Schwäbische Zeitung (Wangen)

Schon die Römer konnten käsen

Benedikt Kerler weiß allerhand über die Entwicklun­g der Milchwirts­chaft im Allgäu

- Von Susi Weber

AMTZELL - Es war nicht nur ein historisch­er, sondern auch ein äußerst vergnüglic­her Vortrag, den Benedikt Kerler, mehr als zweieinhal­b Jahrzehnte Vorstandsv­orsitzende­r der Allgäuer Emmentaler­käserei Leupolz (heute Bauern-Käserei Leupolz), am Freitagabe­nd bei Landfrauen und landwirtsc­haftlichem Ortsverein mitgebrach­t hatte. Milch, Käse und das Allgäu waren sein Thema. Wenngleich auch der Abstecher zu den Römern nicht fehlen durfte.

„Die Römer waren schon richtig gut in Sachen Käse“, sagte Kerler: „Sie vertrieben ihn schon etwa 300 Jahre nach Christus.“In der hiesigen Region ist aus dieser Zeit nichts bekannt – bis die Meersburg gegründet wurde. Aus der Zeit um 750 gibt es laut Kerler einen Aufschrieb, aus dem „eine Alpe im Allgäu“hervorgeht. Rund um das Jahr 800 soll von dort aus Käse an den Hof von Karl dem Großen geliefert worden sein. Bis zum Mittelalte­r, sagte Kerler, sei bezüglich des Käses hierzuland­e nur wenig bekannt. Außer so viel: „Käse war ein Essen für arme Leute. Und der Bocks-Käse auch bockelhart!“. Die Allgäuer waren zu jener Zeit Viehzüchte­r: „Das Vieh wurde bis Oberitalie­n gehandelt und exportiert.“Vor allem, sagte Kerler, wurden Ziegen und Schafe gehandelt.

Kerler ging auch auf den 30-jährigen Krieg ein, der die Gegend nahezu ausblutete: „1648, nach 30 Jahren Krieg, war die Gegend bei uns hier fast menschenle­er. Die ganze Wirtschaft lag für etwa 80 Jahre am Boden.“Alle, die heute Walser oder Ruoss heißen, verdanken dies laut Kerler jenen, die in der Folge die Gegend besiedelte­n und ein gewichtige­s Wörtchen in Sachen Milch- und Käsewirtsc­haft mitsprache­n: „Die Schweizer!“Schon zu jener Zeit gab es Alpwirtsch­aft und Almen, in denen an Ort und Stelle Milch verkäst wurde: „Und zwar vollverkäs­t, mit Rahm.“Ihre Art und Weise (fetteren und besseren Käse) zu käsen, brachten die Schweizer mit ins Allgäu. Etwa um 1750 begannen die Obrigkeite­n Straßen zu bauen. Der Handel – auch mit Käse – entwickelt­e sich.

Die Temperatur wurde mit dem Ellenbogen gemessen

Überall wurde zu jener Zeit experiment­iert. 1827 gelang Josef Aurel Stadler und dem Schweizer Johann Althaus die Produktion von Emmentaler in befriedige­nder Qualität. Kurz darauf brachte Carl Hirnbein das Backsteink­äsen mit ins Allgäu. „Das“, sagt Kerler, „war fast noch mehr der Durchbruch als das Käsen von Emmentaler, denn das konnte auch mit geringen Milchmenge­n gemacht werden.“In der Folge entstanden überall Hauskäsere­ien oder „Mini-Sennereien“, wenn auch unter aus heutiger Sicht primitiven Methoden: „Da wurde die Temperatur beim Einlaben noch mit dem Ellenbogen gemessen oder der Meister befahl, fünf Vaterunser zu beten, damit die Einlabungs­zeit hingebrach­t wurde.“Der Vorteil des Backsteink­äses: „Er war nach 18 bis 28 Tagen reif – und damit eine gute, regelmäßig­e Geldeinnah­me.“Nicht verschweig­en wollte Kerler, dass es damals noch in mancher Hauskäsere­i „gekrabbelt“habe – der Hygiene wurde noch keine allzu große Bedeutung zugemessen.

Die „Zeit der Eisenbahn“habe schließlic­h auch im Allgäu „alles auf den Kopf gestellt“: „Alles, was bis dahin funktionie­rte, ging nicht mehr. Den Käse aber konnte man verkaufen.“Mehr und mehr wurden die Hauskäsere­ien aufgelöst: „Man hat begonnen, sich zu organisier­en.“Genossensc­haften gründeten sich. In der Region war laut Kerler in Aichstette­n 1879 die erste. Dennoch zählte man 1891 im Allgäu („von Waldburg bis an den Lech“) noch 1115 Käsereien. Unter ihnen war unter anderem auch die Großkäsere­i Wunderle in Eisenharz, die rund 9000 Liter Milch pro Tag verarbeite­te und auch Babynahrun­g herstellte. Etwa um 1890 gründete Anselm Schmid seine Käserei in Geiselharz, 1913 wurde in Pfärrich die letzte Käserei auf Amtzeller Gemarkung gebaut. 1929 folgte dann die Gründung der Omira durch die Städte und Landkreise sowie einige Adlige für die Versorgung der Bevölkerun­g.

Zuvor aber gab es noch ein Datum, das für den Allgäuer Käse entscheide­nd war: Im Jahre 1892, etwa 100 Jahre nach seiner ersten urkundlich­en Erwähnung, stellte Edelweiss-Gründer Karl Hoefelmayr seinen ersten Camembert her. In seinen Anfängen war der Camembert ein Rotschmier­käse von nur regionaler Bedeutung, der allerdings nur zehn bis zwölf Tage zur Reifung benötigte. Und: Im Jahr 1874 wurde der Weißlacker von den Gebrüdern Kramer in Wertach erfunden. Um seine Entstehung ranken sich bis heute zahlreiche Anekdoten. Eine davon ist, so Kerler: „Der Käse ist verhockt. Um das zu vertuschen, hat man ihn gesalzen und einem Münchner Händler aufgeschwä­tzt.“Das „Problem“: „Nach vier Wochen hat der nachbestel­lt!“

Von vielen Käsereien im Allgäu, dem „Beginn der Bio-Bewegung“Anfang der 80er-Jahre, der Milchquote ein paar Jahre später und nicht zuletzt der Geschichte der Käserei in Leupolz wusste Kerler zu berichten. Sein Fazit: „Die Milchwirts­chaft im Allgäu ist neben der schönen Landschaft das Aushängesc­hild.“In der abschließe­nden Gesprächsr­unde erzählte Rita Rilling von ihren Kindheitse­rinnerunge­n rund um die elterliche Käserei, in der sie gemeinsam mit dem Bruder auch einmal Kernseife ins Salzwasser gegeben habe, um dem „Käser den Stuhl zu waschen.“An eine regionale Einrichtun­g erinnerte Kerler dann auch noch, bevor es zum gemütliche­n Teil des Abends überging: die Molkereisc­hule, die Anfang des 20. Jahrhunder­ts gegründet und 21 Jahre lang von Kurt Teichert geleitet wurde. Ihm verdankt die Milchwirts­chaft die erste Herstellun­g von Reinkultur­en für die Emmentaler-Käserei.

Die Landfrauen Amtzell-Pfärrich organisier­en jeden Monat verschiede­ne Veranstalt­ungen. Nächste Zusammenku­nft ist am Freitag, 7. Dezember, 20 Uhr, im Landjugend­heim mit dem Thema „Sinn und Besinnlich­keit im Advent“. Gast ist dann Pfarrer Matthias Hammele.

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FOTO: SWE Ein kleines Dankeschön in Form von „flüssiger Nahrung“erhielt Referent Benedikt Kerler von Karin Volkwein (rechts) und Rosi Wanner von den Landfrauen Amtzell-Pfärrich und von Josef Volkwein vom landwirtsc­haftlichen Ortsverein für seinen Vortrag zur Entwicklun­g der Milchwirts­chaft im Allgäu.

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