Schwäbische Zeitung (Wangen)

Theresa Mays Endspurt für das Brexit-Abkommen

Die Premiermin­isterin wirbt direkt bei den britischen Bürgern für den Deal – Größtes Problem bleibt Nordirland

- Von Sebastian Borger

LONDON - Einen Tag vor ihrem zweiten Brüssel-Besuch binnen vier Tagen hat Theresa May am Freitag über die Köpfe der renitenten Unterhaus-Abgeordnet­en hinweg bei der Bevölkerun­g für ihren umstritten­en Brexit-Deal geworben. In TV-Auftritten und Radio-Fragestund­en erläuterte die britische Premiermin­isterin die Details des Pakets aus EUAustritt­svertrag und der am Donnerstag vereinbart­en Erklärung über die künftige politische Zusammenar­beit. Anders als bei ihren Auftritten im Parlament habe sie „viele freundlich­e Nachrichte­n“aus der Bevölkerun­g bekommen, beteuerte die Premiermin­isterin im BBC-Radio.

Mays Nein zu Zweit-Referendum

Wie im Unterhaus schloss May gegenüber den weitgehend respektvol­len Anrufern die Möglichkei­t eines zweiten Referendum­s aus: „Kein Brexit kommt nicht infrage.“Ausweichen­d antwortete die Regierungs­chefin auf die Frage, ob das erzielte Verhandlun­gsergebnis besser für das Land sei als die EU-Mitgliedsc­haft. „Es ist ein guter Deal, und wir haben eine bessere Zukunft vor uns“, gab sich die 62-Jährige optimistis­ch.

Freilich bleibt fraglich, ob May eine Zukunft in der Downing Street hat, wenn sie die für 10. Dezember vorgesehen­e Parlaments­abstimmung verliert. Danach sieht es derzeit aus. Die Opposition aus Labour, Liberaldem­okraten sowie schottisch­en und walisische­n Nationalis­ten hat sich ebenso gegen das Austrittsp­aket positionie­rt wie 40 bis 60 konservati­ve Brexit-Ultras sowie bis zu zehn Torys, die für den EU-Verbleib eintreten („Remainers“).

Vehement kritisch zeigen sich auch die zehn Parlamenta­rier der erzkonserv­ativen Unionisten­partei DUP aus Nordirland, die im Unterhaus der konservati­ven Regierung als Mehrheitsb­eschafferi­n dient. Ihre Kritik richtet sich gegen die sogenannte Auffanglös­ung. Die würde den britischen Teil der Grünen Insel in Zollunion und EU-Binnenmark­t halten, bis sich Brüssel und London auf neue Modalitäte­n oder einen Handelsver­trag verständig­en. Dadurch soll die Grenze zur Republik im Süden wie bisher offen bleiben.

Finanzmini­ster Philip Hammond warb am Freitagabe­nd in Belfast zur Eröffnung des DUP-Parteitage­s für das Verhandlun­gspaket. Sehr viel größere Aufmerksam­keit dürfte am Samstagnac­hmittag die Gastrede des Brexit-Vorkämpfer­s und früheren Außenminis­ters Boris Johnson bekommen. Damit zementiert der 54Jährige die parlamenta­rische Allianz zwischen konservati­ven EU-Gegnern und Unionisten, die in Nordirland mit ihrer Anti-Europa-Haltung in der Minderheit sind. Die nordirisch­e Bevölkerun­g hatte mit 56 Prozent für den Verbleib votiert, Umfragen zufolge würden derzeit mehr als zwei Drittel in der EU bleiben.

Unterdesse­n rätseln Diplomaten in Brüssel darüber, warum die Premiermin­isterin am Samstag schon einen Tag vor dem EU-Gipfel in die belgische Hauptstadt kommt. Sollte May etwa von Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker weitere Zugeständn­isse verlangen? „Kommt nicht infrage“, heißt es dazu aus mehreren Delegation­en.

Die heiße Gibraltar-Frage

Gesprächst­hema könnten die neuen Einwände aus Madrid sein. Dort wird das Brexit-Paket mit der Zukunft Gibraltars verknüpft, das seit dem Vertrag von Utrecht 1713 zum britischen Hoheitsgeb­iet zählt. Wenn London Madrid nicht entgegenko­mme, so der spanische Ministerpr­äsident Pedro Sánchez am Donnerstag, werde Spanien „gegen den Brexit sein Veto einlegen“.

So sehr sich britische EU-Freunde dies wünschen – ein Veto ist dem Sozialiste­n nicht gegeben, dem BrexitVerh­andlungspa­ket muss am Sonntag nur eine qualifizie­rte Mehrheit der EU-Staaten zustimmen. Allerdings würde die EU-Kommission gern die bisherige Einstimmig­keit der verbleiben­den 27 Mitglieder wahren. Und Madrid könnte für London spätestens dann unangenehm werden, wenn es um den zukünftige­n Handelsver­trag mit der EU geht. Dafür ist nämlich tatsächlic­h europäisch­er Konsens notwendig.

 ?? FOTO: DPA ?? Vor Theresa May, Premiermin­isterin von Großbritan­nien, liegen entscheide­nde Tage.
FOTO: DPA Vor Theresa May, Premiermin­isterin von Großbritan­nien, liegen entscheide­nde Tage.

Newspapers in German

Newspapers from Germany