„Man kann eigentlich fast alles lernen“
Reinhold Messner erzählt, was er über Bergsport, Tourismus und den Alpenverein denkt
ALLGÄU - Reinhold Messner ist gegen eine Wiederansiedlung des Wolfs im Alpenraum erzählt er im folgenden Interview mit Michael Munkler.
„Weltberge, die vierte Dimension“– Ihr Vortrag ist am 29. Januar in der Kemptener Big Box zu sehen. Um was geht es?
Das ist ein bildgewaltiger Vortrag. Er zeigt 13 ausgewählte Weltberge auf bis dato unbekannte Art und Weise. Möglich war das nur durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Das lieferte die Satellitenaufnahmen. Aus diesen Aufnahmen schufen Wissenschaftler dreidimensionale, fotorealistische Abbilder. So wurden virtuelle Darstellungen aus zuvor undenkbaren Perspektiven und in bislang unerreichter Genauigkeit möglich. Der Zuschauer wird so zum Teilnehmer historischer Expeditionen und zugleich Zeuge neuer alpinistischer Herausforderungen. Im Vortrag ergänzen sich meine alpinistischen Erlebnisberichte mit diesen Bildern.
Sie sind jetzt 74 Jahre alt. Andere Leute sind da längst im Ruhestand. Sie nicht. Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus?
Ich mache jeden Tag etwas anderes. Ich habe in meinem Leben nie gearbeitet im herkömmlichen Sinn. Ich bin ein Freelancer, habe immer meine Ideen umgesetzt. Erst als Felskletterer, da hat sich meine Familie oft große Sorgen gemacht. Dann als Expeditionsbergsteiger, als Grenzgänger und Politiker. Seit 2003 arbeitete ich an meinen Museumsprojekten. Heute sind es sechs Museen in Südtirol. Ich habe das alles nie gelernt. Jetzt mache ich Filme. Ich steige auch immer noch auf Berge. Aber nicht mehr, um mein Tourenbuch zu füllen. Das ist dick genug.
Als Extrembergsteiger konnten Sie eigentlich nicht damit rechnen, so alt zu werden. Wie fühlt es sich an? Ich habe mit der Vorstellung gelebt, keine 40 zu werden. Mit dem Alter komme ich mittlerweile ganz gut aus. Es gibt nur die Probleme, die alle haben – vor allem mit dem Gedächtnis: Bei Vorträgen schaffe ich es zum Beispiel nicht mehr so schnell, aus einem falsch angefangenen Satz noch einen richtigen zu machen.
Man könnte annehmen, dass Sie generell keine Angst haben.
Natürlich habe ich Ängste. Aber ich setze ihnen etwas entgegen, das nennt man dann Mut. Doch auch mit dem Mut muss man achtsam sein. Wenn ich nicht ein ängstlicher, vorsichtiger Mensch wäre, wäre ich längst tot. All diese Sachen erzähle ich auch in meinem Vortrag, aber nicht mit erhobenem Zeigefinger. Ich glaube, das geht den Leuten fürchterlich auf die Nerven.
Sie sind oft ganz allein unterwegs gewesen, an lebensfeindlichen Orten. Wie geht man um mit dieser Einsamkeit?
Einsamkeit ist eine sehr vage Angelegenheit. Viele Singles in einer großen Stadt sind verlorener, als ich es in der Antarktis war. Ich habe lange gebraucht, bis ich soweit war, tageoder wochenlang ganz allein in schwieriger Situation zu sein. Aber ich habe auch das gelernt, man kann eigentlich fast alles lernen.
Zum Thema Tourismus: Im Allgäu wird inzwischen hier und da beklagt, dass zu viele Touristen kommen und alles überrennen: volle Hütten, Staus auf Straßen und überfüllte Pisten. Ein Allgäuer Hüttenwirt sagt: „Die Belastungsgrenze ist erreicht.“Es kämen einfach zu viele Bergwanderer und Bergsteiger. Wie sehen Sie die Zukunft des alpinen Tourismus?
Überall da, wo breite Straßen auf Berge führen, wo die Werbung rücksichtslos und brutal ist, werden Grenzen der Belastbarkeit erreicht.
Zum Beispiel?
Beispielsweise an den Drei Zinnen in Südtirol. Da kostet die Maut 35 Euro und die Massen fahren mit dem Auto trotzdem hinauf und alle laufen dann zur Hütte. Die würden das auch noch machen, wenn es 100 Euro Maut kosten würde.
Aber was kann man gegen einen solchen Massentourismus in den Bergen machen?
Wir müssen die überlasteten Regionen beruhigen. Das ist auch Aufgabe der Politik. Sonst werden die Leute irgendwann nicht mehr kommen. Denn die Menschen suchen eigentlich Ruhe und Entschleunigung in den Bergen. Da haben in der Vergangenheit auch wir Touristiker Fehler gemacht.
Sie sagen ,wir Touristiker’?
Mit meinen Museen bin ich in gewisser Weise ja auch Touristiker. Ich versuche, die Menschen in die Museen zu ziehen und ihnen die Zusammenhänge aufzuzeigen.
Noch zu einem ganz anderen Thema: Im Allgäu diskutieren die Men- schen derzeit sehr kontrovers, wie mit dem Wolf umzugehen ist. In Südtirol ist das ja auch ein Thema. Was denken Sie?
Vor über 100 Jahren haben viel weniger Menschen in den Alpen gelebt. Sie haben den Wolf ausgerottet, weil er sehr aggressiv ist und Nutztiere reißt. Die grausamen Bilder von gerissenen Tieren sind ja bekannt. Heute leben viel mehr Menschen in den Bergen und aus meiner Sicht vertragen sich Wolf, Tourismus und Alpwirtschaft nicht. Für die Bauern sind ihre Tiere wichtig, das ist wichtiger als der Wolf. Wenn die Landwirte deswegen aufhören würden, wäre die Kulturlandschaft der Verlierer. Gerade im Allgäu: Es ist eine große Leistung, dass die Alpwirtschaft dort erhalten geblieben ist.
Informationen und Tickets zur Messner-Tournee gibt’s im Internet unter
www.messner-live.de