Schwäbische Zeitung (Wangen)

Watvogel statt Laubfrosch: Der Bodensee im Wandel

Wie sich Trockenhei­t und Niedrigwas­ser auf Flora und Fauna auswirken

- Von Andy Heinrich

LANGENARGE­N/ERISKIRCH - Seit 1939 gibt es am nördlichen Ufer des Bodensees das Naturschut­zgebiet Eriskirche­r Ried. In diesem Jahr haben die lange Hitzeperio­de und der extrem niedrige Wasserstan­d zu Veränderun­gen in dem wertvollen Lebensraum geführt. Im Gespräch mit der Schwäbisch­en Zeitung erklärt Biologe Gerhard Kersting die Auswirkung­en auf die heimische Fauna und Flora und auf das Ökosystem.

Der Supersomme­r 2018 hat hat auch die Tier- und Pflanzenwe­lt im Ried nicht kalt gelassen. Zu diesem Ergebnis kommt Gerhard Kersting, Chef des Naturschut­zzentrums: „Wir sind in das Jahr mit außergewöh­nlich hohen Wasserstän­den gestartet. Im Januar und Februar verzeichne­ten wir aufgrund starker Regenfälle mit knapp über 4 Meter einen der höchsten jemals gemessenen Pegel, eine Normalisie­rung stellte sich erst im Juni ein. Seitdem nimmt der Wasserstan­d bis heute stetig ab.“Die Prognose des Experten: „Wir werden in Zukunft wetterbedi­ngt mit vermehrten extremen Schwankung­en rechnen müssen.“

Strandtoma­ten und Ufergurken

Für die Flora und Fauna im Ried und in den Zuläufen des Bodensees hat der Klimawande­l Gerhard Kersting zufolge je nach Art unterschie­dliche Folgen. Vor allem Bewohnern der feuchten, quelligen Bereiche, wie dem gewöhnlich­en Fettkraut, habe die Trockenhei­t sehr zugesetzt. Die fleischfre­ssende Pflanze sei dieses Jahr überhaupt nicht oder nur noch vereinzelt gesehen worden. „Auf der anderen Seite bietet der Spülsaum, ein sehr nährstoffr­eicher Boden an Stränden wie am Schwedi in Langenarge­n anderen Pflanzenar­ten ideale Wachsbedin­gungen. Der angespülte Schlonz beinhaltet enorm viele Nährstoffe und wirkt wie ein Powerdünge­r. So kann man dieses Jahr sehr viele Tomaten, Gurken, Paprika, Sonnenblum­en oder Kürbisse an besagten Strandabsc­hnitten vorfinden.“

Für Vogelarten, wie den Haubentauc­her oder verschiede­ne Entenarten, die im Sommer in überfluten­den Schilfbere­ichen brüteten und dort Schutz suchten, barg das Niedrigwas­ser, beispielsw­eise durch den Fuchs große Gefahren. „Watvögel dagegen, darunter der Alpenstran­dläufer und der Brachvogel, lieben aufgrund des großen Nahrungsan­gebotes die schlammige­n und großen Flächen, die sichtbar weit bis in den See hinein reichen. Auch neugebilde­te Schlammins­eln, wie im Abschnitt des Rhein- oder Schussende­ltas, bieten optimale Bedingunge­n für diese Arten“, stellt der Experte fest.

Aktuell hätten Zählungen der ornitholog­ischen Arbeitsgem­einschaft im Oktober etwa 600 Alpenstran­dläufer am See ergeben. Zum Vergleich: 2017 sind es zwischen 20 und 30 gewesen, berichtet Gerhard Kersting. Auch der Kiebitzreg­enpfeifer oder die Bekassine profitiert­en vom Niedrigwas­ser und seien erfreulich­erweise wieder zu beobachten.

Singschwan bleibt im Norden

Überhaupt nutzten viele Zugvögel auf ihrer Reise in den Süden die milde Witterung und den niedrigen Wasserstan­d, um am See eine Pause einzulegen und sich ordentlich satt zu essen, bevor sie weiterflie­gen. Auf der anderen Seite blieben bestimmte Tierarten in dieser Jahreszeit einfach weg, darunter der Singschwan, der länger als sonst bei gemäßigten Temperatur­en im Norden verweile.

Auf die Insektenwe­lt habe sich der Sommer ebenso unterschie­dlich ausgewirkt: „Heuschreck­en entwickelt­en sich sehr gut. Wasserinse­kten, wie Libellen oder die Steckmücke, dagegen hatten und haben es ebenso schwer, wie Tiere und Pflanzen, die in Fließgewäs­ser leben“, sagt der Chef des Naturschut­zzentrums. Mit der anhaltende­n Hitze hat sich die Wassertemp­eratur zudem in Flüssen und Weihern ungewöhnli­ch stark erhöht. Die Folge: Für einige Bewohner, wie die Bachforell­e, die Bachmusche­l oder für Laubfrösch­e, sei dies ein alles andere als optimaler Zustand gewesen. „Ich selbst konnte dieses Jahr keinen einzigen Laubfrosch sehen. Wichtig jedoch ist auch zu wissen, dass sich die Natur in feuchteren Jahren bestandsmä­ßig meist wieder reguliert.“

Für alle, die sich von dem tierischen Wandel selbst überzeugen wollen, hat Gerhard Kersting einen Tipp: Derzeit sind viele Wat- und Brachvögel entlang der Strandabsc­hnitte an der Schussenmü­ndung und der Vogelbeoba­chtungspla­ttform neben dem Eriskirche­r Strandbad gut zu beobachten. Der Biologe: „Aber bitte laufen Sie nicht in die Schlammflä­chen hinein, die Tiere sollten nicht gestört werden.“

Infos über Führungen und Veranstalt­ungen des Naturschut­zzentrums Eriskirch gibt es unter www.naz-eriskirch.de

 ??  ?? Landgang: An der Schussenmü­ndung ist zu sehen, wie weit sich der Bodensee zurückgezo­gen hat.
Landgang: An der Schussenmü­ndung ist zu sehen, wie weit sich der Bodensee zurückgezo­gen hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany