Ausstellungsbesucher hinters Licht geführt
Ist die Schau von Jan-Hendrik Pelz in der Kunsthalle Kempten tolle Konzeptkunst oder eine Lügengeschichte?
KEMPTEN - Es hört und sieht sich sehr schlüssig an, die Geschichte rund um einen ungewöhnlichen Kunstfund. Jan-Hendrik Pelz, Konzeptund Videokünstler aus Schorndorf (bei Stuttgart) hat angeblich Werke seines Urgroßvaters gleichen Namens wiederentdeckt. Derzeit sind sie in einer Ausstellung mit dem Titel „Retrospektive 2“in der Kunsthalle Kempten zu sehen. Doch das alles ist nur eine Erfindung des 34-Jährigen. Er hat sich für dieses Kunstprojekt das Leben und die Karriere seines malenden Urgroßvaters ausgedacht und die Ölgemälde, die angeblich von seinem Vorfahren stammen, selbst gemalt. Das alles ist so überzeugend, dass viele Kunstfreunde, die in den vergangenen Tagen die Ausstellung besuchten, diese Erfindung geglaubt haben. Auch die „Allgäuer Zeitung“(AZ), deren Bericht die „Schwäbische Zeitung“übernommen hatte, fiel auf den „Fake“herein und berichtete so, als ob alles wahr wäre.
Wie die AZ nun schreibt, hatte auch das Kulturamt der Stadt Kempten entscheidenden Anteil daran, dass der Berichterstatter und inzwischen auch viele Ausstellungsbesucher die Geschichte rund um den angeblichen Maler Jan-Hendrik Pelz für bare Münze genommen haben. Der Leiter des Kulturamts, Martin Fink, ließ Einladungen für die Ausstellungseröffnung verschicken, in denen die Täuschung nicht einmal angedeutet wurde. Fink zog den Schwindel auch bei der öffentlichen Vernissage durch. In seiner kunsthistorischen Laudatio tat er so, als ob die Geschichte rund um den Künstler Pelz wahr wäre. Auch der Kemptener Oberbürgermeister Thomas Kiechle hat laut Fink in seiner VernissagenRede „mitgespielt“. Das alles habe ihm Freude bereitet, erklärt Fink und ist stolz auf diese Kunstaktion. Er meint sogar, sie werde Niederschlag in der deutschen Gegenwartskunst finden.
Intensive Diskussionen
Inzwischen wird in Kempten intensiv darüber diskutiert. Die einen freuen sich, dass man den Konzeptkünstler Pelz nach Kempten holen konnte und so „gute Kunst“im Rahmen des Kunsthallen-Stipendiums bieten könne. Gerhard Menger, der Vorsitzende des Berufsverbands Bildender Künstler Allgäu/Schwaben-Süd (BBK) meint, an dieser Ausstellung könne man die Wahrnehmung schärfen. „Pelz macht sichtbar, wie wir mit Kunst umgehen und wie wir sie konsumieren.“
Andere schütteln aber den Kopf, sind enttäuscht über die Täuschung, fühlen sich veräppelt und hinters Licht geführt. In der Tat stellt sich die Frage, was diese Aktion soll, und was der Künstler (und mit ihm das Kulturamt) damit bezweckt. Sie scheint nicht zu Ende gedacht, weil sie nicht aufgelöst wird. Wer Lug und Trug beim Rundgang durch die Ausstellung nicht erkennt, wird hinterher nicht aufgeklärt. Welche Erkenntnisse kann ein Ausstellungsbesucher dann mitnehmen? Keine. Wie kann man über etwas reflektieren, von dem man nichts weiß? So betrachtet ist die angeblich so tolle Kunstaktion bloß eine Lügengeschichte.
Jan-Hendrik Pelz, dessen malerische Leistung durchaus zu bewundern ist, treibt sein KonzeptkunstSpiel sogar soweit, dass er auf Fragen der „Allgäuer Zeitung“nichts erläutern möchte. Nur Folgendes lässt er sich entlocken: „Ich kann nur raten, Dinge sehr genau anzuschauen. Ich will darauf hinweisen, dass sie anders sein können, als sie erscheinen.“Aha! Unbeantwortet lässt er die Frage nach dem Erkenntnisgewinn, der eben gleich null ist, sofern man das Spiel nicht durchschaut.
Übrigens tun sich auch Experten schwer, den Schwindel zu entlarven. Beispielsweise BBK-Vorsitzender Gerhard Menger. Wenngleich ihm Zweifel gekommen seien beim ersten Anschauen, habe er alles für glaubhaft gehalten, sagt er auf Anfrage der AZ. Menger findet die Kunstaktion von Pelz gleichwohl gut und humorvoll. Menger ist so begeistert, dass er das Konzept sogar Thomas Elsen empfehlen möchte, dem Leiter des Zentrums für Gegenwartskunst H2 in Augsburg.
Es gibt aber auch andere Reaktionen. „Ich fühle mich getäuscht“, sagte eine Ausstellungsbesucherin. Auch ihr erschließt sich der Sinn dieser (Kunst-)Aktion nicht, weil sie nicht aufgeklärt wird.