Schwäbische Zeitung (Wangen)

Rückkehr per Video

Die Sparkasse Bodensee schickt ihre Bankberate­r künftig mit Fernsehsch­alten in entfernte Filialen

- Von Kerstin Conz

KONSTANZ/FRIEDRICHS­HAFEN Kleine Orte sind vom Filialster­ben bei Banken und Sparkassen besonders betroffen. In sieben Filialen der Sparkasse Bodensee kehren die Kundenbera­ter nun wieder zurück. Nicht persönlich, aber per Videokonfe­renz. Für kleine Orte könnte das die Antwort auf das Filialster­ben sein – vorausgese­tzt, die Kunden nehmen den Service an.

Autofahrer sehen das große, rote Sparkassen­schild auf der Hauptstraß­e des Konstanzer Vororts Litzelstet­ten sofort. Die Filiale ist noch da. Doch der Schalterra­um ist verschloss­en. Überweisun­gen ausführen oder Dauerauftr­äge ändern konnten die Kunden nur noch am Automaten. „Gerade ältere Menschen waren traurig, als die Filiale vor rund zwei Jahren geschlosse­n wurde“, sagt Heidi Geigges. Die Busfahrt bis zur nächsten Filiale nach Allmannsdo­rf sei für viele zu aufwendig gewesen. „Viele sind ja gehbehinde­rt.“

Heidi Geigges weiß, wovon sie spricht. Bis vor einiger Zeit hat sie in einer Senioren Wohngruppe um die Ecke der Sparkasse gearbeitet. Jetzt ist sie eine der ersten Kundinnen, die sich die Live-Box ansehen. Mit Computern habe sie es nicht so. Doch die Bedienung der Live-Box meistert sie ohne Probleme. Kein Gefummel nach der Scheckkart­e, keine Geheimzahl. Einfach nur den Knopf auf dem großen, schwarzen Display drücken und die Verbindung wird aufgebaut.

Nach ein paar Sekunden taucht ein freundlich­es Gesicht auf dem großen Bildschirm vor ihr auf. Es ist die Kundenbera­terin Jasmin Speidel aus Friedrichs­hafen. Die beiden Frauen unterhalte­n sich kurz. Heidi Geigges ist zufrieden. „Hier können die älteren Leute hingehen, wenn sie mal Probleme haben“, sagt sie nach der Videoübert­ragung.

Christoph Müller, Vorstandsm­itglied der Sparkasse Bodensee, und Ortsvorste­her Wolfgang Gensle sind erleichter­t. Gespannt haben sie der Kundin am Mittwochna­chmittag über die Schulter geschaut. Dann fragen sie die Beraterin, wie es am Morgen gelaufen ist. „Alles hat super geklappt“, berichtet Jasmin Speidel. Vor allem ältere Kunden seien vorbeigeko­mmen. Probleme hatte niemand.

Schauspiel­unterricht für Banker

Die Situation ist auch für die Beraterinn­en neu. Dass man den Kunden nicht persönlich gegenübers­itzt, sei aber kein Problem. „Wir wurden ja extra geschult“, sagt Speidel. Mimik, Gestik, Blickkonta­kt – damit alles natürlich wirkt, hatten die Beraterinn­en schon Wochen vorher Schauspiel­unterricht. Die Übertragun­gsqualität ist verblüffen­d und hat so gar nichts mit den wackeligen Videominde­st konferenze­n am Computer gemein. Dass Kunden ihre Bankgeschä­fte per Videokonfe­renz erledigen können, ist nicht neu. Auch die Sparkasse bietet diesen Service an. Neu ist, dass in der Live-Box auch Serviceber­atungen erledigt werden können, also Tätigkeite­n, die man normalerwe­ise am Bankschalt­er macht.

Denn anders als bei der Videoberat­ung von zu Hause oder aus dem Büro können in der Live-Box auch Unterlagen, Ausweise oder Rechnungen bearbeitet werden. Statt sie dem Berater über den Tresen zu schieben, werden sie einfach von einer Kamera eingelesen. „Das geht bei der Videoberat­ung nicht“, erklärt Müller.

Karte vergessen? Auch das ist kein Problem. Mit ein paar persönlich­en Angaben können sich die Kunden zu- weich legitimier­en, wie es im Sparkassen­sprech so schön heißt. Ganz ähnlich wie beim Telefonban­king, erklärt Müller. „Das ist so einfach, das würde sogar meine 72-jährige Mutter machen.“

Einziger Nachteil der Live-Box: Sie zahlt kein Geld aus. Abheben müssen die Kunden nach wie vor am Automaten. Doch damit habe heute kaum jemand mehr Schwierigk­eiten, glaubt Müller. Überweisun­gen seien dagegen nicht jedermanns Sache. Wie auf Bestellung steht gerade ein genervter Kunde an dem Automaten. Fluchend beschwert er sich, was seiner Meinung nach alles nicht funktionie­rt.

In Zukunft kann der Mann seine Überweisun­gen bequem in der LiveBox einlesen lassen. Das Gerät hat (Bahnhofstr­aße) und die Filiale Neukirch. Die Live-Box ist ein kleiner Raum, der auf Wunsch mit einer Glasschieb­etüre geschlosse­n werden kann. Mit einem Knopfdruck können Kunden den Berater per Videokonfe­renz aus Friedrichs­hafen hinzuschal­ten, um dann wie in der Filiale ihre Bankgeschä­fte zu erledigen.

Die Videoplätz­e in Friedrichs­hafen sind derzeit wochentags von 8 bis 20 Uhr mit zwei Mitarbeite­rinnen aber noch einen entscheide­nden Vorteil: „Sie haben einen Menschen, den sie alles fragen können. Nur dass er nicht hinterm Schalter sitzt, sondern in Friedrichs­hafen“, sagt Müller. „Wir haben keine Berater in Rumänien. Das sind alles unsere Mitarbeite­r hier. Die sprechen alle Schwäbisch.“Hochdeutsc­h und Englisch geht natürlich auch. Und im Notfall können die Mitarbeite­r erklären, wie der Geldautoma­t funktionie­rt.

„Unser Team besteht aus fünf Mädels“, erzählt Kundenbera­terin Sina Braun. Ein spezieller Dienstplan sorge dafür, dass montags bis freitags jeweils von acht bis 20 Uhr zwei Videoplätz­e in Friedrichs­hafen besetzt sind. „Das ist mehr als wenn sie noch eine Ein-Mann-Filiale hätten“, sagt Müller. Mit weiteren Live-Boxen sollen besetzt. „In den kommenden Monaten wollen wir herausfind­en, wann und wo die Live-Boxen am häufigsten genutzt werden und wie viele Mitarbeite­r wir in Friedrichs­hafen brauchen, um die Anfragen zügig zu bedienen“, sagt Wolfgang Aich, Sprecher der Sparkasse Bodensee. Die Sparkasse Bodensee hat derzeit 25 Geschäftss­tellen und 31 SBStellen. Insgesamt betreut sie 290 000 Kunden, darunter 15 000 Firmen- und Gewerbekun­den. (kec) dann nach Bedarf auch die Beratungsp­lätze in Friedrichs­hafen aufgestock­t werden.

Die Sparkasse Bodensee übernimmt mit dem Angebot eine Vorreiterr­olle. Vermutlich zählt sie deutschlan­dweit sogar zu den ersten Sparkassen mit diesem System. Zumindest wisse man von keiner anderen Filiale, die es hat, so Wolfgang Aich, Sprecher der Sparkasse Bodensee. Für Christoph Müller ist das Angebot ein echter Meilenstei­n. Nach dem Filialster­ben der vergangene­n Jahre kehrt der persönlich­e Berater wieder zurück – wenn auch nur auf dem Bildschirm.

Veränderte­s Kundenverh­alten

Einer der Gründe für die Filialschl­ießungen ist das veränderte Kundenverh­alten. Viele Bankgeschä­fte wie Dauerauftr­äge, Adressände­rungen, Überweisun­gen oder Kartenbean­tragung erledigen Kunden heute am Telefon, im Internet oder über eine App per Handy. „Die meisten Kunden kommen daher nur noch einmal pro Jahr zum Beratungsg­espräch in die Filiale“, sagt der Pressespre­cher. Und selbst dafür brauche man die Filiale nicht unbedingt am Ort. Denn auf Wunsch kämen die Berater auch nach Hause. „Wenn am Vormittag dann nur noch drei Kunden in die Filiale kommen, trägt sich das nicht“, sagt Aich. „Die Kunden stimmen auch mit den Füßen ab.“

Die Bankenkris­e hat die Entwicklun­g noch beschleuni­gt. Binnen fünf Jahren haben die Sparkassen in Baden-Württember­g fast 14 Prozent ihrer Filialen geschlosse­n. Auch bei den Volks- und Raiffeisen­banken geht die Zahl der Geschäftss­tellen zurück. Die Sparkasse Bodensee hat 2014 elf Filialen in Selbstbedi­enungsstel­len umgewandel­t, weitere zusammenge­legt und eine geschlosse­n, weil sie kaum mehr frequentie­rt wurden. 86 Stellen wurden in den vergangene­n zwei Jahren abgebaut. Sozialvert­räglich, wie Müller betont.

Weitere Schließung­en sind derzeit aber nicht geplant. Müller will den neuen Service ausdrückli­ch nicht als Filialschl­ießungspro­gramm verstanden wissen. Die Live-Box sei eine Dienstleis­tung, die man kostengüns­tig auch in der Fläche anbieten könne. Vorausgese­tzt, die Kunden nehmen das Angebot an.

Ortsvorste­her Wolfgang Gensle ist optimistis­ch. Für Litzelstet­ten sei die Live-Box wunderbar – nicht nur, weil es wieder einen Ansprechpa­rtner gibt, sondern auch wegen der längeren Öffnungsze­iten. Nach der Filialschl­ießung habe man es zwar mit einem Sparkassen-Bus probiert, der sei aber nicht angenommen worden. Rein technisch war der Bus zwar mit allen Schikanen ausgerüste­t, aber er war nur zweimal pro Woche für wenige Stunden vor Ort. Kam man zu spät, war die Sparkasse weg.

 ?? FOTO: KERSTIN CONZ ?? Die erste Live-Box der Sparkasse Bodensee: Sparkassen-Vorstand Christoph Müller und Ortsvorste­her Wolfgang Gensle (von links) sind begeistert von der Qualität der Videoübert­ragung. Per Knopfdruck haben sie sich mit Kundenbera­terin Sina Braun in Friedrichs­hafen verbinden lassen.
FOTO: KERSTIN CONZ Die erste Live-Box der Sparkasse Bodensee: Sparkassen-Vorstand Christoph Müller und Ortsvorste­her Wolfgang Gensle (von links) sind begeistert von der Qualität der Videoübert­ragung. Per Knopfdruck haben sie sich mit Kundenbera­terin Sina Braun in Friedrichs­hafen verbinden lassen.

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