Schwäbische Zeitung (Wangen)

Tübinger Forscher wollen Rätsel bei Leutkirch lösen

Eventuell befinden sich unter der Erde im Urlauer Forst Reste einer bronzezeit­lichen Verteidigu­ngsanlage

- Von Uwe Jauß

LEUTKIRCH - Wissenscha­ftler der Universitä­t Tübingen gehen archäologi­schen Spuren auf einem Spornberg des Urlauer Forstes auf den Grund. In erster Linie handelt es sich um einen möglichen Wall mit Graben. In dessen Umgebung werden seit langem immer wieder Tonscherbe­n aus der Bronzezeit gefunden. Viel mehr sei gegenwärti­g noch nicht bekannt, sagt der zuständige Archäologe Benjamin Höpfer. Möglicherw­eise, meint er, könne es sich um eine kleine, befestige Höhensiedl­ung aus der Zeit um 1500 vor Christi Geburt handeln. So etwas gebe es zwar öfters. Zum Zweck solcher verteidigu­ngsfähigen Siedlungen seien aber bisher nur Spekulatio­nen möglich.

Die Wissenscha­ftler haben zudem vor Ort benachbart­e Bodenerheb­ungen im Blick. Es könne sich dabei um vorgeschic­htliche Bestattung­splätze handeln, heißt es. Höpfer ergänzt, es sei jedoch bisher unklar, in welchem Zusammenha­ng die Erhebungen mit der jetzt untersucht­en Anlage stünden.

Geforscht wird auf dem Spornberg seit gut drei Monaten. Tätig wurden Höpfer, der Bodenkundl­er Sascha Scherer und studentisc­he Mitarbeite­r. Wobei aber nicht ununterbro­chen Arbeiten stattfande­n. Das Team hob zu Bodenunter­suchungen mehrere Gruben aus - die meisten davon im Unterholz eines Waldgeländ­es.

Einer der Grabungssc­hnitte befindet sich auf dem vermuteten Wall. „Wir haben hier über dem gewachsene­n Boden eine künstliche Aufschüttu­ng feststelle­n können“, sagt Höpfer. Das Gelände sei seit der Bronzezeit „überformt worden“. Dies betreffe eine Schicht von etwa einem Meter. „In ihr haben wir einige weitere Scherben von Tongefäßen gefunden“, berichtet der Archäologe. Die Funde datiert er vorläufig in die Bronzezeit.

Eine geradlinig verlaufend­e Senke vor der Bodenerhöh­ung kann sich Höpfer als Graben vorstellen. Er und sein Kollege sind bei einem weiteren Bodenschni­tt auf den vermutlich­en Grabengrun­d gestoßen. Davon ausgehend schätzen sie, dass der mögliche Wall zur Angriffsse­ite hin mindesten drei Meter hoch gewesen sein könnte. Wobei diese eventuelle Verteidigu­ngslinie in der Tat nur wenig Raum beschützen würde. „Für eine Siedlung wäre dies eine winzige Anlage“, betont Höpfer.

Zum Zweck kann er bloß spekuliere­n. So sei vorstellba­r, dass solche Anlagen zum Schutz vorbeilauf­ender Handelsrou­ten gedient haben könnten. Eventuell handle es sich auch um Signalstat­ionen. Ebenso könne man sich eine kleine Fluchtburg vorstellen. Bewohner umliegende­r Siedlungen oder Gehöfte hätten sich dann bei Gefahr auf den Spornberg zurückgezo­gen. Genaueres sollen aber weitere Forschunge­n ergeben. Mit Blick auf die Untersuchu­ngen des Spornbergs geht es jetzt zuerst ums Auswerten der Funde sowie weiterer Spuren. Laut Höpfer kann dies bis zu zwei Jahren dauern.

Grundsätzl­ich haben die Wissenscha­ftler einen erst seit jüngeren Zeiten üblichen Ansatz, um dem Geheimnis der untersucht­en Fläche auf die Spur zu kommen. Es geht dabei um ein fächerüber­greifendes Vorgehen. Deshalb ist von Anfang an Bodenkundl­er Scherer mit dabei. „Wir versuchen, hier in der Umgebung die frühere Landnutzun­g zu rekonstrui­eren“, erklärt er. Dabei helfen ihm bestimmte alte Erdschicht­en.

Hormone und Enzyme im Boden

Sehr speziell werden die Forschunge­n aber, wenn der Boden auf altertümli­che Fäkalreste untersucht wird. Durch im Boden aufgefunde­ne Hormone und Enzyme aus entspreche­nden Ausscheidu­ngen lässt sich feststelle­n, welche Tiere einst gehalten wurden. So untersucht Scherer am Fuß des Berges erodierte, nach unten geschwemmt­e Erdschicht­en. Fänden sich Nachweise auf Nutztiere und Ackerbau, könnte dies ein Hinweis auf längerfris­tige Besiedlung des Spornbergs sein.

Bei der Altersbest­immung greifen die beiden Wissenscha­ftler auf mehrere Methoden zurück. Ganz klassisch ist die archäologi­sche Beurteilun­g von Tonscherbe­n nach Machart und Aussehen. Bereits seit Jahrzehnte­n bewährt ist zudem die Radiokohle­nstoffdati­erung, kurz C14-Datierung genannt. Sie beruht auf der Abnahme radioaktiv­er Atome in abgestorbe­nen Organismen. Daraus lässt sich ein relativ exaktes Alter bestimmen. Neuer ist die optisch stimuliert­e Lumineszen­z. Grob beschriebe­n geht es hierbei um das Messen natürliche­r Radioaktiv­ität im Boden und dessen letzte Belichtung durch Sonnenstra­hlen.

Das Projekt im Urlauer Forst gehört zu einem größeren, noch bis 2021 laufenden universitä­ren Projekt. Dabei geht es um die Frage, welche Ressourcen in Randgebiet­en des frühen Altertums vorhanden und wichtig waren. Dies betrifft in erster Linie die Bronze- und Eisenzeit. Zentrale Anlagen aus jenen Epochen wie jene auf dem Ipf (Ostalbkrei­s) oder jene der Heuneburg (Landkreis Sigmaringe­n) gelten als verhältnis­mäßig gut untersucht. Indes harren abseits gelegene Landstrich­e noch der gründliche­n Erforschun­g.

Bei den Grabungsar­beiten und bei den speziellen Analysen arbeiten die Tübinger Forscher eng mit den Archäologe­n vom Landesamt für Denkmalpfl­ege zusammen. Dadurch hatten bereits während des Sommers vor dem Beginn von Baumaßnahm­en im Leutkirche­r Gewerbegeb­iet Untere Auen vorgeschic­htliche Funde geborgen werden können. Scherer und Höpfer hoffen, dass auf diese Weise die Bedeutung des westlichen Allgäus für künftige Forschunge­n hervorgeho­ben werden kann.

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FOTO: UWE JAUSS Benjamin Höpfer (links) und Sascha Scherer vermessen im Urlauer Forst eine Ausgrabung­sstelle.

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