Watvogel statt Laubfrosch: Der Bodensee im Wandel
Wie sich Trockenheit und Niedrigwasser auf Flora und Fauna auswirken
LANGENARGEN/ERISKIRCH - Seit 1939 gibt es am nördlichen Ufer des Bodensees das Naturschutzgebiet Eriskircher Ried. In diesem Jahr haben die lange Hitzeperiode und der extrem niedrige Wasserstand zu Veränderungen in dem wertvollen Lebensraum geführt. Im Gespräch mit der Schwäbischen Zeitung erklärt Biologe Gerhard Kersting die Auswirkungen auf die heimische Fauna und Flora und auf das Ökosystem.
Der Supersommer 2018 hat hat auch die Tier- und Pflanzenwelt im Ried nicht kalt gelassen. Zu diesem Ergebnis kommt Gerhard Kersting, Chef des Naturschutzzentrums: „Wir sind in das Jahr mit außergewöhnlich hohen Wasserständen gestartet. Im Januar und Februar verzeichneten wir aufgrund starker Regenfälle mit knapp über 4 Meter einen der höchsten jemals gemessenen Pegel, eine Normalisierung stellte sich erst im Juni ein. Seitdem nimmt der Wasserstand bis heute stetig ab.“Die Prognose des Experten: „Wir werden in Zukunft wetterbedingt mit vermehrten extremen Schwankungen rechnen müssen.“
Strandtomaten und Ufergurken
Für die Flora und Fauna im Ried und in den Zuläufen des Bodensees hat der Klimawandel Gerhard Kersting zufolge je nach Art unterschiedliche Folgen. Vor allem Bewohnern der feuchten, quelligen Bereiche, wie dem gewöhnlichen Fettkraut, habe die Trockenheit sehr zugesetzt. Die fleischfressende Pflanze sei dieses Jahr überhaupt nicht oder nur noch vereinzelt gesehen worden. „Auf der anderen Seite bietet der Spülsaum, ein sehr nährstoffreicher Boden an Stränden wie am Schwedi in Langenargen anderen Pflanzenarten ideale Wachsbedingungen. Der angespülte Schlonz beinhaltet enorm viele Nährstoffe und wirkt wie ein Powerdünger. So kann man dieses Jahr sehr viele Tomaten, Gurken, Paprika, Sonnenblumen oder Kürbisse an besagten Strandabschnitten vorfinden.“
Für Vogelarten, wie den Haubentaucher oder verschiedene Entenarten, die im Sommer in überflutenden Schilfbereichen brüteten und dort Schutz suchten, barg das Niedrigwasser, beispielsweise durch den Fuchs große Gefahren. „Watvögel dagegen, darunter der Alpenstrandläufer und der Brachvogel, lieben aufgrund des großen Nahrungsangebotes die schlammigen und großen Flächen, die sichtbar weit bis in den See hinein reichen. Auch neugebildete Schlamminseln, wie im Abschnitt des Rhein- oder Schussendeltas, bieten optimale Bedingungen für diese Arten“, stellt der Experte fest.
Aktuell hätten Zählungen der ornithologischen Arbeitsgemeinschaft im Oktober etwa 600 Alpenstrandläufer am See ergeben. Zum Vergleich: 2017 sind es zwischen 20 und 30 gewesen, berichtet Gerhard Kersting. Auch der Kiebitzregenpfeifer oder die Bekassine profitierten vom Niedrigwasser und seien erfreulicherweise wieder zu beobachten.
Singschwan bleibt im Norden
Überhaupt nutzten viele Zugvögel auf ihrer Reise in den Süden die milde Witterung und den niedrigen Wasserstand, um am See eine Pause einzulegen und sich ordentlich satt zu essen, bevor sie weiterfliegen. Auf der anderen Seite blieben bestimmte Tierarten in dieser Jahreszeit einfach weg, darunter der Singschwan, der länger als sonst bei gemäßigten Temperaturen im Norden verweile.
Auf die Insektenwelt habe sich der Sommer ebenso unterschiedlich ausgewirkt: „Heuschrecken entwickelten sich sehr gut. Wasserinsekten, wie Libellen oder die Steckmücke, dagegen hatten und haben es ebenso schwer, wie Tiere und Pflanzen, die in Fließgewässer leben“, sagt der Chef des Naturschutzzentrums. Mit der anhaltenden Hitze hat sich die Wassertemperatur zudem in Flüssen und Weihern ungewöhnlich stark erhöht. Die Folge: Für einige Bewohner, wie die Bachforelle, die Bachmuschel oder für Laubfrösche, sei dies ein alles andere als optimaler Zustand gewesen. „Ich selbst konnte dieses Jahr keinen einzigen Laubfrosch sehen. Wichtig jedoch ist auch zu wissen, dass sich die Natur in feuchteren Jahren bestandsmäßig meist wieder reguliert.“
Für alle, die sich von dem tierischen Wandel selbst überzeugen wollen, hat Gerhard Kersting einen Tipp: Derzeit sind viele Wat- und Brachvögel entlang der Strandabschnitte an der Schussenmündung und der Vogelbeobachtungsplattform neben dem Eriskircher Strandbad gut zu beobachten. Der Biologe: „Aber bitte laufen Sie nicht in die Schlammflächen hinein, die Tiere sollten nicht gestört werden.“
Infos über Führungen und Veranstaltungen des Naturschutzzentrums Eriskirch gibt es unter www.naz-eriskirch.de