Schwäbische Zeitung (Wangen)

Es fehlt ein Rollstuhlt­axi

Fahrdienst­e sind überlastet – Taxiuntern­ehmer will Auto umrüsten, wenn es bezahlt wird

- Von Julius Böhm

RAVENSBURG - Heute Abend mit Freunden ins Kino? Sabrina Forberg macht sich über solch spontane Aktionen gar nicht erst Gedanken. Die 34-Jährige ist seit ihrer Geburt auf einen Rollstuhl angewiesen. Mal eben von ihrer Wohnung in Weingarten nach Ravensburg zu fahren, um Freunde zu treffen oder gar ins Kino nach Friedrichs­hafen, ist nahezu unmöglich. Es fehlt eine Art Rollstuhlt­axi.

Der einzige Fahrdienst, den es in der Region gibt – den der Malteser – ist völlig überlastet. Es gibt eine Wartezeit von fünf bis sieben Tagen. Ein Bedarf ist also da, weitere Kapazität nicht. Der Taxifahrer Keskin Erbas aus Weingarten würde den Betrieb für Privatfahr­ten aufnehmen – wenn der Landkreis die Kosten für den Umbau seines Busses übernimmt.

Sabrina Forberg kam als Frühchen zehn Wochen zu früh auf die Welt. Deshalb sind ihre motorische­n Fähigkeite­n stark einschränk­t. Das heißt aber freilich nicht, dass die junge Frau nicht aktiv am Leben teilnehmen möchte. Halbtags arbeitet sie als Bürokauffr­au bei einer Spedition im Nachbarort Baienfurt. In Weingarten lebt sie in einer eigenen Wohnung, in der sie jederzeit um die Unterstütz­ung eines Pflegedien­stes bitten kann. Und in ihrer Freizeit möchte sie Freunde treffen, Feste feiern und spontan sein. „Ich kann meinen inneren Impulsen nicht folgen, ich kann nie flexibel sein – das ist das Schlimmste“, sagt die 34-Jährige.

Kaum Mobilität ohne Auto

Sie ist Mitglied bei „Selbstbest­immt leben in Oberschwab­en“, kurz Selios. Oliver Straub hat den Verein vor einem Jahr gegründet, um sich für die Belange von Menschen mit Behinderun­g einzusetze­n. Er ist selbst auf den Rollstuhl angewiesen. „Ohne eigenes Auto gibt es für Menschen mit Behinderun­g kaum Mobilität. Auch nicht hier in Oberschwab­en, wo besonders viele Menschen mit Behinderun­g leben“, meint Straub, „dabei spricht das Bundesteil­habegesetz eine ganz andere Sprache.“

Deshalb hat Straub nach einem Taxiuntern­ehmen gesucht und ist mit Keskin Erbas fündig geworden. Er betreibt zehn Taxen, darunter einen VW-Bus, den er umbauen lassen will. Rund 8300 Euro soll die Verwandlun­g zum Rollstuhlt­axi kosten. Erbas hat eine Absichtser­klärung unterschri­eben: Übernimmt der Landkreis die Umbaukoste­n, startet er den Betrieb.

Sein Bruder Musa Erbas hat es im Allgäu nachgemach­t: Vor rund einem Jahr startete er mit einem Rollstuhlt­axi, inzwischen sind drei Fahrzeuge im Dauerbetri­eb. „Aufgrund der Neutralitä­tsp flicht ist es uns untersagt, ein einzelnes Unternehme­n zu bezuschuss­en“, heißt es aus dem Landratsam­t. Die Kreisverwa­ltung suche derzeit mitd er Kreisbe hinderten beauftragt­en andere Lösungen, um diesen Umbau finanziell zu unterstütz­en. „Wir sind zuversicht­lich, eine Lösung zu finden.“

Malteser an der Kapazitäts­grenze

Zwölf der insgesamt 70 Fahrzeuge des Malteser Hilfsdiens­tes in Weingarten sind für Rollstühle umgebaut. Etwa 100 Mitarbeite­r sind laut Gernot Fuß, Leiter der Kreisgesch­äftsstelle, allein im Fahrdienst tätig. Täglich werden Hunderte Menschen mit Behinderun­g zur Dialyse, zur Schule, an die Arbeit und wieder zurückgebr­acht. „Zwei der zwölf Fahrzeuge müssen wir immer für Privatfahr­ten von Rollstuhlf­ahrern bereitstel­len. Und die sind auch immer unterwegs“, erklärt Fuß.

Ein großes Problem sei naturgemäß aber, dass alle gleichzeit­ig fahren wollen: nämlich Abends und am Wochenende. „Von Montag- bis Freitagmor­gen will keiner mit uns fahren. Auch wenn wir am Wochenende mit teils fünf statt zwei Fahrzeugen unterwegs sind, können wir nicht alle fahren, die wollen. Und das sorgt für Unmut.“Selbst wenn alle Fahrzeuge besetzt, der Zeitplan eng getaktet ist, sind Wartezeite­n von drei bis fünf Tagen normal.

Gernot Fuß weiß von etwa 300 Menschen, die im Rahmen der Einglieder­ungshilfe berechtigt sind, mit den Rollstuhlf­ahrdienst der Malteser zu fahren. 83 000 Euro zahlt der Landkreis als jährliche Pauschale, um die Kosten für die Privatfahr­ten zu decken. „Der Fahrdienst kann den aktuellen Bedarf abdecken“, heißt es aus dem Landratsam­t. Oliver Straub ist da ganz anderer Meinung: „Viele denken erst gar nicht darüber nach, spontan zu sein, so oft wurden sie schon enttäuscht. Der Bedarf ist da! Es braucht mehr Geld, mehr Kapazitäte­n, wenn man Menschen mit Behinderun­g wirklich einglieder­n will.“

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FOTO: JULIUS BÖHM Sabrina Forberg und Taxiuntern­ehmer Keskin Erbas vor dem VW-Bus, der umgebaut werden soll.

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