Der steinige Weg zur Pfarrerin
Seit 50 Jahren werden in Württemberg evangelische Theologinnen ordiniert
RAVENSBURG - 50 Jahre Frauenordination in der Evangelischen Landeskirche Württemberg ist ein Grund zum Feiern. Das fanden die Theologinnen des Kirchenbezirks Ravensburg. deshalb wurde von den Pfarrerinnen Sonja Bredel (Pfarrerin zur Dienstaushilfe), Ulrike Hermann (Klinikum Friedrichshafen), Birgit Oehme (Pfarramt Bad Waldsee) und Barbara Vollmer (Pfarramt Bad Wurzach) für Sonntag, 28. Oktober, im Auftrag ihrer Kolleginnen in Ravensburg ein großes Festprogramm vorbereitet.
Seit Martin Luther gilt in der evangelischen Kirche: Jeder getaufte Mensch ist Priester, Bischof, Papst. Das heißt, allein die Taufe ist entscheidend, nicht die soziale Stellung, nicht das Geschlecht. Allerdings war es ein langer, steiniger Weg, bis Frauen auch als Pfarrerinnen eingesetzt und ihren männlichen Kollegen gleichgestellt wurden. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, während dessen Frauen wie selbstverständlich die Gemeinden geleitet hatten, sollten sie wieder ins zweite Glied zurück, um den aus dem Kriegsdienst heimkehrenden Männern Platz zu machen. Das konnte nicht mehr funktionieren, und so fand allmählich ein Umdenken statt
Wie steinig der Weg ins Pfarramt trotzdem war, weiß etwa die heute 90-jährige Margarethe Schmid zu berichten. Sie hatte 1958 ihr Examen gemacht, arbeitete dann zehn Jahre lang als Vikarin in Friedrichshafen auf der Stelle einer früheren Gemeindehelferin. Erst sehr viel später erfuhr sie, dass der geschäftsführende Pfarrer einen Kirchengemeinderatsbeschluss angestrengt und durchgesetzt hatte, wonach Fräulein Schmid nie die Erlaubnis erhalten sollte, auf der Schlosskirchenkanzel zu predigen. 1968 verabschiedete dann die Landessynode das Gleichstellungsgesetz, und der Pfarrvikarin Schmid wurde vom Oberkirchenrat als einer der ersten Frauen in Württemberg eine Pfarrstelle angeboten, und zwar in Bavendorf. Die Gemeinde dort war aber alles andere als glücklich mit dieser Entscheidung, und so vereinbarte Margarethe Schmid mit dem Kirchengemeinderat, dass sie ein Jahr auf Probe bleiben könne. Nach diesem Jahr wurde sie mit einer Gegenstimme im Amt bestätigt. Der Neinsager bat sie später auf dem Sterbebett um Verzeihung. Doch mit dem neuen Gesetz war die vollständige Gleichstellung noch nicht erreicht: So durften Pfarrerinnen keine Beffchen tragen, sondern nur einen weißen Kragen. Was aber viel schwerer wog: Sie durften nicht heiraten, da eine Eheschließung als „zu erwartende Beeinträchtigung des Dienstes“gesehen wurde und zur Beendigung des Dienstverhältnisses führte. Erst 1977 fiel das Heiratsverbot für Frauen. Heute ist die Frau auf der Kanzel eine Selbstverständlichkeit. Mehr als 50 Prozent der Studierenden im Fach Theologie sind weiblich. Und sie dürfen auch im Stift in Tübingen wohnen. Das war erst ab 1969 möglich.
Die vier Pfarrerinnen vom Vorbereitungsteam, die in den 80er- und 90er-Jahren studierten, haben im Amt höchst selten Ablehnung erfahren, wie sie bestätigen. Als Berufseinsteigerinnen konnte es schon einmal passieren, dass man bei Beerdigungen von höher gestellten Persönlichkeiten lieber einen Mann in Amt und Würden gesehen hätte als eine Frau. Auch sehr konservative Gemeindeglieder hatten anfangs mitunter Mühe, Frauen auf der Kanzel zu akzeptieren. So stellte sich zum Beispiel für Birgit Oehme während des Studiums auch die Frage, wie man als Frau in einer von Männern geprägten Theologie und Kirche seinen Weg finden könne.
„Endlich eine Frau“
Wie sich zeigte, hat sie ihn gefunden. Geholfen hat dabei vielleicht auch ihr Erlebnis in Weilersteußlingen auf den Lutherischen Bergen im Alb-Donau-Kreis: Als sie sich zusammen mit ihrem Mann die dortige Pfarrstelle ansah, kam sie in einer Gaststube mit der Wirtin ins Gespräch. Deren Reaktion: „A Frau? Endlich! Des wär schee. Kommet Se doch zu eis!“Pfarrerin Oehme kam. Und blieb acht Jahre.
Laut Vollmer, Hermann, Oehme und Bredel finden sich in der Bibel genügend Belege dafür, dass im Urchristentum Frauen wichtig waren und diese auch Ämter innehatten. In allen vier Evangelien sind Frauen die ersten Verkündigerinnen der Auferstehung. In der Grußliste an die Gemeinde in Rom sind von Paulus mehrere Frauen in Ämtern aufgezählt: So zum Beispiel Phöbe als „Diakonin“, Priska als „Mitarbeiterin“, Junia als „Apostelin“und andere mehr. Unter Bezug auf die Taufe postuliert Paulus im Galaterbrief 3,28, dass Unterschiede und Hierarchien – ethnisch, sozial und geschlechtlich – in Christus aufgehoben seien.
Trotz der doch sehr deutlichen Bibelstelle fremdelt die katholische Kirche noch mit diesem Argument. Aber auch dort scheint es ein Umdenken zu geben: So hat auch Pfarrer Hermann Wohlgschaft vor Kurzem in seiner Predigt zum 40-jährigen Bestehen der katholischen Pfarrkirche St. Franziskus in Kempten für die Abschaffung des Zölibats und das gemeinsame Abendmahl mit Christen aller Konfessionen plädiert – und unter dem großen Beifall seiner Gemeinde das Weiheamt für Frauen gefordert! In der evangelischen Kirche geht das schon seit Jahrzehnten richtig gut.
50 Jahren Frauenordination: Das Jubiläum wird gefeiert in der Evangelischen Stadtkirche Ravensburg am Sonntag, 28. Oktober, 17 Uhr, mit einem Festgottesdienst und Abendmahl. Die Predigt halten die vier Pfarrerinnen Sonja Bredel, Ulrike Hermann, Birgit Oehme und Barbara Vollmer. Im Anschluss wird zum Stehempfang mit Grußworten eingeladen. Weiter gefeiert wird dann im Matthäus-Gemeindehaus mit Musik, kleinem Essen und guter Unterhaltung.