Nächstes Fahrverbot droht
Mainzer Urteil setzt Politik vor Hessenwahl unter Druck
MAINZ/BERLIN (dpa) - Das nächste Urteil zu Fahrverboten für ältere Diesel in Mainz setzt Politik und Autobranche weiter unter Druck. Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt muss in einem neuen Luftreinhalteplan auch Verbote vorbereiten, die spätestens zum 1. September 2019 kommen – aber nur, wenn der Grenzwert der Luftverschmutzung im ersten Halbjahr nicht eingehalten wird. Das entschied das Verwaltungsgericht in Mainz am Mittwoch. Unabhängig davon will die Bundesregierung Tempo bei den Voraussetzungen für umstrittene Hardware-Nachrüstungen älterer Diesel machen. Sie hat aber nach wie vor keine grundlegende Zusage der Autohersteller.
Die Deutsche Umwelthilfe, die auch in diesem Fall geklagt hatte, zeigte sich zufrieden. Geschäftsführer Jürgen Resch sagte, er hoffe, dass das Urteil ein Weckruf für langjährig untätige Politiker sei – und kurz vor der Landtagswahl in Hessen an diesem Sonntag auch ein Signal an die Bundesregierung.
BERLIN - Bundeskanzlerin Angela Merkel legt in der Diesel-Dauerkrise nach. Plötzlich schließt sie den Einsatz von Steuergeld nicht mehr aus, um Dieselhaltern zu helfen und Fahrverbote zu verhindern. „Da sind viele Gelder noch vorhanden, und die könnten natürlich auch für andere Formen der Mobilität genutzt werden“, erklärte die Kanzlerin in einem Interview. Doch das sei „allenfalls die letzte Option“. Vier Tage vor der Landtagswahl in Hessen kämpft die Regierungsschefin gegen schlechte Umfragewerte der CDU – und den Zorn der Dieselhalter, die auch in Frankfurt mit Fahrverboten rechnen müssen. Nach einem Urteil vom Mittwoch drohen auch in Mainz Dieselfahrverbote, sollte die Stadt nicht dafür sorgen, dass im ersten Halbjahr 2019 die Grenzwerte für Stickstoffdioxid eingehalten werden. Für Merkel kommt die Entscheidung zur Unzeit.
Die Kanzlerin kritisiert plötzlich ungewohnt deutlich die Autoindustrie. Dort sei „betrogen und Vertrauen verspielt worden“, sagt die CDUChefin, fordert Wiedergutmachung der Konzerne und verspricht betroffenen Autofahrern Hilfe. Auch Dieselfahrer in Frankfurt sollen „das ganze Programm“erhalten, von Umtauschprämien über HardwareNachrüstungen. Erst am Montag war bekannt geworden, dass dort der Stickstoffdioxidwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter deutlich überschritten wird. Merkels Plan, Fahrverbote per Gesetz in einigen Städten als unverhältnismäßig zu erklären und sie so zu vermeiden, wäre also nicht auf Frankfurt anwendbar.
Drei Jahre nach Aufdeckung des Dieselskandals macht die Bundesregierung auf einmal Druck auf die Hersteller, fordert schnelle Hardware-Nachrüstungen bei schmutzigen Dieselmotoren. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte die lange abgelehnt. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hatte sich dafür starkgemacht und sprach sich für Bußgelder für Hersteller aus, die Kosten für Umrüstungen nicht übernehmen.
Das Bundeskabinett verabschiedete gestern „Eckpunkte“zur Umsetzung des Konzepts für saubere Luft. Die Regierung „erwartet, dass die Kosten von Hardware-Nachrüstungen von Euro 5 Diesel-Pkw für die besonders betroffenen Fahrzeugeigentümer von den jeweiligen Automobilherstellern einschließlich des Einbaus übernommen werden“, heißt es in dem Papier. Merkel und die Bundesregierung wollen aus der Defensive kommen. Ziel sei es, Fahrverbote „generell zu verhindern“, erklärte Kanzleramtsminister Helge Braun gestern.
Merkel kümmert sich, so das erhoffte Signal. Kurz vor der für sie und die CDU so entscheidenden Landtagswahl in Hessen, wo es darum geht, ob CDU-Vizechef Volker Bouffier Ministerpräsident bleibt, schlüpft Merkel in die Rolle der entschlossenen Krisenmanagerin.
Für die Deutsche Umwelthilfe ist die Dieselwende wenig glaubwürdig. Die Mainzer Entscheidung für Dieselfahrverbote sei eine weitere Ohrfeige für Bundeskanzlerin Merkel, erklärte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch gestern im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Dieselfahrverbote seien in Frankfurt, Mainz, Berlin und vielen weiteren Städten unausweichlich. Mit Blick auf Merkels Pläne, SchadstoffGrenzwerte zu erhöhen, um Fahrverbote zu vermeiden, sagte er: „Diese geplante Heraufsetzung würde unmittelbar einen Bruch des Europäischen Rechts bedeuten, und dies auch noch mit Ansage.“