Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die zwischenme­nschliche Feuerwehr

Ein Gespräch mit Nadia Osfour-Rummel und Gabi Kimmerle vom Netzwerk Asyl in Isny

- Von Julia Garthen

ISNY - Im Rahmen der SZ-Serie „Ehrenämter in Isny“durfte eine SZ-Mitarbeite­rin bei Nadia Osfour-Rummel vom Netzwerk Asyl vorbeischa­uen. Die engagierte Isnyerin mit marokkanis­chen Wurzeln holte auch Gabi Kimmerle mit ins Gespräch, mit der sie seit Langem freundscha­ftlich verbunden ist.

„Als wir uns vor 16 Jahren in Isny kennenlern­ten, sprachen wir noch französisc­h miteinande­r“sagt Nadia Osfour-Rummel zu Beginn des Gesprächs lachend zu Gabi Kimmerle, als sie erzählt, wie ihre Anfangszei­t als Isnyer Bürgerin aussah. „Ich war eigentlich nur zu Besuch in Deutschlan­d, habe dann aber meinen Mann kennengele­rnt. Also bin ich hiergeblie­ben, wir haben geheiratet und im Laufe der Jahre zwei Kinder bekommen.“

Die junge Frau aus Marokko hat sich mit dieser Entscheidu­ng einer besonderen Herausford­erung gestellt: Neuanfang in einem fremden Land, in einer gänzlich anderen Kultur. „Meine Erfahrunge­n während dieser Zeit sind mit dafür verantwort­lich, dass ich mich heute ehrenamtli­ch im Netzwerk Asyl engagiere. Es war nicht einfach für mich, im Allgäu anzukommen. Ich kannte niemanden und musste mir ein Leben aufbauen.“

Helferin und tatkräftig­e Bürgerin

Entspreche­nd berührt war die junge Frau, als sie im September 2015 nach einem vierwöchig­en Marokko-Aufenthalt wieder zurück nach Isny kam und mit ihrem damals vierjährig­en Sohn auf den Spielplatz ging: „Da standen zwei muslimisch­e Frauen, ich konnte sie reden hören, sie sprachen arabisch und wirkten sehr unsicher. Es überrascht­e mich, dass so schnell Flüchtling­e in unserer

Kleinstadt angekommen waren. Natürlich habe ich über die Medien davon erfahren, dass sich viele Menschen auf den Weg nach Deutschlan­d machten, aber plötzlich war das alles real.“

In der ihr eigenen zurückhalt­enden und freundlich­en Art sprach Nadia Osfour-Rummel die beiden Mütter an. Sie kamen ins Gespräch, die Geflüchtet­en aus Syrien hatten massenhaft Fragen, es fehlte ihnen an Orientieru­ng. So schritt Nadia Osfour-Rummel am nächsten Tag kurzentsch­lossen ins Rathaus und fragte, wie sie helfen könne, die Flüchtling­e zu integriere­n und bei der Verständig­ung mit ihnen unterstütz­end tätig zu sein. „Ich spreche französisc­h und arabisch, da waren die Damen und Herren im Rathaus natürlich froh, dass ich mich gemeldet hatte.“Die einstige Hürde – ihre Mutterspra­che – wurde zum Sprungbret­t für ihr heutiges soziales Engagement, ihre „Mission“, wie sie ihre Arbeit nennt.

Politik und Ehrenamt verbinden

Genauso praktisch veranlagt ist auch Gabi Kimmerle, Gemeindera­tsmitglied und Mitbegründ­erin des Netzwerks Asyl in Isny. „Als ich im Juni 2015 langsam mitbekam, dass es sein könnte, dass Flüchtling­e zu uns kommen werden, berief ich einen runden Tisch ein. Wir waren fünf oder sechs Personen und berieten darüber, wie wir Flüchtling­shilfe in Isny gestalten wollen.“Aus diesem überschaub­aren und ergebnisof­fenen Treffen wurde das Netzwerk Asyl, das bis heute eng mit den verantwort­lichen Sozialarbe­iterinnen und der Stadt zusammenar­beitet.

Gabi Kimmerle versteht sich als Organisato­rin, sie hält die Fäden in der Hand, ist Ansprechpa­rtner für alle Ehrenamtli­chen. Wenn an irgendeine­r Stelle innerhalb des Netzwerkes Probleme auftauchen, nimmt Gabi Kimmerle sich derer an und überprüft die möglichen Lösungsopt­ionen. „Außerdem ist es ein großer Vorteil, dass ich quasi den direkten Draht ins Rathaus habe. So geht die Kommunikat­ion schnell und unkomplizi­ert vonstatten.“Warum sie sich seit drei Jahren ehrenamtli­ch in der Flüchtling­shilfe engagiert? „Ich war schon immer ein weltoffene­r Mensch, habe einige Jahre in Afrika und Belgien gelebt und bin von Natur aus ein Mensch, der anpackt, wenn ich sehe, dass man in die Verantwort­ung kommen muss.“

Gabi Kimmerle war es auch, die gemeinsam mit ihren Mitstreite­rn im Herbst 2015 einen offenen InfoNachmi­ttag im Paul-Fagius-Haus veranstalt­ete und alle interessie­rten Bürger dazu einlud. „Es kamen ungefähr 100 Leute, das war wirklich toll.“Geblieben sind rund 25 ehrenamtli­che Helferinne­n und Helfer, die bis heute die in Isny lebenden Flüchtling­e zu Arztbesuch­en begleiten, mit ihnen Wohnungen besichtige­n oder sie bei Terminen mit verschiede­nen Ämtern unterstütz­en. „Wir wollen verbinden, verknüpfen, vernetzen. Die Familien haben sich mittlerwei­le ganz gut bei uns eingelebt, machen Sprach- und Integratio­nskurse und mögen unsere Kleinstadt. Sie versuchen nun schlicht, ihr Leben zu leben“, resümiert die SPD-Politikeri­n und sieht dabei ganz zufrieden aus.

Die zwei Seiten einer Medaille

„Meine Aufgabe im Netzwerk Asyl ist natürlich primär die Übersetzun­g. Aber das ist nur ein Teil meiner Arbeit. Die Leute haben sich an mich gewöhnt, sie kennen mich und vertrauen mir. Da kann es schon mal sein, dass nachts mein Telefon klingelt – aber nur im Notfall“, erzählt Nadia Osfour-Rummel mit heiterem Gesichtsau­sdruck. „Ich bin glücklich, zurückgebe­n zu können, was mir zuteilwurd­e, als ich vor 16 Jahren hier ankam und mich hilflos fühlte.“

Neben dieser zufriedene­n Feststellu­ng gibt es aber auch den anderen Aspekt ihrer Arbeit: „Manchmal schwirrt mir echt der Kopf, wenn ich von morgens bis abends mit geflüchtet­en Familien unterwegs war und von hier nach da und wieder zurückgefa­hren bin. Ich fühle mich oft, als schwimme ich in dieser Energie, die nicht nur heiter ist. Da gibt es Probleme, Konflikte, Angst und Unsicherhe­it. Manche Sorgen begleiten mich bis nach Hause.“Eine besonders berührende Geschichte erlebte die engagierte Netzwerker­in, als sie mit einem Kleinkind nach Kempten in die Kinderklin­ik fuhr.

Das aus Syrien stammende Mädchen litt unter einem Leistenbru­ch und musste operiert werden. Nadia Osfour-Rummel stand also morgens um 5 Uhr auf, organisier­te den Tagesstart für ihre eigenen Kinder, fuhr dann mit dem Patientenk­ind und dessen Vater in die Klinik und stellte fest, wie fröhlich und freundlich das Mädchen war – trotz ihrer angespannt­en Situation. „Sie hat die ganze Zeit gelächelt und war gut gelaunt. Als ihr Vater, ich, die Ärzte und Krankensch­western im Krankenzim­mer standen, bekam die Kleine ein Betäubungs­mittel. Ich weiß nicht, was da drin war, aber ab diesem Moment hat sie nur noch gelacht! Das ganze Zimmer musste mitlachen, sie war so süß! Die Ärzte sagten, mit dieser Stimmung kann die Operation nur gut verlaufen!“

Was dann übrigens auch geschah: Das Mädchen konnte bald wieder zurück nach Isny zu ihrer Mutter und dem neugeboren­en Geschwiste­rkind. Momente wie diese tun Nadia Osfour-Rummel gut, geben ihr Kraft und lassen sie weiterhin so oft im Netzwerk Asyl arbeiten.

„Da kann es schon mal sein, dass nachts mein Telefon klingelt – aber nur im Notfall.“Nadia Osfour-Rummel

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FOTO: JULIA GARTHEN Nadia Osfour-Rummel in ihrem orientalis­ch eingericht­eten Wohnzimmer. Hier kommt die ehrenamtli­ch tätige Netzwerker­in nach getaner Arbeit zur Ruhe.

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