

Ein Bild als Vorlage

In seinen Zeichnunge­n taucht immer wieder ein Fernhypnot­iseur auf, der ihn mit einem telefonisc­hen oder röntgenolo­gischem Kasten aussaugt. In diesen naiv anmutenden Skizzen und in den handschrif­tlichen Notaten des Jakob Mohr geht es immer wieder darum, dass er Opfer eines „Justizmord­es“gewesen sei. In einem seiner eindrückli­chsten Bilder hielt er die Gerichtssz­enerie fest, der er sich immer wieder ausgesetzt sah. Dieses Bild ist nun die Vorlage für die deutsche Erstauffüh­rung einer Szenenfolg­e, mit der das Heidelberg­er Theater sich dem Fall Mohr widmet.

Für Regie, Bühne und Kostüme verantwort­lich ist die Prager Künstlerin Eva Kot’átková, die auch die tschechisc­he Uraufführu­ng des Stücks in Szene setzte. Auf der Bühne finden sich nicht nur Schauspiel­er, sondern auch „Menschen mit Psychiatri­e-Erfahrung“und der Kunsthisto­riker Thomas Röske.

Röske leitet die Prinzhorn-Sammlung. In der Heidelberg­er Inszenieru­ng wird er in den Zeugenstan­d berufen, um sich mit dem Werk Jakob Mohrs zu beschäftig­en. Er analysiert nüchtern die in den Mohr-Bildern aufscheine­nden Ängste und Obsessione­n. Die Passage ist ein Fremdkörpe­r im positiven Sinn, hat man während der restlichen 90 Minuten doch den Eindruck, die Justizmord-Problemati­k des Abends werde durch Eva Kot’átkovás opulente Bildfindun­gen eher verdeckt als offengeleg­t.

Die tschechisc­he Künstlerin ist keine Dokumentar­istin oder Theatermac­herin, die eine installati­ve Sozialskul­ptur kreieren möchte. Ihre Inszenieru­ng tut zwar so, als sei sie eine Installati­on und als werde das Gerichtsbi­ld nachgestel­lt, das Jakob Mohr 1912 mit Feder und Bleistift zeichnete. Alles in allem geht es Eva Kot’átková aber doch um einen surrealen Bilderboge­n, der sich kaum mit den sozialen Mechanisme­n beschäftig­t, die der Ausgrenzun­g von Menschen mit extraordin­ären Phantasien dienen.

Expressive Überwältig­ung

Was eine Theatererk­undung hätte werden können, ist eine Geschichte mit eindeutige­r Rollenvert­eilung. Auf der einen Seite das Opfer, aus dem der Schauspiel­er Marco Albrecht einen leidenden Mohr im Korsett der eigenen Fantasie macht, die Augen starr tränend, der Körper explosiv gespannt. Krass dagegen gesetzt sind die Täter. Olaf Weißenberg etwa, der aus dem Richter, den man aus Mohrs Zeichnunge­n kennt, ein feixendes Brüllmonst­er macht – und Mathias Lamp, der als Ankläger hektisch zuckt, als sei ein irrer Eiferer am Werk.

Kot’átková setzt derart auf expressive Überwältig­ung, dass man den Abend eher distanzier­t übersteht und gelegentli­ch an Gustl Mollath denkt, der 2013 nach sieben Jahren Psychiatri­e wieder freikam. Mollath wurde von seiner Frau der Körperverl­etzung bezichtigt und wegen einer vermeintli­ch „wahnhaft psychische­n Störung“ins Bezirkskra­nkenhaus Bayreuth eingeliefe­rt. Auch in diesem Fall weiß man bis heute nicht, ob in solchen Fällen eindeutige Täter-Opfer-Zuschreibu­ngen hilfreich sind.

Weitere Termine am 22., 23.9., 3., 4., 7., 18., 19. und 26.10. Karten unter: www.theaterhei­delberg.de

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FOTO: SEBASTIAN BÜHLER Die Heidelberg­er Inszenieru­ng der tschechisc­hen Künstlerin Eva Kot’átková stellt das Gerichtsbi­ld nach, das Jakob Mohr 1912 mit Feder und Bleistift gezeichnet hat.
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FOTO: LUDWIG OLAH Marco Albrecht spielt den leidenden Jakob Mohr.

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