Die Geister der Vergangenheit
Neustart am Schauspiel des Mannheimer Nationaltheaters mit einem Stück zum Fall Kohl
MANNHEIM - Viel Zeit zur Vorbereitung hatte er nicht, als er letztes Jahr zum neuen Intendanten des Mannheimer Schauspiels berufen wurde: Christian Holtzhauer. Er war lange Jahre Dramaturg am Stuttgarter Staatsschauspiel und sorgte zuletzt als Leiter des Kunstfestes Weimar für einen Zuschauerzuwachs. In Mannheim startete er nun mit drei Premieren in seine erste Spielzeit. Eine davon sorgte schon im Vorfeld für überregionales Interesse: „Der Elefantengeist“von Lukas Bärfuss.
Er gehört zu den Theatermachern, die unprätentiös und sachorientiert arbeiten. Als Auftakt gab es „Die Räuber“. Das musste so sein, schließlich debütierte Friedrich Schiller 1782 in Mannheim mit dem wild stürmischen Drama. Nach dem Klassiker, von Christian Weise extravagant in einem subtropischen Altersheim situiert, gab es die deutsche Erstaufführung von Enis Macis „Mitwisser“. Dies ist ein beeindruckender Text über eine weltweite Topografie tödlicher Gewalttaten.
System der schwarzen Kassen
Den Höhepunkt allerdings bescherte die Uraufführung eines Auftragswerkes. Der Schweizer Autor Lukas Bärfuss hatte sich so gründlich mit dem „Kanzler der deutschen Einheit“beschäftigt, dass aus seinem Stück „Der Elefantengeist“die erste Generalabrechnung mit dem berüchtigten System der schwarzen Kohl-Kassen geworden ist. Die Uraufführung gab es nun ausgerechnet an dem Theater, das nur einige Kilometer vom ehemaligen Lebensmittelpunkt Helmut Kohls in Ludwigshafen und nicht wesentlich weiter von dessen letzter Ruhestätte in Speyer liegt.
Bärfuss’ klassisch gebautes Enthüllungsdrama ist der erste dramatische Text, der die Mutmaßungen rund um Kohls Parteispendenaffäre wie eine essayistische Anklageschrift zuspitzt. Eingebettet ist das Ganze in eine fiktionale Rahmenhandlung. In ferner Zukunft graben Archäologen im ehemaligen Bonn die Reste des von Urwald überwucherten Kanzlerbungalows aus und finden ein Buch, in dem die ganze Wahrheit zum Fall Kohl steht. Man hangelt sich von Erkenntnis zu Erkenntnis, bis der „Staatsanwalt“der Forschungsgruppe, ein gewisser Dr. Martin, resümiert: Natürlich stamme das Geld der schwarzen Kassen vom Flick-Konzern. Und das bedeute eben auch, dass Helmut Kohl seine Karriere mit Geld aus einem Industrievermögen finanzierte, dessen Grundstock während des Zweiten Weltkriegs mit der Ausbeutung von Zwangsarbeitern und Enteignung von Naziopfern und Juden gelegt wurde.
„Der Elefantengeist“ist ein Konstrukt, in dem es passieren kann, dass die Geister der Vergangenheit in die Körper der Forschergruppe fahren. Eigentlich leben die zukünftigen BRD-Menschen ein völlig emotionsloses Leben und beschäftigen sich mit den Intrigen, Verwerfungen, Lügen und Begierden der ehemaligen Bonner Republik lediglich aus wissenschaftlichem Interesse. Plötzlich aber wird all das unverarbeitete Material aus einer Zeit des 20. Jahrhunderts hochgeschwemmt, von der einer der Archäologen meint, sie sei „die gewalttätigste, blutigste und wahnhafteste Ära“der Menscheitsgeschichte gewesen.
Sandra Strunz inszeniert das, als seien die Archäologen Wiedergänger des privaten und persönlichen Personals am Ende der Kohl-Ära. Dr. Johanna zum Beispiel wird zunehmend zur Kanzlergattin und hat gegen Ende ein exaltiertes Solo. Johanna Eiworth spielt die Schrillheit einer Frau, die nach langen Jahren neben dem Kanzler endlich auch im Rampenlicht stehen will, obwohl sie das wegen ihrer Lichtallergie eigentlich nicht darf. Und Matthias Breitenbach spielt als Dr. Matthias zuerst den jovial überheblichen Teamkanzler, der alles und alle dominiert. Dann wird er immer unsicherer und tritt schließlich ab. Im Hintergrund wartet schon Dr. Victoria (Victoria Miknevich), die Hände zur MerkelRaute gefaltet.
Gelegentlich gleitet die Uraufführung in kabarettistische Regionen ab. Genau das hat aber den Vorteil, dass Passagen nicht so auffallen, in denen Lukas Bärfuss lediglich Hintergründe nacherzählt. Dennoch ist die Uraufführung von „Der Elefantengeist“zusammen mit den beiden anderen Premieren eine starker Akzent zu Beginn einer neuen Intendanz.