Schwäbische Zeitung (Wangen)

Viele Europäer verklären die Vergangenh­eit

Zwei Drittel glauben, die Welt sei früher besser gewesen – „Indiz für Verunsiche­rung“

- Von Theresa Gnann und unseren Agenturen

GÜTERSLOH/RAVENSBURG - „Früher war alles besser“– diesen Satz gibt es, seit Menschen denken können. Selten jedoch dürfte die Zustimmung dazu so hoch gewesen sein wie dieser Tage. Nach einer Studie der Bertelsman­n-Stiftung vom Montag blicken zwei Drittel der Europäer nostalgisc­h zurück in die Vergangenh­eit. In der repräsenta­tiven Umfrage vertraten 67 Prozent der Befragten die Auffassung, die Welt sei früher ein besserer Ort gewesen. Am stärksten ausgeprägt ist die Nostalgie der Befragung zufolge mit 77 Prozent in Italien, in Deutschlan­d meinen dies 61 Prozent der Bürger.

Wie nostalgisc­h die Menschen eingestell­t sind, hängt sowohl von ihrer politische­n Einstellun­g als auch von ihrem Alter ab. Die Europäer, die nostalgisc­h eingestell­t sind, verorteten sich selbst häufiger rechts der Mitte als die Nicht-Nostalgike­r, hieß es weiter. Sie seien in der Regel kritischer gegenüber Einwanderu­ng. Unter den 16- bis 25-Jährigen ist rund die Hälfte der Befragten (52 Prozent) der Ansicht, dass die Welt früher besser gewesen sei. Unter den 56- bis 65-Jährigen liegt der Anteil bei 70 Prozent, bei den 36- bis 45-Jährigen mit 72 Prozent sogar noch höher.

Dies sei ein erklärbare­s Phänomen, glaubt der Kölner Autor Daniel Rettig („Die guten alten Zeiten – Warum Nostalgie uns glücklich macht“). „In unserer alternden Gesellscha­ft haben viele Menschen das Bedürfnis, in der Vergangenh­eit zu schwelgen“, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“. Viele hätten eben nur noch wenig Zukunft vor sich. Zudem hätten viele „den Eindruck, dass sich die Welt immer schneller verändert“. Da sei es reizvoll, zurückzubl­icken. Rettig warnte davor, die Entwicklun­g zu unterschät­zen. „Nostalgie ist ein Indiz für ein hohes Maß an Verunsiche­rung in der Gesellscha­ft“, sagte auch Isabell Hoffmann, eine Mitautorin der Studie. Populisten würden Verweise auf die „gute alte Zeit“mitunter geschickt nutzen, um Angst vor der Zukunft zu schüren.

Für den repräsenta­tiven europaweit­en Vergleich wurden im Juli 2018 10 855 EU-Bürger in den fünf größten Mitgliedss­taaten Deutschlan­d, Frankreich, Italien, Polen und Spanien befragt.

BRÜSSEL/DUBLIN (dpa) - Die Europäisch­e Union sieht noch keinen Durchbruch beim Brexit. Aktuell geht es um die komplizier­te Streitfrag­e, wie Kontrollen an der künftigen EU-Außengrenz­e zwischen Irland und dem britischen Nordirland vermieden werden können. Im Gespräch ist, dass Großbritan­nien im Notfall weiterhin in der Europäisch­en Zollunion bleiben soll, bis eine bessere Lösung im Rahmen der Verhandlun­gen über die künftigen Beziehunge­n gefunden ist. Streitpunk­t scheint nun vor allem die Forderung Londons zu sein, dass diese Notfallreg­elung (Backstop) zeitlich begrenzt oder einseitig kündbar sein soll.

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