„Wir klingeln nicht einfach an Haustüren“
Integrationsnetzwerk Tettnang über die Zukunft der Migrationsarbeit vor Ort
TETTNANG - Das Asylnetzwerk Tettnang heißt seit einigen Monaten Integrationsnetzwerk und ist gerade dabei, sich in diese Richtung neu aufzustellen. Im Interview mit Thilo Bergmann sprechen die ehrenamtlichen Organisatoren Christine Barth, Hubert Hahn und Josef Schober über diesen Prozess und über das Erreichte der vergangenen Jahre.
Der große Flüchtlingsandrang ist lange vorbei und damit auch die erste Nothilfe, die das Asylnetzwerk geleistet hat. Jetzt wollen Sie sich allen Menschen widmen, die einen Migrationshintergrund haben. Warum?
Hubert Hahn: In Tettnang leben Menschen aus mehr als 100 Nationen. Diese Zahl hat uns selbst überrascht. Und klar braucht nicht jeder unsere Hilfe, aber da gibt es ein sehr breites Feld für Angebote. Zum Beispiel hat es kürzlich ein Migrationstheater gegeben. Bald veranstalten wir auch eine Buchvorstellung mit Geschichten syrischer Flüchtlinge. Wir wollen Migration erklären. Josef Schober: Das Netzwerk war anfangs mehr als nötig, um Chaos zu verhindern und muss sich nun verändern.
Christine Barth: Vieles von dem, was vorher gemacht wurde, läuft einfach weiter, wie die Hausaufgabenbetreuung oder die Begleitung zu den Ämtern. In der Hauptsache sind wir auch für die geflüchteten Menschen da, aber die Schwerpunkte haben sich verschoben.
Gibt es noch mehr Beispiele dafür?
Barth: Konkret planen wir für das kommende Jahr ganz praktische Dinge, wie einen Schwimmkurs für Kinder, einen Kurs zu Gewaltprävention und eine Schulung für Ehrenamtliche. 2019 ist auch wieder ein runder Tisch geplant, zum Thema „Migration aus verschiedenen Perspektiven“. Dazu werden Personen aus verschiedenen Bereichen, wie Polizei, Ärzte oder Lehrer eingeladen.
Hahn: Wir haben über die städtische Integrationsbeauftragte, Brigitte Ganzmann, unsere Angebote und die Sozialarbeiter guten Kontakt zu den Menschen in den Unterkünften, und daraus können wir dann überlegen, was wir anbieten können. Weil es zum Beispiel in einer Unterkunft kürzlich Streit innerhalb von Familien gab, denken wir über Präventionsangebote nach, speziell für Kinder.
Schober: Viele Dinge sind auch die Aufgaben von Sozialarbeitern, aber dennoch kommen die Menschen auf uns zu. Da ist es wichtig, gut vernetzt zu sein.
Wie gehen Sie auf die Menschen mit Migrationshintergrund zu?
Hahn: Wir haben keine konkrete Strategie und gehen nicht offensiv auf alle Nationen zu. Aber wir sind offen.
Barth: Wir klingeln nicht einfach an Haustüren, das ist klar. Wir haben Kontakt mit den Schulen und Kindergärten. Darüber hinaus sind wir durch verschiedene Aktionen präsent. Vielleicht erreichen uns darüber auch Familien.
Im Oktober 2017 ist an der noch unbewohnten Gemeinschaftsunter- kunft Narzissenstraße ein Feuer gelegt worden. Haben Sie darüber hinaus in Tettnang Ablehnung erfahren?
Schober: Gott sei Dank nicht. Das habe ich eigentlich erwartet, denn es gibt bei uns, wie überall, auch einen Bodensatz an Nationalisten, so etwas liest man ja an anderen Stellen.
Hahn: Wir sind hier ganz gut mit der Stadt verbunden und sind immer im Gespräch, wir erfahren Unterstützung, das ist nicht in allen Städten so.
Was beschäftigt Sie aktuell bei der Arbeit mit Geflüchteten?
Schober: Anfangs war es einfach nur wichtig Arbeit zu finden. Jetzt geht es um qualifizierte Jobs, denn die Menschen können jetzt auch besser Deutsch. Aber es ist nicht mehr so einfach, den Menschen Arbeit zu vermitteln. Das war schon leichter.
Hahn: Bei Wohnraum für Familien haben wir auch einen Riesenbedarf. Das gestaltet sich sehr schwierig. Barth: Die Familien leben in sehr engen Verhältnissen. In der Unterkunft Hagenbuchen leben rund 50 Kinder. Sie haben keine Möglichkeiten, sich zu entfalten. Alles passiert auf engstem Raum. Hier besteht großer Handlungsbedarf.
Was ist ihr schönstes Erlebnis mit dem Integrationsnetzwerk?
Hahn: Mein schönstes Erlebnis hatte ich damals in der Seldnerhalle in Kau. Als es Weihnachten wurde, gelang es den Helfern, eine Weihnachtsfeier zu organisieren, bei der Helfer, Flüchtlinge und Bürger sogar getanzt haben. Obwohl keiner der Geflüchteten bisher einen Bezug zu Weihnachten hatte. Schober: Das hatte ich, als die Menschen aus der Layer-Halle ausziehen mussten. Die Halle war keine gute Unterkunft, aber einer der Flüchtlinge hat sich trotzdem lautstark beschwert, weil er gehen musste. Das war die Halle, in der die Menschen ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt hatten. Es gab eine tolle Atmosphäre, obwohl es die schlechteste Halle war.
Barth: Der afghanische Abend vor einem Jahr. Gemeinsam mit den afghanischen Familien den Abend zu gestalten und mit den Frauen in der Küche zu stehen und zu kochen, lachen und erzählen, das war toll. Dadurch sind Kontakte und Freundschaften entstanden.