Lösungen statt leerer Floskeln
Vergewaltigung von Freiburg zeigt grundsätzliche Probleme mit Intensivtätern auf
Intensivtäter bereiten der Polizei Probleme, und das schon lange. Fünf Prozent der Verdächtigen begehen 40 Prozent der Taten, haben Kriminologen errechnet. BadenWürttembergs Polizei hat seit mehr als zehn Jahren Konzepte, um solchen Tätern beizukommen.
Die Zuwanderung hat das Problem verschärft. Experten gehen davon aus, dass jeder dritte Flüchtling Traumata erlitten hat. Sie haben Gewalt erlebt, Todesangst erlitten, selbst im Bürgerkrieg gekämpft. Solche Erfahrungen machen Menschen zu Opfern. Sie begünstigt auch, dass Menschen zu Tätern werden.
Dazu kommen Probleme, sich in eine neue Kultur zu integrieren, eine unsichere Zukunft, ein fehlendes soziales Umfeld. All das kann auch aus Deutschen Straftäter machen. Doch keine Erfahrung entschuldigt, was in Freiburg passiert ist. Wenn mehrere Männer eine Frau vergewaltigen, ist das überall ein Verbrechen.
Die Zuwanderung hat Fragen aufgeworfen, und auf die braucht es Antworten. Allerdings machen es sich Politiker wie Innenminister Thomas Strobl (CDU) oder Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) zu einfach, wenn sie platte Forderungen stellen, die letztlich wenig bringen. Ob Abschiebungen nach Syrien oder Lager für verdächtige Ausländer – das erste bereitet den Behörden schon ohne Syrien genug Vollzugsprobleme, das zweite ist im Rechtsstaat nicht machbar.
Die wahren Probleme liegen im Detail. Einige Beispiele: Es fehlen erfahrene Sachbearbeiter bei Polizei und Ausländerbehörden, es fehlen psychologische Screenings und Therapien für Flüchtlinge. Begeht ein Täter kleine Delikte in Baden-Württemberg, erfährt es die Polizei in Bayern nicht – weil der Datenschutz es verhindert. Polizisten dürfen bei Abschiebungen nur das Zimmer des Betroffenen durchsuchen, nicht aber die angrenzenden Räume.
Es ist also Kleinstarbeit zu leisten. Die ist kurzfristig wenig werbewirksam. Doch langfristig fallen leere Versprechungen ihren Urhebern auf die Füße – wenn die Menschen merken, dass die Forderungen von einst kein Verbrechen verhindert haben.
STUTTGART - Was tun mit Flüchtlingen, die viele Straftaten begehen? Lassen sich kriminelle Karrieren wie die von Majd H. verhindern? Der syrische Flüchtling soll Mitte Oktober in Freiburg mit mehreren anderen Tätern eine junge Frau vergewaltigt haben. Die Fragen nach dem Umgang mit solchen Tätern beschäftigen die Landespolitik. Probleme, Forderungen und mögliche Lösungen im Überblick.
Haben die Ermittler in Freiburg Fehler gemacht?
Das ist noch nicht klar. Innenminister Thomas Strobl (CDU) lässt das prüfen. Zum einen wirft die Vielzahl der Ermittlungen Fragen auf, die es gegen Majd H. gab. Er stand wegen zweier Sexualdelikte, Drogenkriminalität und Körperverletzung mehrfach im Fokus der Ermittler. Die Staatsanwälte betonen aber, in keinem Fall habe es Gründe für eine Haft gegeben. So hätten sich Vergewaltigungsvorwürfe nicht erhärten lassen, auch der Verdacht auf einer Körperverletzung habe als Haftgrund nicht ausgereicht. Zum anderen fragen sich viele, warum Majd H. nicht früher verhaftet wurde – seit dem 11. Oktober lag ein Haftbefehl gegen ihn vor, die Vergewaltigung geschah am 14. Es war bekannt, dass er als Intensivtäter galt. Die Ermittler führen an, man habe die Verhaftung geplant gehabt – für den 23. Oktober. Letztlich bleibt offen, ob man unterschätzt hat, wie gefährlich Majd H. ist. Er sitzt jetzt in Haft.
Warum werden Haftbefehle nicht sofort umgesetzt?
Erstens: In ganz Baden-Württemberg waren zum 1. März 2018 rund 19 800 Haftbefehle offen, in Bayern 29 000. Viele davon betreffen Kleinkriminelle, die zu Geldstrafen verurteilt wurden, diese aber nicht zahlen können. Es ist gängige Praxis, solche kleinen Fische wie Schwarzfahrer nicht mit Hochdruck zu suchen, Schwerverbrecher dagegen schon. Zweitens: Eine Verhaftung muss geplant werden. Das kann Tage oder Wochen dauern, je nach Fall. Bei Majd H. wollte die Polizei nach Drogen suchen. In solchen Fällen könne man nicht zehnmal vorbei fahren und schauen, ob ein Verdächtiger daheim sei – dieser werde gewarnt und verstecke Drogen, so erfahrene Kriminalbeamte. Dann fehlten Beweise für eine Verurteilung.
Wie viele Intensivtäter gibt es in Baden-Württemberg?
Rund 230 Erwachsene und 430 Jugendliche sind vom Innenministerium offiziell so eingestuft. Von den Erwachsenen sind 64 Prozent Ausländer, bei den Jugendlichen sind es 27 Prozent. Unter den erwachsenen Intensvitätern ist ein Viertel Flüchtlinge. Kriminologen nennen mehrere Ursachen für deren hohen Anteil. Zum einen sind viele Flüchtlinge junge Männer. Diese Altersgruppe wird auch unter Deutschen besonders oft straffällig. Zweitens haben viele Flüchtlinge keine Arbeit, keine Familie und eine ungewisse Zukunft. Das begünstigt Kriminalität. Psychologen weisen daraufhin, dass Flüchtlinge oft Gewalt erfahren haben und selbst Gewalt anwenden mussten. Das senke die Hemmschwellen. Hinzu kommen die kulturellen Unterschiede, etwa ein abwertendes Frauenbild.
Welche Probleme gibt es beim Umgang mit Intensivtätern?
Die meisten Intensivtäter begehen zunächst viele nicht so schwere Delikte wie Diebstahl oder kleinere Schlägereien. Es dauert manchmal Jahre, bis gerade bei Jugendlichen so viel zusammenkommt, dass Richter Haft verhängen. Erst, wenn viel zusammenkommt, können Richter viele kleine Straftaten zusammenzählen und eine Gesamtstrafe bilden – die dann die Täter ins Gefängnis bringt. Polizisten beklagen außerdem das komplizierte Ausländerrecht. Bei Flüchtlingen müsse man eigentlich noch genauer prüfen, ob es abseits der möglichen Straftaten Gründe für Abschiebungen gebe. Doch die Materie sei so schwierig, dass selbst erfahrene Sachbearbeiter Probleme hätten, alles zu durchblicken. „Das Ausländerrecht ist viel zu komplex. Wir brauchen nicht zwangsläufig neue Regeln, sondern einfachere“, sagt Steffen Mayer vom Bund deutscher Kriminalbeamter.
Könnte man Menschen wie Majd H. irgendwo einsperren?
So etwas schwebt dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) vor. Daran gibt es aber erhebliche Kritik. „Man kann nicht einfach Leute ohne Grund einkasernieren“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Ohne Verurteilung keine Haft – dieser Grundsatz gilt im Rechtsstaat, es gibt nur ganz wenige Ausnahmen.
Warum schiebt man kriminelle Ausländer nicht einfach ab?
Wegen Straftaten abschieben darf man erst, wenn jemand bereits verurteilt ist. Vorher ist er ja nur verdächtig. Und auch das geht bei Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen erst, wenn ein gewisses Strafmaß überschritten wird, in der Regel ein Jahr Haft. Wer ein Verbrechen in Deutschland begeht und deswegen ins Gefängnis muss, landet auch dort, unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus. Majd H. kommt aus Syrien – dahin darf derzeit ohnehin niemand abgeschoben werden. Das Land gilt als zu unsicher. Selbst wenn es erlaubt wäre: Gegen Majd H. gab es noch kein Urteil.