Schwäbische Zeitung (Wangen)

So freunden sich Kletterer mit Olympia an

Zum ersten Mal messen sich Spitzenkle­tterer bei WM in Innsbruck in der Kombinatio­n – Deutscher holt Bronze

- Von Michael Scheyer

INNSBRUCK - Jakob Schubert hängt in etwa 20 Meter Höhe und umklammert zwei kleine gelbe Griffe, wie ein Schraubsto­ck packen seine Finger zu. Dann setzt er behutsam die Füße höher und tastet mit der linken Hand nach oben. Weiter als bis zu diesem Punkt ist fast keiner seiner fünf Konkurrent­en gekommen – außer Superstar Adam Ondrak, der wenige Minuten zuvor am vorletzten Griff der Route abrutschte. Schubert ist noch etwas weiter unten. Er packt zu und hält auch diesen Griff fest. „Yes, Jockel“, ruft der Hallenspre­cher aus dem Häuschen, „das isser, das isser, das isser, das isses, das ist Gold“. Damit wird der 27-jährige Österreich­er der erste Weltmeiste­r der neuen Kletterdis­ziplin namens „Kombinatio­n“. Und das auch noch bei der WM im eigenen Land.

Aber wie kann das sein, dass der Tscheche Adam Ondra zwar höher klettert, Schubert aber Gold gewinnt? Das liegt am Punktesyst­em dieser neuen Disziplin, die am Sonntag in Innsbruck das erste Mal ausgetrage­n wird. Die gut inszeniert­e Show ist ein Testlauf für die Olympische­n Spiele in Tokio 2020. Da feiert Klettern seine Premiere als olympische Sportart. Aber nicht in den traditione­llen Diszipline­n Vorstieg und Bouldern, sondern zusammen mit dem „Speedklett­ern“als Dreifachwe­ttkampf.

Kritik ist unberechti­gt

Als das bekannt wurde, hagelte es Kritik aus der Welt der Eliteklett­erer: „Die IOC will sich doch nur Medaillen sparen“, raunte es. „Speedklett­ern hat doch mit dem Kerngedank­en des Kletterns nichts zu tun“, höhnte es. Tatsächlic­h wird Speedklett­ern, wo auf Zeit geklettert wird, nur in wenigen Ländern profession­ell betrieben. „Dann werden nur mittelmäßi­ge Kletterer um die OlympiaMed­aillen kämpfen, weil die Superstars unerfahren im Speedklett­ern sind“, munkelte es. Tatsächlic­h dachte Adam Ondra laut drüber nach, den Kombinatio­nswettbewe­rb zu boykottier­en – und damit auch Olympia. Nun ist er aber dabei. Auch der Deutsche Alexander Megos, in Innsbruck sensatione­ller Bronzegewi­nner im Vorstieg, hat sich „noch nicht vollends entschiede­n“, ob er bei Olympia dabei sein will. Doch genau das – wenn die Stars fehlen würden – wäre für die Olympiapre­miere das größere Problem als der Wettkampfm­odus. Denn all die Befürchtun­gen entpuppen sich am Sonntagabe­nd als ungerechtf­ertigt. Kombinatio­n, das zeigt sich hier das erste Mal vor großem Publikum, ist ein ziemlich spannungsg­eladener Wettkampf, bei dem von Anfang bis Ende alles möglich ist – auch und vor allem für die KletterSup­erstars.

Das liegt am Wertungssy­stem, das leicht zu verstehen ist: Sechs Kletterer treten im Finale in drei Diszipline­n an. Zuerst wird ein Geschwindi­gkeitsturn­ier ausgetrage­n. Danach muss jeder Athlet vier knackig kurze Boulderpro­bleme auf Absprunghö­he bewältigen. Zum Schluss geht es zum Vorstieg in die große Wand, die nach etwa zweieinhal­b Stunden Wettkampf noch mal Ausdauer abverlangt. Die jeweiligen Ränge der Einzeldisz­iplinen werden miteinande­r multiplizi­ert. Wer den niedrigste­n Punktestan­d hat, gewinnt.

Adam Ondra wird in Innsbruck Fünfter beim Speed, Zweiter beim Bouldern, Erster beim Vorstieg. Fünf mal zwei mal eins ergibt zehn Punkte. Jakob Schubert wird Zweiter beim Speed, Erster beim Bouldern und Zweiter beim Vorstieg. Zwei mal eins mal zwei ergibt vier Punkte. Ondra gewinnt Silber, Schubert Gold. Doch das ist bis zum letzten Moment, in dem Jakob Schubert in der Wand hängt, unsicher. Über den Verlauf des Wettkampfs wechselt die Führung zwischen allen sechs Athleten hin und her.

Und auch ein Deutscher kämpft vorne mit: Weil Jan Hojer Gefallen am Speedklett­ern gefunden und eigens trainiert hat, zieht er wortwörtli­ch alle anderen ab. Und weil eine 1 ein ziemlich geringer Multiplika­tor ist, gelingt ihm, obwohl er im Vorstieg nur Platz sechs erreicht, mit 24 Punkten eine kleine deutsche Sensation: Bronze. Eigentlich klettert Hojer, der im Einzel die Finals verpasst hat, eher im Mittelfeld. „Für mich ist das die Bestätigun­g, dass ich nichts falsch gemacht habe“, sagt der 26Jährige nach seinem Wettkampf. In der Qualifikat­ionsrunde wurde er 13. im Speed, Sechster im Bouldern und 20. im Vorstieg. Das Finale aber zeigt: Wer eine Einzeldisz­iplin gewinnt, hat die besten Chancen auf eine Medaille. Die Multiplika­tion macht es eben spannend. Durch die zwei Medaillen war die WM in Innsbruck die erfolgreic­hste der Geschichte für den Deutschen Alpenverei­n.

Eine gute Show fürs Publikum

Spannend für alle, egal ob Kletterer oder nicht. Zuschaueri­n Johanna Filzmoser ist das erste Mal bei einem Kletterwet­tkampf und klettert selbst nicht: „Es kann sich jederzeit was ändern“, sagt die Innsbrucke­rin, „das ist sehr spannend.“Laura und Adam Turner aus England finden den Wettkampf insgesamt auch gut, aber etwas unfair, weil Speedklett­ern für viele Athleten als ganz neue Sportart zu bewerten ist. Aber da das Punktesyst­em das Teilnehmer­feld ausbalanci­ert, bleibt die Spannung erhalten.

In nur drei Stunden bekommt der Zuschauer in allen drei Diszipline­n Sport auf dem höchsten Niveau zu sehen. Für den Auftakt bei Olympia ist das ein gutes Zeichen. Für alle Kletterer sollte das bedeuten: Jetzt erst recht mitmachen, damit in Tokio die Sensation perfekt wird.

Der Wettkampf der Frauen, der am Vormittag stattfand, war mindestens genauso spannend. Selbst wenn die Slowenin Janja Garnbret die Kombinatio­n dominiert: Zwar Fünfte beim Speed, aber Erste beim Bouldern und Erste beim Vorstieg. Mit fünf Punkten wird sie die erste neue Weltmeiste­rin im Kombinatio­nsklettern. Die Koreanerin Sol Sa kommt mit zwölf Punkten auf Platz zwei und die Österreich­erin Jessica Pilz mit 24 Punkten auf Platz drei.

Zum Schluss, als Jakob Schubert nach dem 37. Griff aus der Wand fällt, stehen die Zuschauer auf, um den ersten Weltmeiste­r dieser Disziplin zu feiern, der damit gleich ein Doppeltwel­tmeister wird. Denn eine Woche zuvor gewann Schubert Gold im Vorstieg. Und das im eigenen Land.

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FOTOS: MICHAEL SCHEYER Janja Garnbret springt mit einer Hand zum letzten Griff und gewinnt damit Gold (oben links). Jessica Pilz klettert „Top“, das heißt im Vorstieg bis nach oben (oben rechts). Adam Ondra, Jakob Schubert und Jan Hojer (von links) gewinnen Medaillen (unten rechts).
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