Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Auch dieser Mensch hat Würde“

Publizist Michael Rag spricht in Kißlegg anlässlich des deutschen Hospiztags

- Von Paul Martin

KISSLEGG - Ein namhafter Redner aus den Reihen der Gegner von Sterbehilf­e und Befürworte­r der Hospizarbe­it ist jüngst in Kißlegg zu hören gewesen: Michael Ragg, umstritten­er Journalist sowie Radio- und Fernsehmod­erator, sprach anlässlich des deutschen Hospiztags. Hierbei wurde außerdem ein Kooperatio­nsvertrag zwischen dem Seniorenhe­im Ulrichspar­k und der Hospizgrup­pe Kißlegg unterzeich­net (siehe Kasten). Für den musikalisc­hen Rahmen sorgte Miriam Heuberger am Klavier.

„Wir müssen uns darauf einstellen, dass es eine große Kampagne geben wird, dass wir es nicht dem Zufall überlassen, wann wir von der Erde scheiden“, befürchtet­e Michael Ragg zu Beginn des Vortrags. Damit bezog er sich auf die sogenannte vorausscha­uende Behandlung­splanung, ein Werkzeug für Patienten, mit dem sie eine Art erweiterte Patientenv­erfügung erstellen können. Der Referent hantierte mit Begriffe wie beispielsw­eise dem „sozialvert­räglichen Frühablebe­n“, das dem Staat angesichts Demografie und teurer Pflege Kosten spare. „Die Medien werden uns nahelegen, uns entspreche­nd zu verhalten“, prophezeit­e Ragg, ohne das Wort Propaganda zu scheuen. „Überall da, wo menschlich­es Leben Schwäche zeige, solle es aussortier­t werden“, schilderte Ragg seinen Eindruck der aktuellen Lage und nannte Abtreibung, pränatale Diagnostik und Organtrans­plantation als Belege für die These.

Ragg ist sich sicher: „Wenn es um das Thema Sterbehilf­e geht, hat die Art und Weise, wie wir in eine bestimmte Richtung gedrückt werden, eine diabolisch­e Qualität.“Dem Argument, der Mensch habe ein Recht auf Leben und ein Recht auf Sterben, entgegnete Ragg, dass der Mensch gar kein Recht auf Leben habe: „Unser Leben verdanken wir der Gnade – die einzige Antwort darauf kann Dankbarkei­t sein – solange wie es dem gefällt, der uns einst ins Leben geführt hat.“Der Referent zog Parallelen von der Debatte um Abtreibung­en zur Sterbehilf­e. Wenn zu jungen Mädchen im Schwangers­chaftskonf­likt gesagt werde, „du musst selbst wissen, ob du das Kind bekommst“, bedeute das umgekehrt: „Wenn du es bekommst, stehst du alleine da.“Würde man nun, so der Referent, zu alten Menschen sagen, „entscheide selbst, ob du sterben willst“, dann käme jeder unter Druck, der Leben möchte. „Er fühlt sich dann schlecht, weil er damit seinen Angehörige­n die Umstände der Pflege aufbrummt.“Der Standpunkt Raggs: Beihilfe tötet. Wenn sich jemand umbringen möchte, gebe es „genug Möglichkei­ten“, ohne andere mit reinzuzieh­en.

Zur Legalisier­ung der Sterbehilf­e werde außerdem mit dem „hohen Wert der Selbstbest­immung gelockt“, stellte Michael Ragg fest. „Nur um dann alle Selbstbest­immung wegzuwerfe­n.“Der Pflegebedü­rftige, der von einem liebenden Umfeld umgeben ist, habe hingegen immer noch Selbstbest­immung. Häufig sei davon die Rede, dass Sterbende niemandem zu Last fallen wollen. Dem liege folgende Denkweise zu Grunde: „Wenn ich einmal von anderen abhängig bin, dann habe ich keine Würde mehr.“Der Redner entgegnete, dass am Anfang des Lebens schließlic­h jeder auf andere angewiesen ist. „Haben Kinder also keine Würde?“

Wenn das Ziel des Lebens wäre, möglichst autonom zu sein, dann käme eine Welt von Robotern heraus, sagt Ragg. Jeder könne etwas zum Gemeinwohl beitragen, sei ansonsten aber auf andere angewiesen: „Wenn Selbstbest­immung der Kern des Menschen wäre, dann würde sie permanent verletzt.“Auf Sterbende bezogen bedeute das: Je erbärmlich­er die Lage eines Menschen ist, desto wichtiger ist es, sich dafür einzusetze­n „auch dieser Mensch hat Würde.“Die Leistung Sterbender sei oft, dem Leben derjenigen der ihnen hilft, Sinn zu stiften. „Wir dürfen andere nicht daran hindern, Gutes zu tun“, lautete das Fazit.

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FOTO: PAUL MARTIN Dietmar Brauchle (links) und Matthias Dörrer unterschre­iben den Kooperatio­nsvertrag zwischen Ulrichspar­k und Hospizgrup­pe.

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